Entscheidet euch!

Der Markt soll die Energiewende regeln und dem steigenden Strompreis Einhalt gebieten, lautet derzeit eine beliebte Forderung. Ein perfides Argument: Einen wirklichen Markt gab es im deutschen Energiesektor noch nie.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 39 Kommentare lesen
Lesezeit: 5 Min.

Der Markt soll die Energiewende regeln und dem steigenden Strompreis Einhalt gebieten, lautet derzeit eine beliebte Forderung. Ein perfides Argument: Einen wirklichen Markt gab es im deutschen Energiesektor noch nie.

Wolfgang Stieler, TR-Redakteur, plädiert für mehr Entscheidungsfreude in der Politik – auch und gerade in Wahlkampfzeiten.

Seit Wochen wird das Drama in der Öffentlichkeit ventiliert. Jetzt ist es endlich amtlich: Die sogenannte EEG-Umlage zur Finanzierung des Ausbaus erneuerbarer Energien wird 2013 um 47 Prozent steigen – auf 5,277 Cent je Kilowattstunde. Das haben die für die Förderzahlungen zuständigen Netzbetreiber Mitte Oktober offiziell mitgeteilt.

Mehr noch: Berücksichtigt man zusätzliche Aufwendungen für den dringend benötigten Netzausbau und weitere durch die Energiewende bedingten Kosten, könnte es 2013 zu Strompreiserhöhungen um "bis zu zehn Prozent" kommen, schätzen mehrere Versorger. Dann könnte die Kilowattstunde über 28 Cent kosten.

Der Rekordpreis sorgt in der Politik für lebhaften Streit darüber, wie sich die Stromkosten insbesondere für Bürger mit niedrigen Einkommen mindern lassen. Auf der Anklagebank sitzt dabei die Energiewende: Zu teuer, zu ideologisch, zu dirigistisch und zu ineffizient sei sie, heißt es. Ein Spielzeug rot-grüner Gutmenschen, das wir uns eigentlich nicht mehr so recht leisten können. Können wir nicht? Selbst wenn die EEG-Umlage jede Kilowattstunde um 5 Cent teurer macht, bedeutet das bei 3500 Kilowattstunden Jahresverbrauch lediglich 175 Euro Mehrkosten im Jahr für einen dreiköpfigen Haushalt. Das ist zwar durchaus spürbar, sollte aber keine spontanen Armuts-revolten auslösen.

Woher also kommt der Zorn auf die Energiewende? Es dürfte viel mit dem verbreiteten Gefühl zu tun haben, dass die Energiewende ein Fass ohne Boden ist. "Die hohen Sätze der Einspeisevergütung für Strom aus Sonne und Wind müssen schneller gekappt und mit marktwirtschaftlichen Instrumenten kombiniert werden", schreibt etwa die "Rheinische Post" in ihrem Leitartikel. "Andernfalls laufen die Förderkosten aus dem Ruder."

Der zweite, noch viel wichtigere Punkt aber ist, dass die ganze Geschichte ziemlich undurchsichtig ist. Ohne Kappung, so die "Rheinische Post" weiter, "entstehen Überkapazitäten ohne Netzanbindung, verstärkt sich die Subventionsmentalität der Ökolobby".

Die "Bild"-Zeitung spitzt die Geschichte in bewährter Manier weiter zu, schreibt von der "Strom-Wut" der kleinen Leute, die jetzt "die Zeche für die Energiewende" zahlen müssen, und fragt rhetorisch: "Warum zahlen wir für die Golfplätze der Bonzen?"

Wie immer, wenn etwas zu kompliziert – und dazu noch ungerecht – zu sein scheint, ertönt der Ruf nach Vereinfachung. Und wie immer gibt es Politiker, die dieses Bedürfnis bedienen. Diesmal zum Beispiel unseren Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP). Der erklärte im Interview mit der "FAZ", man könne die steigenden Strompreise nur in den Griff kriegen, "indem man radikal an das EEG rangeht, und zwar noch in dieser Legislaturperiode. Wir müssen hier weg von Planwirtschaft, hin zu mehr Marktwirtschaft." Sein Parteifreund Andreas Mundt, Chef des Bundeskartellamts, erklärte der Presse, der Versuch, die Ökostromförderung innerhalb des bestehenden Rahmens zu verändern, sei "zum Scheitern" verurteilt, weil das EEG "schon strukturell keinen wettbewerblichen Ansatz" verfolge. "Wir sollten jetzt nicht weiter an den Symptomen rumdoktern, sondern umsteuern", sagte Mundt.

"Umsteuern", mit markwirtschaftlichen Anreizen und "weniger Planwirtschaft" – klingt gut, oder? Eigentlich war ja bereits das ursprüngliche Stromeinspeisungsgesetz von 1991 ein Versuch der Grünen, genau das zu installieren: Einen Mechanismus, der Ökologie und Ökonomie vereinigt, indem man ökologisches Verhalten am Markt belohnt.

Das hat einerseits gut funktioniert, andererseits überhaupt nicht: Die garantierte hohe Rendite für die Einspeisung erneuerbarer Energien hat dazu geführt, dass der Ausbau grüner Energieträger sehr viel schneller gelaufen ist, als alle geglaubt haben. Dieser Erfolg führt dazu, dass der Strompreis an der Börse stetig sinkt. Das ist gut. Er führt aber auch zu einer stetig steigenden EEG-Umlage, die wiederum den Endverbraucherpreis für Strom in die Höhe treibt, obwohl Wind und Sonne nichts kosten. Das ist schlecht.

"Mehr Markt" wird da nicht helfen. Denn der Energiemarkt war noch nie ein klassischer Markt, auf dem Anbieter und Abnehmer frei darüber entscheiden, wann sie was zu welchem Preis kaufen. Vielmehr begünstigt die Struktur des Energiemarktes einen schnellen Konzentrationsprozess. Und so haben sich bereits im Zuge der Industrialisierung "natürliche Monopole" herausgebildet – eine Handvoll Unternehmen, die so mächtig waren, dass sie die Energieversorgung des Landes nahezu ungestört unter sich aufteilen konnten.

Die Liberalisierung des Strommarktes von 1998 hat zwar diese alten Gebietsmonopole aufgebrochen, aber an der wirtschaftlichen Vormachtstellung dieser Konzerne nur wenig geändert. Jeder "Marktmechanismus", egal wie er aussieht, wird auch künftig den großen Versorgern in die Hände spielen. Außerdem kann die Frage, wie wir unsere Energieversorgung gestalten wollen, doch nicht nur von den Kosten abhängen. Ginge es nur danach, müssten wir den deutschen Strom komplett aus Braunkohle erzeugen. Am besten mit Braunkohle aus Australien – die ist weltweit am billigsten. Wollen Sie das? Ich will es nicht. Aber das ist eine politische Entscheidung. Wie der Energiemix der Zukunft aussieht, sollte nicht an der Börse entschieden werden, sondern an der Wahlurne. (wst)