Schäuble und Zypries zanken sich auf europäischem Polizeikongress

Auf dem 11. europäischen Polizeikongress wurden die unterschiedlichen Haltungen des Bundesinnenministers und der Bundesjustizministerin zum Umgang mit dem Datenschutz bei der Terrorismusbekämpfung deutlich.

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Von
  • Detlef Borchers

Auf dem 11. europäischen Polizeikongress in Berlin forderte Bundinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) den polizeilichen Zugriff auf die Schengen-Visa- und EURODAC-Datenbanken, die bisher nur für Visa-Beamte zugänglich sind. Außerdem kündigte er in Ausweitung des Prüm-Vertrages den gegenseitigen Zugriff auf die nationalen DNA-Datenbanken aller 27 Mitgliedsstaaten an und sprach sich für einen weiteren Ausbau der Fluggastdatenbanken aus. Gegen diese ihrer Ansicht nach ausufernde Sammlerei verwahrte sich Justizministerin Brigitte Zypries (SPD). Unter Verweis auf die Proteste von über 10.000 deutschen Demonstranten, die gegen die Vorratsdatenspeicherung auf die Straße gegangen sind, erklärte Zypries, eine Fluggastdatenbank mit einer Eingriffstiefe von 13 Jahren sei der falsche Weg.

Zuvor hatte EU-Kommissar Franco Frattini nach feierlicher Intonation der Europahymne für eine verstärkte Zusammenarbeit der europäischen Polizeikräfte geworben. Als erstes Ziel nannte Frattini die Bekämpfung des internationalen Terrorismus. Er forderte die rund 1500 Delegierten des Polizeikongresses auf, neue Formen des Wissensmanagements und neue Grenzmanagement-Systeme zu entwickeln, mit denen die Radikalisierung von potenziellen Terroristen und die Einreise von Gefährdern frühzeitig entdeckt würden. Als zweites nannte Frattini den Kampf gegen Cybercrime. Das Internet sei ein zunehmend gefährlicher Ort, in dem vor allem die Kinder geschützt werden müssten. Kinderpornografie müsse konsequenter als bisher verfolgt werden.

Schäuble verglich zunächst die aktuelle Polizeiarbeit mit seiner ersten Zeit als Innenminister unter Helmut Kohl. Wie europäisch Europa geworden sei, habe die WM 2006 gezeigt, als 350 Beamte aus anderen Ländern mit allen Befugnissen der Bundespolizei in Deutschland operieren konnten. Früher sei ein derartiger Eingriff in die Staatshoheit absolut undenkbar gewesen. Neben seiner Forderung nach Ausweitung der Prüm-Verträge mit umfangreichen Zugriffsrechten in den jeweiligen nationalen Datenbanken aller EU-Staaten schlug Schäuble eine Art europäisches "Check the Web"-Zentrum vor. Es sei nicht notwendig, dass jeder Staat jede terroristische Bedrohung aus dem Web in irgendeinen entfernten Dialekt übersetze, das könne ein gemeinsames Zentrum besser.

Schäuble bekräftigte seine Meinung, dass das BKA dringend die heimliche Online-Durchsuchung brauche. "Es ist doch schizophren, dass dieselben Menschen, die bedenkenlos ihre Daten ins Internet stellen, sofort die Stasi kommen sehen, wenn wir moderne Ermittlungsmethoden brauchen. Dabei zeigt der anonyme Zugriff auf anonyme DNA-Dateien mit der Hit/No-Hit-Methode, dass wir modernen Datenschutz praktizieren."

Zypries nutzte ihre Rede, um die Fehlentwicklung anzuprangern, nach immer neuen Gesetzen zu rufen, statt Justiz- und Polizeikapazitäten auszubauen. Auch sie blickte zurück und verwies auf die heftig umstrittene Einführung des genetischen Fingerabdruckes vor 10 Jahren. Auch damals habe es geheißen, dass die innere Sicherheit gefährdet sei, wenn die DNA-Datenbanken nicht unverzüglich aufgebaut würden. Heute liegen Zypries zufolge Tausende von DNA-Analysen auf Halde, bleiben viele Spuren unbearbeitet, weil über 12.000 Stellen bei den Ermittlern fehlten.

Ausführlich erzählte Zypries den europäischen Gästen von den deutschen Protesten zur Vorratsdatenspeicherung, die zeigen würden, wie groß die Skepsis bei TK-Experten und Bürgerrechtlern sei. Dabei habe gerade die deutsche Seite dafür gekämpft, den Umfang der Vorratsdatenspeicherung, deren Wirksamkeit durch die Attentate von Madrid bestätigt sei, zu reduzieren. "Trotz aller gravierenden Bedenken hat sich die Bundesregierung in der Pflicht gesehen, nach Madrid diesen europäischen Beschluss umzusetzen. Zu meinem großen Erstaunen muss ich jetzt feststellen, dass erst 7 von 27 Staaten diese Speicherung der TK-Daten umgesetzt haben, die angeblich so dringend benötigt wird."

Bei ihrer Ablehnung der Fluggastdatenspeicherung verwies Zypries auf die Entführung von Hanns-Martin Schleyer durch die RAF vor über 30 Jahren. Auch damals sei die Rasterfahndung erfolglos geblieben, weil ein wichtiges Detail nicht in die Datenbank gelangte. Mit den Worten "Polizeicomputer können Polizisten niemals ersetzen" forderte Zypries den personellen Ausbau von Polizei- wie Justizbehörden und erntete damit den lauten Beifall der Delegierten.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Detlef Borchers) / (anw)