Klartext: "Immerhin hat er die Autobahnen gebaut!"

Die Verkehrsminister von Bund und Ländern schlagen Alarm wegen des schlechten Zustands unserer Straßen, vermeldet der afp-Ticker dieser Tage. Das ist ein bisschen, als würden die Hunde Berlins Alarm bellen wegen der Menge an Kot auf dem Asphalt

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 21 Kommentare lesen
5 Bilder
Lesezeit: 6 Min.
Von
  • Clemens Gleich
Inhaltsverzeichnis

Die Verkehrsminister von Bund und Ländern schlagen Alarm wegen des schlechten Zustands unserer Straßen, vermeldet der afp-Ticker dieser Tage. Ach. Wer ist denn schuld, dass die Straßen so aussehen? Ein Verkehrsminister würde sagen: der Autofahrer. Und der LKW-Fahrer, die schwere, destruktive Sau. Ein Verkehrsminister ist in seiner Art also entweder sehr dumm oder sehr dreist oder beides, denn der Autofahrer und der LKW-Fahrer, das sind beides Kostenträger, die viel mehr Geld einbringen, als ein Verkehrsminister je für sie ausgeben würde. Und deshalb sehen die Straßen so aus wie sie eben aussehen: jedes Jahr schlimmer.

Nein, das ist keine Variante von "früher war alles besser", sondern ausnahmsweise eine Tatsache. Die Infrastruktur in Deutschland verrottet schneller, als sie instand gehalten wird, geschweige denn ausgebaut wird. Wer heute vorschlägt, eine neue Straße zu bauen, kann sich für denselben Geschreieffekt auch gleich mit einem Schild "Tötet alle Kinder!" an den Prenzlberg stellen. Apropos Prenzlberg: Stuttgarts Klassensprecher Fritz Kuhn hat kürzlich einen langjährigen Bewohner der Stadt mit folgendem Satz zum Grübeln gebracht: "Wissen Sie, wer Straßen sät, ne, der wird Verkehr ernten." Ach. Straßenverfügbarkeit verursacht Verkehr? Genau, und Störche verursachen Kinder. Daimler, Bosch, Porsche, Mahle und wie sie alle heißen, die ziehen Menschen in den Ballungsraum, die dort Dinge produzieren, und diese Kombination erfordert eine sogenannte "Infrastruktur", und eine Infrastruktur ist in einer demokratischen Gesellschaft selbst heute noch am besten ein Gemeinschaftsprojekt zur Verbesserung des Lebens aller. Aktuell wird es uns immer enger, und wenn du langfristig weiterhin einen sogenannten "Wirtschaftsstandort" haben willst, lieber Fritz, dann musst du auch irgendwann das I-Wort nicht nur versprechen, sondern auch halten. Ich will nix von Geld hören. Stuttgart 21 wurde in den Neunzigern wegen guter Schmierung beschlossen, und das kostet die Welt. Wenn das geht, dann geht mit (zur Abwechslung) gutem Willen auch ein Ausbau der Durchgangsstraßen.

Aktuell ist es so, dass eine Handvoll Leute in kürzester Zeit die ganze Stadt dicht machen können. Das ist gar kein Schäublesques "Hilfe!! TERROARR!!", sondern belegt durch legale kleine Demos zum Beispiel über den Charlottenplatz oder sogar über Unfälle an kritischen Stellen. Da ist schnell die Stadt dicht bis an die Ortsschilder. Es gibt wegen Schichtwechsel in den großen Betrieben mindestens drei Rush Hours täglich, vor denen man Gäste scharf warnen muss, weil sie sich das Ausmaß nicht vorstellen können, wenn sie nur Tokio oder Shanghai kennen. In Asien gibt es wenigstens ein Problembewusstsein: Dieses Defizit kostet uns nicht nur Nerven, sondern auch Geld. Die überlasteten Straßen hier dagegen regen als einziges Problembewusstsein Schließungsanfragen an. Aber es sind nicht nur mehr Autos geworden, sondern generell mehr Menschen. Dieser demographische Effekt nennt sich "Urbanisierung", lieber Fritz. Gut, okay, du möchtest als Grüner weniger Autos in der Innenstadt. Aber dann musst du eine Infrastruktur-Alternative anbieten. Die Öffis in Stuttgart sind erstens eine Frechheit und zweitens trotzdem wie die Straßen seit langer Zeit zu Stoßzeiten überlastet. Wer Schienen sät, kann S-Bahn-Verbindungen ernten, weiß der alte Verkehrsministerbauernregelkalenderspruch.