"Brain Booster" mit Nachteilen

Neurologen haben nachgewiesen, dass die elektrische Stimulierung des Gehirns die Gedächtnisleistung erhöhen kann. Allerdings hat das auch Nebenwirkungen.

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Von
  • Emily Singer

Neurologen haben nachgewiesen, dass die elektrische Stimulierung des Gehirns die Gedächtnisleistung erhöhen kann. Allerdings hat das auch Nebenwirkungen.

Die Steigerung der persönlichen Hirnleistung dürfte sich fast jeder Mensch wünschen. Doch eine neue Studie zeigt, dass zumindest eine experimentelle Methode, die dies verwirklichen soll, auch sichtbare Nachteile hat. Dabei ergab sich, dass ein noninvasives Verfahren zur Hirnstimulation zwar beim Lernen hilft, wenn ein bestimmter Nervenbereich angesprochen wird. Allerdings arbeiten gleichzeitig die natürlichen Automatismen schlechter – die Fähigkeit also, Aufgaben zu erledigen, ohne darüber nachdenken zu müssen. "Unser Studie bestätigt eine grundsätzliche Wahrheit beim menschlichen Gehirn", sagt Studienleiter Roi Cohen Kadosh, Neurowissenschaftler an der University of Oxford. "Alles Gute hat seinen Preis."

Cohen Kadosh und seine Kollegen nutzen bei ihren Versuchen die transkranielle elektrische Stimulation (TES), um bestimmte Gehirnbereiche gezielt zu stimulieren. Der Ansatz hatte sich zuvor bereits als Möglichkeit erwiesen, verschiedene Hirnfunktionen zu verbessern, darunter Arbeitsgedächtnis und Aufmerksamkeit. TES wird unter anderem genutzt, um Schlaganfallpatienten zu helfen, Sprache und Körperbeherrschung neu zu lernen. Untersucht wurde dabei allerdings noch kaum, ob Verbesserungen in einem Hirnbereich auch Nachteile in einem anderen haben.

"Sehr wenige Leute haben darüber nachgedacht, welche pragmatischen Auswirkungen diese Art der Stimulation im Alltag haben könnte", kommentiert Eric Wassermann, Neurologe am US-National Institute of Neurological Disorders and Stroke, der die Oxford-Studie kennt.

Bei dem Experiment baten die Forscher zunächst eine Gruppe freiwilliger Versuchspersonen, sich die Beziehung zwischen mehreren Zahlen und mehreren Bildern zu merken. Fünf Tage hintereinander wurden sie dann jeweils eine Stunde lang darauf getestet, ob sie sagen konnten, welches Symbol die jeweils höhere Zahl repräsentierte. Dabei ergab sich, dass die Leistungsspitze schnell erreicht war.

Am sechsten Tag wurden die Teilnehmer dann gebeten, den numerischen Wert des Symbols zu vergessen und nur anzugeben, welches von zwei Systemen physisch größer ist. Die Testpersonen, die neue Symbole am besten erkannten – was für einen hohen Automatismusgrad spricht – erledigten diesen Job am schlechtesten, besonders, wenn die physische Größe des Symbols nicht zum numerischen Wert passte.

Die Forscher verglichen dann die Leistungen von insgesamt drei Gruppen. Die erste Gruppe hatte eine Stimulation im Bereich des präfrontalen Kortex erhalten, der mit komplexen Planungsaufgaben und der Entscheidungsfindung in Verbindung gebracht wird. Die zweite Gruppe wurde dagegen im Bereich der Parietalrinde stimuliert, die dabei helfen soll, verschiedene Arten von Informationen miteinander zu verknüpfen. Gruppe drei erhielt wiederum nur das TES-Gerät aufgesetzt, aber keine Stimulation.

Die parietale Gruppe zeigte das insgesamt beste Ergebnis, hatte aber bei Automatismen Probleme, während die präfrontale Gruppe das gegenteilige Muster aufwies. (Das mag auf den ersten Blick merkwürdig klingen, doch Lernvorgänge und Automatismen sind im Gehirn trennbar.)

Wassermann meint, dass Cohen Kadoshs Ergebnisse interessant seien, glaubt aber nicht, dass die Stimulation dem Gehirn insgesamt schaden kann. Die Verbesserung eines kognitiven Systems könne andere aber belasten, egal welche Bereiche im Gehirn angesprochen würden.

Es ist noch unklar, wie signifikant die Ergebnisse sind – besonders, wenn es um Alltagsanwendungen geht. Cohen Kadosh und sein Team konnten die gleichen Nachteile bei anderen kognitiven Tests nämlich nicht nachweisen. Zudem könnte es möglich sein, den Effekt zu reduzieren, in dem die TES-Parameter optimiert werden.

Hinzu kommt, dass Menschen, die nach einem Schlaganfall ihr Sprachvermögen verloren haben, durchaus bereit sein dürften, gewisse Verschlechterungen in anderen Bereichen zu akzeptieren. "Es gibt hier nach wie vor ein großes Potenzial, die Gehirnleistung zu verbessern. Wir müssen nun aber klären, was die echten Nachteile dabei sind", so Cohen Kadosh. (bsc)