Ökostromrekord verschärft Schieflage der Energiewende

In dieser Woche wurde zeitweise so viel Solar- und Windstrom eingespeist wie noch nie. Doch da wegen ökonomisch guter Bedingungen auch der Kohlestrom boomt, gerät die Energiewende in Schieflage. Für die Bürger wird das teuer.

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Von
  • Georg Ismar
  • dpa

Der Wind hat sich gedreht, er bläst nun von vorn. Kräftig. Es ist keine zwei Jahre her, da klopften sich Union, FDP, SPD und Grüne auf die Schultern und sprachen von einem historischen Beschluss für einen Atomausstieg bis 2022. Heute hört sich manche Äußerung so an, als seien Solar- und Windstrom reines Teufelszeug.

Die Energiewende ist, befeuert durch Debatten über hohe Kosten und Strompreisbremsen, vom Positiv- zum Negativprojekt geworden. Entsprechend defensiv geht die Ökoenergiebranche mit einem neuen Rekord um: Noch nie wurde so viel Wind- und Solarstrom erzeugt wie am Donnerstag – zeitweise war es die Leistung von 26 Atomkraftwerken.

"Wer jetzt wieder von einem Überangebot an Wind- und Solarenergie redet, vergisst: Es ist allenfalls zu viel Kohlestrom im Netz", betont Hermann Falk, Geschäftsführer des Bundesverbands Erneuerbare Energie (BEE). Die nackten Zahlen: Am Donnerstagmittag um 12 Uhr lieferten Solar- und Windstrom rund 35.900 Megawatt Strom – Solar kam dabei auf fast 20.000 Megawatt. Wäre es ein Sonntag gewesen, wenn am wenigsten Strom verbraucht wird, hätte mit dieser Menge an Ökostrom fast der gesamte Strombedarf in Deutschland gedeckt werden können.

Das bedeutet, die Energiewende stößt nun in neue, kritische Dimensionen vor. "Erstmals wurde Deutschland an einem laststarken Werktag zwischenzeitlich zu mehr als 50 Prozent mit Strom aus Wind- und Solaranlagen versorgt", betont der Direktor des Wirtschaftsforums Regenerative Energien, Norbert Allnoch. Fossile Kraftwerke lieferten parallel 33.300 Megawatt "grauen Strom". Besonders klimaschädlicher Kohlestrom ist dabei weiter dominierend – Kohle- und Atomkraftwerke können bei viel Sonne nicht mal eben rasch runtergefahren werden.

Somit kann der in diesem Jahr mit rund 20 Milliarden Euro von den Bürgern geförderte Ausbau erneuerbarer Energien zum klimapolitischen Nullsummenspiel werden. Statt geplanter 30 Euro pro ausgestoßener Tonne CO2 müssen Kohlekraftwerke wegen eines dramatischen Verfalls im EU-Emissionshandel teils nur unter 4 Euro pro Tonne zahlen. Das Europaparlament hat am Dienstag einen Markteingriff zur Steigerung der Preise für CO2-Zertifikate abgelehnt. 2012 stiegen auch wegen der Kohlestromerzeugung die CO2-Emissionen in Deutschland erstmals seit langem wieder um 2 Prozent. Braunkohle hat noch einen Anteil von 25,7 Prozent an der Erzeugung, Steinkohle kam 2012 auf 19,1 Prozent.

Zwar dürfte der Anteil von Ökostrom am Verbrauch in diesem Jahr auf über 25 Prozent klettern und Bundesumweltminister Peter Altmaier (CDU) hofft, dass der Anstieg des CO2-Ausstoßes ein Ausreißer bleibt. Aber nach Ansicht von Experten hat er viel Zeit und Arbeitskraft mit dem Einsatz für seine gescheiterte Strompreisbremse verbraucht, statt sich mehr dem Systemkonflikt bei der Energiewende zu widmen.

Eigentlich sollten mehr Gaskraftwerke, die binnen Minuten hoch- und runtergefahren werden können, die Antwort auf das Problem der je nach Wetter völlig unterschiedlichen Ökostromerzeugung sein. "Die Devise muss lauten: Flott und flexibel, statt träge und schmutzig", sagt der Grünstrom-Lobbyist Falk. Was er aber nicht sagt: Wer soll Gaskraftwerke bauen, wenn sie nicht auf genug Betriebsstunden kommen?

Bis Ende März exportierte Deutschland bereits 16 Terawattstunden (TWh) ins Ausland – im gesamten Jahr 2012 waren es 22,8 TWh – das war schon fast viermal so viel wie 2011. Neben überschüssigem Ökostrom befeuert besonders Kohlestrom die Stromexportrekorde. Durch das Überangebot purzeln die Preise im Stromeinkauf – weshalb auch RWE und Vattenfall mit Kohlekraftwerken nur bedingt gute Geschäfte machen.

Am Donnerstag, als weit mehr Wind- und Solarstrom als zuvor prognostiziert erzeugt wurde, fiel der Preis an der Strombörse je Kilowattstunde auf zeitweise 0,7 Cent – normal sind rund 5 Cent. Immerhin musste nicht – was zuletzt auch immer häufiger vorkam – noch Geld draufgezahlt werden, damit irgendjemand den Strom abnimmt.

Leidtragende sind die Verbraucher. Ihr Endkundenpreis setzt sich zusammen aus dem Preis für den Einkauf, Netzgebühren – und 50 Prozent Steuern und Abgaben. Wird der Strom im Einkauf immer billiger, wächst paradoxerweise die im Strompreis enthaltene Umlage zur Förderung von Wind- und Solarstrom. Denn gezahlt werden muss die Differenz zwischen dem für den Strom erzielten Preis und dem festen Vergütungssatz für jede Kilowattstunde Solar- oder Windstrom. Im Herbst wird die neue Öko-Umlage bekanntgegeben. Das Durcheinander im Strommarkt könnte den Verbrauchern pünktlich zur Bundestagswahl eine böse Überraschung bescheren. Sie müssen mit weiter steigenden Strompreisen rechnen. (anw)