Veränderte Magen-Darm-Flora hilft beim Abnehmen

Zwei neue Studien sprechen dafür, dass die Mikroorganismenpopulation im Verdauungstrakt mit der Gewichtsentwicklung eines Menschen zu tun hat.

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Von
  • Emily Singer

Zwei neue Studien sprechen dafür, dass die Mikroorganismenpopulation im Verdauungstrakt mit der Gewichtsentwicklung eines Menschen zu tun hat.

Eine speziell angepasste Magen-Darm-Flora könnte Übergewichtigen künftig beim Abnehmen helfen. Darauf lassen zumindest zwei neue Untersuchungen schließen, die an Harvard University und Cedars-Sinai Medical Center entstanden sind. Die erste Studie konnte an Mäusen zeigen, dass ein Magenbypass nicht nur deshalb beim Gewichtsverlust hilft, weil der Magen verkleinert wurde, sondern auch durch die damit einhergehende neue mikrobielle Zusammensetzung. Die zweite Studie fand wiederum heraus, dass Menschen mit einem hohen Anteil an methanproduzierenden Mikroben im Darmbereich mit einer größeren Wahrscheinlichkeit übergewichtig sind als die Durchschnittspopulation.

Die Studien aus Cambridge und Los Angeles sind nicht die ersten Arbeiten, die Darmmikroben und Gewicht miteinander in Verbindung bringen. Vor einigen Jahren wurde beispielsweise entdeckt, dass sowohl Menschen als auch Mäuse mit Übergewicht eine andere Mikroorganismenzusammensetzung im Magen-Darm-Trakt aufweisen als dünne Individuen. Beim Abnehmen änderte sich auch die Mikrobenzusammensetzung. Und noch interessanter: Transplantierte man Mikroorganismen aus dem Magen-Darm-Trakt übergewichtiger Personen in sterile Mäuse, nahmen die Mäuse schneller zu als mit der Darmflora schlanker Menschen.

Lee Kaplan und seine Kollegen an der Harvard University haben nun noch mehr Hinweise darauf gefunden, dass Mikroorganismen bei der Gewichtskontrolle helfen und sie auch eine Rolle bei einer der erfolgreichsten Abnehmtherapien spielen, die derzeit zur Verfügung steht: dem Magenbypass. Forscher hatten bereits angenommen, dass ein solcher Eingriff nicht nur wegen der dann automatisch geringer ausfallenden Kalorienaufnahme hilfreich ist. (Ein Magenbypass reduziert das Magenvolumen und sorgt damit dafür, dass Menschen weniger essen können.) Patienten zeigten auch Veränderungen im Blutzucker und bei Hormonen, die den Hunger regulieren – und zwar sogar, bevor sie überhaupt Gewicht verloren.

"Es gibt mehrere Beweisketten, dass der Eingriff nicht nur hilft, weil er mechanisch einschränkt, wie viel man isst, sondern auch, weil die Energiebalance im Körper und der Stoffwechsel verändert werden", meint Kaplan, der Direktor des Massachusetts General Hospital Weight Center ist. Frühere Untersuchungen sowohl bei Nagern als auch Menschen legen nahe, dass ein Magenbypass die Mikroorganismenpopulation im Magen-Darm-Trakt verändert. Einflüsse auf die Gewichtsentwicklung wurden hier aber bislang noch nicht untersucht.

Bei ihrer Studie erforschten die Harvard-Forscher drei Gruppen übergewichtiger Mäuse, die zuvor einer hochgradig fetten Diät ausgesetzt worden waren. Eine Gruppe wurde einer ähnlichen Prozedur wie beim menschlichen Magenbypass unterzogen und verlor daraufhin 30 Prozent der Körpermasse. Bei den beiden anderen Gruppen gab es keine direkte Änderung der Körperanatomie, es wurden nur Proforma-Schnitte vorgenommen. Die Tiere in einer dieser beiden Gruppen wurden anschließend normal gefüttert und nahmen wieder etwas ab, während die andere Gruppe einer restriktiven Ernährung unterzogen wurde, bei der genauso viel Gewicht verloren wurde, wie bei der Magenbypass-Gruppe. Die Magenbypass-Tiere aßen die gleiche Menge an Nahrung wie eine gutgefütterte Kontrollgruppe, es zeigte sich aber, dass sich der Energieverbrauch des Körpers erhöhte und sie so weniger zunahmen.

Durch die Analyse der DNA von Stuhlproben vor und nach dem Eingriff fanden die Forscher heraus, dass der Magenbypass einen deutlichen und bleibenden Einfluss auf die Darmmikroben hatte. So erhöhte sich die Zahl der Bakterien aus der Verrucomicrobia- und Gammaproteobacteria-Gruppe – und zwar in einem ähnlichen Maße wie bei Menschen nach einem Magenbypass. Transplantierte man die Darmmikroben aus den Bypass-Mäusen in sterile Tiere, kam es zu einem Gewichtsverlust. Das zeigt, dass die Mikroorganismen allein zumindest teilweise verantwortlich für den Gewichtsverlust bei einem Magenbypass sind. Tiere, die mit Mikroben aus den beiden Kontrollgruppen "geimpft" wurden, änderten ihr Gewicht nicht.

"Die Veränderung ist nicht einfach nur eine Konsequenz aus der Operation oder dem Gewichtsverlust", sagt David Cummings, Endokrinologe an der University of Washington in Seattle, der die Harvard-Studie kennt. Die Ergebnisse werfen die Frage auf, ob sich die Vorteile eines Magenbypasses womöglich auch ohne chirurgischen Eingriff erzielen lassen – zumindest zum Teil. Um dies zu beantworten, muss die Forschung aber erst einmal herausfinden, welche Mikroorganismen für den Gewichtsverlust verantwortlich sind und wie dieser Vorgang genau abläuft.

Eine Hypothese ist, dass eine veränderte Darmflora den Ruheenergieaufwand des Körpers erhöhen – die Kalorien also, die wir verbrauchen, wenn wir nur herumsitzen. Dieser Energieverbrauch erfolgt in den Muskeln und im braunen Fett. Doch wie die Mikroorganismen im Magen-Darm-Trakt dies beeinflussen, ist Forschern noch ein Rätsel.

Untersucht wird derzeit deshalb auch, was passiert, wenn man die Menge an einzelnen Magen-Darm-Bakterien verringert oder vergrößert – und die der chemischen Stoffe, die sie produzieren. Beispielsweise verändert ein Magenbypass auch die kurzen Fettsäuren, die als Signalgeber dienen.

Abhängig von den Ergebnissen könnte die Wissenschaft in einigen Jahren einen Cocktail an Diätmikroben zaubern. Eine weitere (etwas eklig klingende) Option wären mikrobielle Transplantate von Menschen, die sich bereits einem Magenbypass unterzogen haben. Diese Art von Transplantaten werden bereits für schwere Darmkrankheiten erprobt.

Die zweite neue Studie, die am Cedars-Sinai Medical Center in Los Angeles durchgeführt wurde, fand heraus, dass Menschen mit hohen Methan- und Wasserstoffwerten im Magen-Darm-Trakt – indirekte Kennzahlen für die Anzahl bestimmter Mikroben – mit höherer Wahrscheinlichkeit übergewichtig sind als der Durchschnitt. Dabei konzentrierte sich das Team um Ruchi Mathu auf den Darmbewohner Methanobrevibacter smithii, der hilft, Kalorien aus Nahrung zu extrahieren. Derzeit läuft eine klinische Studie, bei der Testpersonen zielgerichtete Antibiotika erhalten, die diese Mikroorganismen ausschalten. Danach wird dann gemessen, ob sich die Kalorienextraktion verringert. (bsc)