Midem: Die Musikindustrie ist tot, lang lebe die Musikindustrie

Die weltgrößte Musikmesse, Midem, startet mit aktuellen Positionsbestimmungen der Musikindustrie.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 90 Kommentare lesen
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Monika Ermert

Die Musikindustrie 1.0 ist vorbei, man kann sagen, sie ist tot. Und jedes Unternehmen, das glaubt, es kann Business as usual machen, macht sich lächerlich." Das sagte der frühere EMI-Vizepräsident Ted Cohen, heute Chef der Beraterfirma TAG, zum Auftakt der weltgrößten Musikmesse Midem, die heute in Cannes mit der Technologie orientierten Midemnet startete. Dem diesjährigen Motto der Messe, "Music is (A) Live", gab Cohen damit eine besondere Note. Glaubt man Cohens Kommentar, muss sich die Branche neu erfinden. Den größten Werberummel veranstaltete passend dazu QTRAX, ein vor Jahren vor Klagedrohungen der Musikindustrie vom Markt geflüchteter P2P-Dienst, der jetzt mit rund 25 bis 30 Millionen lizensierten Songs aller großen Musiklabels an den Start gehen will. QTRAX setzt auf ein werbebasiertes Modell, bei dem Anzeigen mit Suche und Download verknüpft und darüber Lizenzgebühren errechnet werden.

"Es geht nicht mehr darum, Musik zu schützen, wir müssen Geld damit machen", beschrieb Cohen, den notwendigen Wandel.Vom Digital Rights Management haben sich die großen Firmen im vergangenen Jahr nach und nach verabschiedet. Cohens Plädoyer reichte aber noch weiter: "Es geht nicht darum, die Leute zu verklagen, sondern sie zu bedienen. "Es geht nicht um Umsatz pro verkaufter Einheit, sondern darum einen Anteil der Ausgaben für Musik zu bekommen. Musik ist auch nicht entwertet, sie wird neu bewertet," sagte er. Gebraucht werde die Musikindustrie, so seine Strategieempfehlung, künftig vor allem, um gute Musik für die Nutzer noch auffindbar zu machen. Das werde mit dem im Netz wachsenden Angebot immer schwieriger. Nutzer wollten nicht Hunderte von Songs durchsuchen, um die neuen Titel zu finden, die ihnen gefallen.

"Ich will auch nicht Empfehlungen für die Musik bekommen, von der ich schon wusste, dass sie mir gefällt Ich will Empfehlungen für die Musik, von der ich noch nicht wusste, dass sie mir gefallen würde." In dieser neuen "Filteraufgabe" sieht Cohen eine mögliche Aufgabe für die Musikindustrie. Dabei sind Partner wie QTRAX, der Midem-Dauersponsor Napster oder andere P2P-Dienste, die die Rechte bei den Labels einkaufen, sehr willkommen. Mit offensichtlicher Skepsis reagierte Cohen dagegen auf die Vorstellung, dass die großen Unternehmen auch beim Auffinden von Musik schon Konkurrenz haben, durch die Nutzer und die Technologie. Das vom Institut für Digitale Medientechnologie (IDMT) des Fraunhofer Institutes entwickelte Mufin-System, das die Suche ähnlicher Musik erlaubt, ist eine technische Möglichkeit, den eigenen Musikgeschmack zu bedienen.

"Man kann von einem Paradigmenwechsel sprechen," sagte MP3-Miterfinder und IDMT-Direktor Karlheinz Brandenburg bei der Midemnet. Bislang habe man sich darum gekümmert, Inhalte generell verfügbar zu machen und während an der Usability durchaus noch gearbeitet werden könne, konzentriere man sich jetzt in der Entwicklung eher darum, wie die Masse an Inhalten organisiert werden könne. An seinem Institut werde nach wie vor an der Verfeinerung der Musiksuche gearbeitet wird. Klarheit über die Beziehung zwischen mathematischer Repräsentation eines Musikstücks und dem Stil und der Anmutung der Musik könnten die Suche nach der Musik des eigenen Geschmacks künftig noch erleichtern. Cohen sagte demgegenüber, dass es ohne soziale Empfehlungssysteme nicht gehe.

Beklagt wurde bei der Midemnet einmal mehr das Problem, dass Musikportale sich durch ganze Dickichte von Lizenzierungspartnern schlagen müssen. Der Ruf nach einer Vereinfachung, wenn es schon mit einem One-Stop-Shop für den Einkauf der verschiedenen Rechte nicht funktioniert, ist unüberhörbar. Jonathan Benassaya, Direktor von Deezer, einem französischen Musikportal, beschrieb die Schwierigkeiten seines Portals mit den Verwertungsgesellschaften so: "Wir sind an einem Punkt, an dem wir zu gerne für die Künstler bezahlen würden, aber man lässt uns nicht". Fürs EMI-Repertoire etwa müsse er zu einer anderen Firma gehen als für andere Musikrepertoires, sagte Benassaya mit Blick auf die Struktur in Europa. Hier ist der Streit über die Zukunft der Verwertungsgesellschaften noch nicht zu Ende. "Muss ich erst tausende von Leuten einstellen, die sich ums Rechtegeschäft kümmern?", fragte Benassaya.

Ian Rogers, General Manager Music bei Yahoo, kritisierte die überzogenen Preisvorstellungen der Verhandlungspartner in der Musikindustrie: "Wenn wir in die Verhandlungen gehen, sehen die Leute, Yahoo und man sieht die Dollarzeichen in ihren Augen." Die Verhandlungspartner seien in ihren Forderungen unrealistisch. Für 70 Cent per Download seien die Labels gerne bereit zu lizenzieren, damit werde der Gesamtpreis aber zu hoch. Kompliziert wird das System übrigens durch die je nach Dienst - Download, Stream, Kombinationen - unterschiedliche Rechtesysteme greifen.

Alison Wenham, Präsident des Dachverbands der kleinen Labels, "Worldwide Independent Music" (WIN), kritisierte demgegenüber, dass sich die Portalanbieter gerne viel Zeit ließen mit dem Aushandeln der Deals. Eine rechtliche Regelung, von manchen heute in Cannes gefordert, sei daher keine Lösung. Wenhan fürchtet, dass unter dem Vorwand eines gesetzlich vorgeschriebenen Verfahrens die Preisverhandlungen ganz legal in die Länge gezogen werden könnten. Die Branche müsse das Problem selbst in den Griff bekommen, sagte sie und kritisierte, dass etwa Yahoo trotz des von WIN geschaffenen zentralen Lizenzierungsangebots über Merlin bislang nicht für die Indies bezahlt habe. Wenham sagte, eine gute Lösung der Rechtefrage, die Aufführungs- und Urheberrechte für global auftretende Diensteanbieter mit unterschiedlichen Geschäftsmodellen abgilt, sei verflixt kompliziert. "Das bewegt sich wohl irgendwo zwischen Rocket Science und Alchemie," so Wenham. "Aber wir werden es schaffen." (Monika Ermert) / (mw)