FOSDEM 2008: Der Basar 2.0 brummt

Das gesamteuropäische Treffen von Free- bzw. Open-Source-Entwicklern sprengte wieder einmal alle Dimensionen. Dabei ist die erste Generation der Organisatoren abgetreten, ihre Nachfolger haben keine Scheu davor, kommerziellen Projekten Raum zu lassen.

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Von
  • Detlef Borchers

Mit 228 Vorträgen und 268 Sprechern sprengte die FOSDEM 2008, das gesamteuropäische Treffen von Free- bzw. Open-Source-Entwicklern, wieder einmal alle Dimensionen. Dabei präsentierte sich die FOSDEM als eine im Umbruch begriffene Veranstaltung. Die erste Generation der Organisatoren ist abgetreten, ihre Nachfolger haben keine Scheu davor, kommerziellen Projekten Raum zu lassen.

Die FOSDEM 2008 wurde von Keynotes eröffnet, die deutlich den veränderten Charakter des Entwicklertreffens zeigten. Robin Rowe und Gabrielle Pantera vom Animations-Fachblatt Movie Editor gaben einen Überblick darüber, wie Linux seit 1998 erfolgreich in den Animations- und Special Effects-Studios von Hollywood eingesetzt wird. Der Durchbruch kam mit dem Film "Titanic", seitdem ist kein Hollywood-Film mit Massenszenen mehr erschienen, der nicht in irgendeiner Form die Massen in Renderfarmen errechnen ließ. Doch während sich Linux in Nachfolge von SGIs Irix quasi zum Super-Statist von Hollywood wurde, wurde Open Source eher kleingeschrieben. Ausgehend von den jeweiligen Anforderungen und verschiedenen Irix-Programmen hat jedes größere Studio seine eigene Software entwickelt, die durchaus proprietär gehandhabt wird. Jedes Studio hütet seine eigene Software, viele Lösungen werden patentiert, um von der Konkurrenz kassieren zu können. Neben der Präsentation zahlreicher kurzweiliger Filmsequenzen nutzten Rowe und Pantera die Keynote zur Werbung für Cinepaint und ihr neues Buch, das im Anschluss an die Keynote verkauft wurde.

Im Anschluss an die Filmspezialisten lieferte Robert Watson eine Beschreibung des "ältesten, größten und mit Abstand erfolgreichsten Open-Source-Projektes der Welt": FreeBSD. Der unterhaltsamen Präsentation fehlte eigentlich nur der Verkauf eines Buches, wie man größte und allergrößte oder weltgrößte Softwareprojekte führen kann. Deutlich wurde vor allem, wie wichtig die strikte Hierarchie von Maintainern, Committern, Mentoren und einem gewählten Core Team von 9 Personen, die als Schlichter bei Streitigkeiten eingreifen, für den Erfolg des Gesamtprojektes ist.

Nach Watsons Keynote lichteten sich die Reihen im Audimax merklich: Die Kampagne gegen Softwarepatente interessierte die verschiedenen Entwicklertrüppchen weniger als das Treffen mit ihren Clan-Genossen in den zu Developer Rooms umfunktionierten Hörsälen. So verpassten etliche Zuhörer den Kampf der Softwarepatentgegner Hintjes und Henrion mit ihren schicken Laptops (MacBook Air), der dazu führte, dass Hintjes die neue Website Kill Software Patents im weiterlaufenden Referat neu aufsetzen musste. Ein ähnlich böses Missgeschick erwischte übrigens tags darauf einen belgischen Referenten, der demonstrieren wollte, wie simpel die neue belgische ID-Karte mit Open-Source-Tools ausgelesen werden kann. Tatsächlich schaffte er es in etlichen Anläufen nicht, die Karte zu öffnen. Die belgische Kombination von Personalausweis und Signaturkarte, von der mittlerweile 4 Millionen Exemplare im Umlauf sind, gilt als eines der Vorbilder für den deutschen E-Personalausweis.

Im achten Jahr ihres Bestehens (rechnet man die OSDEM von 2000 zur gesamten Folge der FOSDEM-Wochenenden) zeigte sich das Entwicklertreffen im Umbruch. Die Organisatoren der ersten Stunde um Raphael Bauduin und Damien Sandras haben die Arbeit abgegeben und freuen sich über die erreichte Resonanz. Die nächste Generation zieht gewissermaßen die FOSDEM 2.0 auf und legt nicht unbedingt Wert darauf, den derzeit durch Europa tourenden Richard Stallman einzuladen, den teppichartigen Award der Free Software Foundation in Brüssel zu vergeben, wie es in den vergangenen Jahren die Regel war. Stattdessen gab es Auftritte von Marketiers wie Olivier Cleynen von GNU/Linux Matters bzw. Linux für alle. Der Werbefachmann aus der Flugzeugbranche stellte die Defizite handgestrickter Projekte vor, einen größeren Kreis an Nutzern zu erreichen oder Computerbesitzer zum Wechsel nach Linux zu animieren. Besonders harsch kritisierte Cleynen den Web-Auftritt vieler Projekte mit den Worten "the Net needs a shave" und der Ermahnung an die Entwickler, dass Werbung mehr ist, als ein nettes Logo zu finden.

Auf der anderen Seite zeigte die FOSDEM 2008 eine bemerkenswerte Kontinuität. Seit dem Start als OSDEM ist das Thema "Linux im Unterricht" präsent und trifft auf ein verständiges Publikum, das auf diese Weise etwa die Fortschritte von Skolelinux verfolgen kann. Nach der mit Applaus überschütteten Keynote vom OLPC-Ingenieur Jim Gettys im letzten Jahr war es insofern folgerichtig, dass [ticker:103986 OLPC Europe] auf diesem wahrlich europäischen Treffen gegründet wurde. Als Real-Life-Treffen der Entwickler, die sich sonst fortlaufend via IRC austauschen, wird die FOSDEM sicher weiter wachsen und sich mit all den Entwicklerfragen befassen. An übergreifenden strategischen Diskussionen wird dabei weniger Interesse bestehen. Während beispielsweise die Frage nach der neuen Offenheit von Microsoft noch das Nachrichtengeschäft bewegt, wurden entsprechende Fragen in Brüssel mit einem freundlichen Achselzucken beantwortet.

Zur FOSDEM 2008 siehe auch:

(Detlef Borchers) / (jk)