Was ist viral?

Forscher bei Microsoft haben analysiert, wie sich Links zu Videos, Bildern und Nachrichten im Internet verteilen. 1,4 Milliarden Twitter-Botschaften wurden dazu untersucht.

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Von
  • Jessica Leber

Forscher bei Microsoft haben analysiert, wie sich Links zu Videos, Bildern und Nachrichten im Internet verteilen. 1,4 Milliarden Twitter-Botschaften wurden dazu untersucht.

Wenn sich ein Filmclip, ein Artikel oder ein Foto im Netz besonders schnell verbreitet, nennt man den entsprechenden Inhalt "viral" – ein Wort, das heutzutage schon fast zu häufig gebraucht wird. Der Begriff entstammt eigentlich der Epidemiologie, wo Wissenschaftler seit Jahrzehnten versuchen, mit Hilfe von Computermodellen die Verbreitung von Krankheiten vorherzusagen. Im Internet hat man es dagegen mit "viralem Marketing" zu tun. Das wird besonders von Social-Media-Beratern propagiert, die häufig auch noch mit angeblich hochmathematischen Formeln wie dem "Viralitätskoeffizienten" arbeiten.

Doch wirklich wissenschaftlich untersucht wurde die Viralität von Internetinhalten bislang selten. Normalerweise bezeichnen wir etwas als "viral", wenn es beispielsweise bei YouTube viele Aufrufe erhalten hat, in "Trending"-Liste bei Twitter auftaucht oder sich ein langlebiges Mem daraus ergibt. Und dann wäre da noch der Mundpropagandafaktor: "Ach ja, das Video!", heißt es im Freundeskreis dann.

Wissenschaftler bei Microsoft Research haben nun ein neues Werkzeug namens "Viral Search" entwickelt, mit dem es möglich ist, die Viralität von Internetinhalten detailliert zu analysieren. Das bedeutet nicht einfach nur das Messen des von einem Inhalt angestoßenen Netztraffics, sondern die Struktur der Weitergabe von Person zu Person über viele Generationen.

Innerhalb eines Jahres hat sich die "Viral Search"-Software so 1,4 Milliarden Tweets angesehen und ein riesiges Baumdiagramm erstellt, das zeigt, wie sich Links verbreiten. Zentrales Element ist dabei die Frage, wer wem bei Twitter folgt und wie die Reihenfolge der Nachrichtenwiederholungen (Retweets) abläuft. Daraus entwickelten der Forscher Jake Hofman und sein Team eine neue Kennzahl, die die durchschnittliche Entfernung zwischen zwei Personen im Baumdiagramm erfasst, die Links weitergegeben haben.

Ein Inhalt kann dabei auch nur mittelprächtig "viral" sein, etwa eine Onlinepetition, die Menschen unterzeichnen und weiterreichen – es muss nicht gleich ein Abrufmonster wie "Gangnam Style" werden. Als wenig viral erwies sich dagegen ein zufälliger Tweet des Teeniestars Justin Bieber, der anfangs zwar häufiger weitergegeben wurde, weil der Sänger 35 Millionen Follower auf Twitter hat, dann aber schnell wieder von der Bildfläche verschwand. (Schließlich interessiert sich kaum jemand wirklich dafür, was Bieber im Familienurlaub treibt). Die meisten Link-Diagramme auf Twitter erwiesen sich laut Hofman und Team sowieso nur als recht klein und wuchsen weniger als zwei Generationen, bevor sie sich aus dem Netz verabschiedeten.

Die Microsoft-Forscher haben ihre komplexe Mathematik mittlerweile in ein einfach zu bedienendes Such- und Visualisierungswerkzeug gepackt. Ihre abschließende Erkenntnis, dass echte Viralität nur selten vorkommt, ist zwar keineswegs überraschend. Interessant sind die ermittelten Abläufe aber trotzdem. In der Epidemiologie ist es kaum möglich, Ansteckungen von Person zu Person im Detail zu erfassen – bei Twitter geht das. Doch das gilt nicht für alle Teile des Netzes. Twitter als soziales Netzwerk ist grundsätzlich öffentlich, doch viele andere Bereiche der Online-Welt sind es eben nicht. Hier die Viralität zu erfassen – von der persönlichen IM-Botschaft bis zur E-Mail – könnten die Microsoft-Forscher als nächstes angehen. (bsc)