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Was war. Was wird.

Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt, lalala ... Endlich italienische Verhältnisse in Deutschland, die Bobos tanzen Tarantella, nur das Wetter kann trotz frühlingshafter Temperaturen nicht mithalten, bedauert Hal Faber.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war

*** Ich bin ein einfacher IT-Journalist auf dem Intelligence Level 1.0. Möglicherweise ist das genetisch bedingt oder dadurch, dass Hannover meine Heimatstadt ist, nach mehrheitlicher Meinung meiner Leser nicht die schönste Stadt der norddeutschen Tiefebene, sondern ein norddeutsches Trauma. Schon der von Adidas propagierte "Intelligence Level 1.1" ist mir zu hoch, obwohl er doch an Füßen klebt wie Hundekacke, jedenfalls dann, wenn man einen Adidas 1 anhat. In dieser Woche hat das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig ein problematisches Urteil gefällt, den Sportschuh als Sportschuh definiert und nicht etwa als Elektronikschrott. Ganz anders als beheizbare Skistiefel, die am Ende ihres Daseins ordentlich entsorgt werden müssen, darf der computerisierte Schuh in den einschlägigen Sammelkisten verklappt werden. Problematisch ist das darum, weil derzeit "wearable electronic" im großen Stil in die Läden drängt und nicht nur auf der CeBIT zu sehen ist. Die schicke Jacke, die mir sagt, ob ein WLAN in der Nähe ist, kann ich also bedenkenlos wegwerfen – ich bin sowieso zu dick für sie. Während zur besagten CeBIT das E-Government 2.0 unserer Regierung mit dem lückenlosen elektronischen Abfallnachweis eine innovative Bürger-Abfall-Prozesskette auftrumpft, in der jeder Misthaufen mit digitaler Signatur entsorgt wird, gibt sich das Gericht von vorvorgestern. Schließlich geht es um die Firma, die mit dem Wunder von Bern entstand.

*** Auf dem Intelligence Level 1.0.0.1 läuft derzeit eine Diskussion über die Beschaffung der Daten, mit denen Steuerfahnder Steuerstifter aufspüren. Die vom Auslandsgeheimdienst BND als "Beifang" erworbene DVD wirft nicht nur die Frage auf, was eigentlich der "Hauptfang" gewesen wäre, sondern auch die, ob die gesamte Aktion nicht illegal war. Man kann das flockerlockig als kleine Nebenstraftat hinstellen oder gar darüber im Fernsehen schwadronieren, dass man die DVD nach der Auswertung zurückgeben werde, also gar keine Daten stehle. Man kann auch die Gesetze und Gesetzeskommentare konsultieren. Die abenteuerliche Konstruktion eines "Steuerstaatsnotstandes" (FAZ), der es gestattet, dass der BND mal eben so Dateien "rüberschiebt", speist sich aus derselben Denkweise, die nichts dabei findet, eine einzige große Terrordatei aufzubauen. Etliche Disputanten dieser BND-Frage verweisen auf den Kommentar im Handbuch des Polizeirechtes von Lisken/Denninger, in dem es heißt:

"Der Datenverbund zwischen diesen Stellen [Polizei, Geheimdienst, Zoll Steuerfahndung usw.] zur Regeleung verschiedener Aufgaben ist daher nicht die Regel, sondern die Ausnahme vom grundrechtssichernden Prinzip der Aufteilung öffentlicher Gewalt auf verschiedene 'Hohheitsträger'. Zur 'Überwindung' dieser Schranken genügt also nicht eine opportune rechtsstaatliche Verbundregelung. Vielmehr bedarf es für jede 'zweckfremde', also vom Erhebungszweck abweichende Nutzung eines Datenbestandes, einer grundrechtlichen Legitimierung."

Wenn der Zweck der ganzen Aktion, mit einem großangelegten Ablenkungsmanöver der Steuerjagd auf ein paar 1000 "Sünder" von der allgemeinen Geldverbrennung abzulenken, das verbotenes Herumreichen von Datenbeständen heiligt, dann sollte man auch nicht jammern, wenn der Staat andere Datenbestände zusammenlegt. Vollkommen unglaubwürdig sind darum die Aktions-Hektiker, die jetzt eine Aufhebung des Steuergeheimnisses fordern, aber die Vorratsdatenspeicherung oder die Kontenabgleichabfragen des Staates oder der Bafin als üble Sache brandmarken. Sie begeben sich in genau die stinkende Brühe der Politiker, die vom Datenschutz ist Täterschutz faseln.

*** Einen Tag vor dem Ende des Mittelalters fand sich in vielen deutschen Tageszeitungen, auch in der gerade verlinkten taz, eine kuriose Geburtsanzeige.

Es ist ein Mädchen! Pauline Rudorff

Die glücklichen Eltern
Claudia und Markus Rudorff
oder
Thilo Strangels
vielleicht sogar dieser
Peter mit der Brille?

Diese Anzeige mit dem werbenden Untertitel "Ganz sicher sein: Galantos" und einem Link auf den trefflichen Service von Galantos inmitten all der freudigen Nachrichten über Nicole-Marian, Nicolette und Pelle-Joe mag auf die inserierenden Eltern wie eine kalte Dusche gewirkt haben, ist aber der Anfang der informationellen Selbstbestimmung, von der sie bei Firmen wie 23andMe oder deCodeMe als Millionen-Mega-Mammut-Geschäft träumen. Hier tänzelt die Investoren-Sau, nicht bei vorprogrammierten Verklemmungen wie StudiVZ und Co.

*** Wer diese Wochenschau über die Jahre gelesen hat, wird meine Freunde, die Bobos, kennen, die von der digitalen Boheme. Die Bobos waren eng verflochten mit der Internet-Blase 1.0; und was damals namensmäßig als schick galt, steht heute auf der Blacklist. Lieber nennt man sich nunmehr Netokraten oder halt Leistungselite 2.0 und schreibt darüber wirre Bücher. Nun tritt eine neue Truppe auf, die Lohas, drauf und dran, von den Netokraten und ihren irrsinnigen Plänen vereinnahmt zu werden. Oder auch nicht. Lohas, so lese ich, steht für Lifestyle of Health and Sustainability. Lohas essen Biofutter, trinken Bionade, wechseln zum Solarstromanbieter und haben natürlich den ökologisch korrekten Telefontarif im Kommunikationsknochen implantiert. Lohas vertragen keinen Schrott und schauen daher nicht ins TV, sondern allenfalls kritische Ausschnitte auf Youtube. Wer mit den Lohas Geschäfte machen will, muss in der Gesellschaft leben und keine verdummenden sozialen Netze aufziehen. Am Ende sollen die Lohas so mächtig sein und nicht nur den Stromerzeuger wechseln, sondern auch den Nachrichten- und Medienlieferanten. Für Lohas ist eine Website ans Netz gegangen, auf der das TV-Frontend Ulrich Wickert, lebensqualitativ als Wein- und Käsetester bekannt, seine Klientel duzt auf Teufel komm raus. Zoomer heißt das OLPC-grüne Angebot, voll in der Tradition des plumpen Gerätes, mit dem einstmals Casio dem Newton von Apple Konkurrenz bieten wollte. Low heat oder lauwarm ist eine bessere Beschreibung der Loha-optimierten Newsbröckchen.

*** Die Chronistenpflicht gebietet es, noch einmal (wie im letzten WWWW) auf die Schilderung eines seltsamen Vorganges zu verweisen, der mit zahlreichen Kommentaren immer unwahrscheinlicher geworden ist. Noch scheint es abfragetechnische Grenzen zu geben. Das wirklich Beunruhigende ist jedoch, wie schnell man heute bereit ist, die Legende von der Mailpolizei zu glauben.

Was wird.

Auch mit Blick auf die Zukunft ist eine Korrektur fällig. Die freudige Erwähnung, dass Blogger auf der CeBIT gerne gesehen sind, weil "Technologie-Freaks" so niedlich sind und es Spaß macht, Beiträge voller Begeisterung zu lesen, Tipps zur Nutzung zu bekommen, die hilfreich, ehrlich, bodenständig und ungefiltert sind, das alles stimmt nur bedingt. Die Welt ist Scheiße, aber das hat offenbar keinen direkten Bezug zu den Themeninhalten der CeBIT, meinen die humorlosen Veranstalter der Messe AG. Eine gewagte These, die schwer zu halten ist, wenn man liest, was auf dem Trendforum in magentafarbiger Wolkenprosa etwa bei Herrn Nordström daherschwallt. "Die heutige Welt bietet uns ein unendliches Maß an Möglichkeiten individueller Wahl." Unendlich viele Möglichkeiten ist wohl zu schwach für einen alternden Bobo, ein unendliches Maß klingt gleich nach doll viel mehr.

Selbst auf dem einfachen Intelligence Level 1.0, auf dem sich mein Leben abspielt, warte ich mit Spannung nicht auf den Hamburger Bürgermeister Ole von Neumann, sondern auf die Verkündung des Urteils zur Online-Durchsuchung in Karlsruhe am kommenden Mittwoch. Während die Kläger schon an ihrer Karlsruher Erklärung der Bürgerrechtler feilen, ist Fridolin, der Bundesgeier, schon weitergeflogen und propagiert den großen Spähangriff mit allen technischen Mitteln. Was die Mittel anbelangt, so sollte man gut zurückspähen. In Sachsen fliegt die erste deutsche Überwachungsdrohne der Polizei. Sie soll angeblich helfen, dass Hooligans geschnappt werden können. Bei unseren westlichen Nachbarn hat ein baugleiches Modell erfolgreich bei einer Räumung besetzter Häuser die Lage ausgespäht.

Ach, ja, und wenn Ole von Neumann dann endlich gewählt ist, geht in Berlin auseinander, was nicht zusammen gehört. Oder doch nicht? Der bräsige Beck weiß nicht mehr, was er gegen die oberste Sozialdemokratin Merkel machen soll und besinnt sich darauf, dass man sich ja auch eines Vereins bedienen könne, der gerne auch mal alte DKPler und ihre spinnerten Orthodoxien vom real existierenden Sozialismus und seiner Geheimdienste in die Landtage schickt. Ist der westdeutsche SED-Ableger noch gar nicht so tot, wie ich immer dachte, schau an, schau an. Da tanzen nicht nur die Bobos mit den Lohas Tarantella, da legen Sarah Wagenknecht und Christel Wegner zum Sound von Dieter Dehm einen Walzer aufs Parkett. Endlich italienische Verhältnisse in der Bundesrepublik – der Politik-Teil der Tageszeitung liest sich wie eine Mischung aus Comic und Krimi, es fehlt nur noch das italienische Wetter, um den Deutschen endgültig ihre Sehnsucht nach Italianità zu erfüllen, und das ganz ohne Meister Berlusconi. (Hal Faber) / (jk)