Informatiker plädiert vor Bundesverfassungsgericht für "Schutz des Denkens"

Der Dresdner Informatiker Andreas Pfitzmann fordert vom Bundesverfassungsgericht ein grundlegendes Urteil zu Online-Durchsuchungen, da die Problematik weit in die Zukunft reiche.

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Von
  • Detlef Borchers

Während sich die Frankfurter Allgemeine Zeitung in einem Artikel über Die Angst vorm Bundestrojaner über Spekulationen lustig macht, es könnten sogar ans Internet angeschlossene Kühlschränke überwacht werden, gehen die Gedanken der Fachleute bereits viel weiter. In seiner Rede vor dem die Online-Durchsuchung verhandelnden Bundesverfassungsgericht hat der Dresdner Informatiker Andreas Pfitzmann darauf aufmerksam gemacht, dass die Debatte viel zu kurz greife, wenn Computerdaten nicht in persönlichen Rechnern, Mobiltelefonen und intelligenten Jacken gespeichert werden, sondern zukünftig auch in menschlichen Körpern.

Für Pfitzmann ist eine Debatte, die die Online-Durchsuchung nur unter dem Artikel 13 des Grundgesetzes (Unverletzlichkeit der Wohnung) wertet, rückwärtsgewandt. Vielmehr müsse überlegt werden, wie sich die Zukunft der Computertechnik gestalten wird. Mensch und Computer würden in naher Zukunft immer engere symbiotische Verbindungen eingehen, wie es bei Menschen mit intelligenten Hörgeräten heute bereits ersichtlich werde: "Wir werden in diese Rechner zunehmend verloren gegangene Fähigkeiten auslagern, um sie so wiederzugewinnen. Wir werden an sie persönlichste Denk- und Merkfunktionen delegieren, um uns zu entlasten", so Pfitzmann in seiner Argumentation.

Daher sei die Debatte um die Zukunft der Online-Durchsuchung künftig weniger mit einer klassischen Hausdurchsuchung vergleichbar als vielmehr ein direkter körperlicher Eingriff, der mit der "Verabreichung bewusstseinsverändernder Drogen zum Zwecke des Erlangens von Aussagen" vergleichbar, meint Pfitzmann. Aus diesem Grunde müsse das Verfassungsgericht ein "grundlegendes Urteil zum Schutz unseres Denkens und Merkens" fällen. Mit der computerunterstützten Persönlichkeitserweiterung gehe es bei der Entscheidung zur Online-Durchsuchung künftig zentral um den "Schutz des autonomen und unbeobachteten Denkens", so Pfitzmann in seinem Plädoyer.

Seine Ausführungen verband der Dresdener Informatiker mit einer Bemerkung zur Wahrnehmung der heutigen Lebensrealitität durch unterschiedliche Segmente der Bevölkerung. Für diejenigen, die sich nicht für die Digitalisierung interessieren oder über sie reden, ohne auch nur ansatzweise zu verstehen, was sich verändert, sei die Online-Durchsuchung eine einfache Technik. Für die anderen sei sie hingegen der direkte, einschneidende Eingriff in das eigene Leben.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Detlef Borchers) / (anw)