Die Windstrom-Revolution auf See droht auszufallen

Eine echte "Strompreisbremse" wird es wohl nicht geben, da sich Bund und Ländern vor der Wahl nicht einigen werden. Was bleibt, ist eine große Verunsicherung, wohin die Reise mit der Energiewende hingehen soll.

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Von
  • Georg Ismar
  • dpa

Holger Krawinkel hat in den 80er Jahren mal in der dänischen Energiebehörde gearbeitet. "Da habe ich gesehen, wie man eine Energiewende professioneller machen kann als hier", sagt der Energiefachmann der Verbraucherzentrale Bundesverband. Bei einem Ökostrom-Anteil von 40 Prozent seien die Förderkosten pro Verbraucher in Dänemark weit geringer. Der wenig ergebnisreiche Energiegipfel bei Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat für ihn gezeigt: "Die Energiewende steht an einem Scheideweg". Denn die Kosten galoppieren davon.

Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) ist mit seinen Plänen (PDF-Datei) für eine Begrenzung der Strompreise vorerst gescheitert – die Debatte ist ein Paradebeispiel, woran es krankt: Jeder kämpft für sich und seine Interessen. Es gibt kein Gemeinschaftswerk, viel Zeit geht verloren. Krawinkel erwartet weiter steigende Stromkosten, da die auf den Strompreis aufgeschlagene Umlage zur Förderung erneuerbarer Energien von 5,277 Cent je Kilowattstunde im Herbst auf über 6 Cent steigen könnte. Damit würden die Ökostrom-Förderkosten erstmals die Schwelle von 200 Euro pro Durchschnittshaushalt im Jahr übersteigen.

"Da sich sowohl die kostenbedingten als auch die organisatorischen Probleme bei der Umsetzung der Energiewende häufen, bietet sich ein probates Mittel zur Lösung an: Das Fördersystem entrümpeln", schreibt Krawinkel in einer Analyse zum Status quo. Er hält eine Radikalkur für nötig, um das Projekt zu retten, und fordert einen weitgehenden Stopp beim Bau von Biogasanlagen wegen des hohen Pflanzenbedarfs sowie eine Abkehr von der Offshore-Windenergie in Nord- und Ostsee.

Eine Studie (PDF-Datei) im Auftrag des Berliner ThinkTanks Agora Energiewende hält geringere Kosten von bis zu zwei Milliarden Euro pro Jahr für möglich, wenn sich die Energiewende vor allem auf Solar- und Windenergie an Land konzentriere. Hier liegen die Länderplanungen ohnehin schon weit über den Erwartungen – Krawinkel fordert eine eigene Energiebehörde, um das ganze besser zu steuern. Bei Windrädern an Land wäre eine Vergütungsstaffelung nach Windaufkommen denkbar.

"Der Bau von Seewindanlagen weit draußen und tief im Meer stellt sich immer mehr als ein ökonomischer und technologischer Irrläufer heraus, aus dem nicht einmal industriepolitisches Kapital geschlagen werden kann", betont Krawinkel. International werde sich allenfalls Seewind in Küstennähe durchsetzen, was aber in Deutschland wegen des Wattenmeers nicht infrage komme. "Je schneller der Ausstieg aus dem Offshore-Ausbau vereinbart wird, umso geringer werden die negativen Folgen sowohl im Hinblick auf die Kosten, aber auch auf die Versorgungssicherheit für die Energiewende insgesamt ausfallen."

Auch in Regierungskreisen wird damit gerechnet, dass hier nach der Bundestagswahl der Druck für ein "Tabula Rasa" wachsen könnte. Schließlich gibt es bei Offshore eine enorm hohe Anfangsvergütung von bis zu 19 Cent je Kilowattstunde, was die Strompreise weiter treiben dürfte. Schon in diesem Jahr werden die Bürger mit einer Sonderumlage von knapp 9 Euro pro Durchschnittshaushalt zur Finanzierung von Zusatzkosten beim Anschluss der See-Windparks zur Kasse gebeten.

Ein einflussreicher Vertreter der fossilen Energiebranche wettet, dass das Thema Offshore nach der Bundestagswahl weitgehend abgeblasen werden könnte. Die Wartungskosten auf dem Meer seien mit 4 Cent je Kilowattstunde viel zu hoch – so viel gibt es derzeit oft noch nicht einmal mehr an der Strombörse im Verkauf einer Kilowattstunde. "Die Risiken sind erheblich", sagte gerade erst auch RWE-Chef Peter Terium vor dem Club Hamburger Wirtschaftsjournalisten. RWE müsse höllisch aufpassen, dass die Wirtschaftlichkeit gewährleistet sei.

Die Investitionen in britische Windparks könnten rentabler sein – hier muss nicht so weit vor der Küste gebaut werden wie in Deutschland. RWE baut gegenwärtig den Windpark Nordsee Ost 35 Kilometer nördlich von Helgoland. Ein Projekt 40 Kilometer vor Juist liegt noch auf Eis.

Jörg Kuhbier, Vorstand der Stiftung Offshore-Windenergie, räumt ein, dass das Regierungsziel von 10.000 Megawatt (MW) installierter Leistung in Nord- und Ostsee bis 2020 nicht mehr zu halten ist. Es würden allenfalls 6000 bis 8000 MW. "Das ist keine Schreckensmeldung, sondern eine realistische Einschätzung." Je mehr Windparks in der Außenwirtschaftszone gebaut würden, desto höher wäre auch das Kostensenkungspotenzial, sagt er. Zudem gebe es 4500 bis 5000 Volllaststunden pro Jahr. Kuhbier fordert ein klares Signal der Politik, dass die Meer-Windkraft weiter ausgebaut werden soll. Doch angesichts der Kosten könnten die Offshore-Planungen am Ende eingedampft werden. (anw)