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Was war. Was wird.

So ein Bussi-Marathon kann schon anstrengend sein. Nach ein paar Tagen mit den Digital Natives im Berliner Postbahnhof ist Hal Faber, der alte Immigrant, äh, Sack, ganz schön müde.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Die re:publica ist vorüber, doch das Glänzen in den Augen der digital Natives hält noch an. Was einst im analogen Kontakthof der Kalkscheune ein kleines Digitümmel war, ist in der Station Berlin mit ihrem großen Innenraum ein einziger Bussi-to-Bussi-Marathon geworden. Dort, im alten Postbahnhof, wo in der Zeit des Kalten Krieges der Postverkehr mit der DDR illegal überwacht wurde, zeigte sich die Jugend kontaktfreudig und offen, immer bereit, die tollen drei Tage auf Facebook zu kommentieren. Die alten Säcke, von den Partygängern mitleidig Digital Immigrants genannt, rätseln derweil über die nach 1980 geborenen, ausweislich der Wikipedia so genannten Alterskohorte. Für sie stellt sich der Satz von Vint Cerf, einem der "Väter" des Netzes etwas anders da: "The Internet lives where anyone can access it." Das Internet ist nicht einfach da, um Facebook erreichen zu können, sondern ist ein besonderes Nervensystem, für das gekämpft werden muss, damit es lebenswert bleibt. Das Engagement für ein freies Netz gehört zum Netz, wenn die Netzneutralität in Frage gestellt wird und Politiker wie Sascha Lobo (SPD) und Thomas Jarzombek (CDU) Kompromissfähigkeit anmahnen.

*** Das Schöne an Deutschland ist seine Übersichtlichkeit. Politisch nennt sich das Förderalismus: Je nach Bundesland fördert sich die eine oder andere Beziehung zum Vorteil beider. So passt es schließlich ganz vorzüglich zum Wahlkampf im Zeichen der Managed Services, dass SPD-Mann Steinbrück die Telekom-Professorin Gesche Joost in seinen Stab beruft, die sozialdemokratische Brücke zur "Netzgemeinde" zu befestigen. Rotschopf Sascha Lobo wäre sicherlich die bessere Wahl, doch darf es in der SPD nur einen Selbstdarsteller geben, die Tempobremse "Siggy Pop". Managed Services muss übrigens die Bundesnetzagentur genehmigen. So passt es zum allgemeinen deutschen Förderalismus, dass das Berliner Büro der Agentur von einer Mätresse eines bayerischen Provinzfürsten geführt wird.

*** So schnell kann das gehen: Da beklagt eine digital Native in ihrem Blog das Leiden ihrer Generation Praktikum – mit aufschlussreichen Kommentaren ihrer LeserInnen – da hat es sich mit dem Praktizieren ohne Aussicht auf Irgendwas: Die neue politische Geschäftsführerin der Piratenpartei wird sich kaum auf ihrem Dissener Bauernhof ausruhen können, sondern muss ab ovo Netzkompetenz zeigen und alberne Alliterationen wie Piraten-Prinzessin ertragen. Dass ausgerechnet Grüne mitjammern und auch da noch die Besseren sein wollen, passt ganz ausgezeichnet ins Bild. Wie heißt es noch im neuen Wahlprogramm der Piraten zur Kulturpolitik: die bedingungslose Teilhabe an Kunst und Kultur, Transparenz der Kulturförderung und die intensive Zusammenarbeit von Hochkultur, Populärkultur, freier Szene und Laienkultur ist Pflicht aller Kulturschaffenden. Walter Ulbricht, 1952?

*** Heute vor 18 Jahren, am 12. Mai 1995 berichtete die tageszeitung über ihre eigene Web-Präsenz als erste deutsche Tageszeiung. Dass die Wikipedia das anders sieht und der am 5. Mai im WWW gestarteten Schweriner Volkszeitung den ersten Platz zuerkennt, das wurmt die taz-Techniker noch heute. Besonders amüsant ist der letzte Satz des Artikels zum unrunden Jubiläum: "Niemand glaubte an die ökonomische "Kannibalisierung" der Papierzeitungen durch das Internet - deshalb hat die taz damals sämtliche Artikel online gestellt." Dabei war die allererste Digitaz gar nicht kostenlos, sondern erklärte lang und breit den geschätzten LeserInnen, dass die digitaz wie Shareware-Software funktioniert. WWW-Nutzer sollten auf freiwilliger Basis ein Netzabo in selbstgewählter Höhe zahlen!

Kurz nach der taz startete Die Welt im Web, danach die Rhein-Zeitung, die Saarbrücker Zeitung und die Schwäbische Zeitung sowie der Tagesspiegel. Im Sommer 1995 konnte man acht deutsche Tageszeitungen im WWW lesen. "Kostenlos" war bis auf die freiwillig zu zahlende taz niemand: die Zeitungen verkauften ihren Kunden eminent teure "Internet-Anzeigen" und traten gegenüber den Lesern als Internet-Zugangsanbieter auf. Nicht mal ein Jahr verging, bis die Verleger eine Suchmaschine namens Fireball ins Rennen schickte. Soviel zum zeitgenössischen Gejammere der Branche über die schutzlose Leistungsungerechtigkeit dieser Welt.

*** Wie es sich in dieser Woche andeutete, nimmt die Diskussion über Kampfdrohnen massiv an Fahrt auf. Ist zur grundsätzlichen Problematik nicht alles gesagt? In einem nicht online verfügbaren Kommentar heißt es heute in der Wochenendbeilage der Süddeutschen Zeitung, dass sich Deutschland entscheiden muss: "Die Frage der Kampfdrohnen spaltet die Gesellschaft. Aber wenn sie solche Waffen nicht will, darf sie keine Soldaten in Kriege schicken." Doch es gibt ja noch die, die solche Waffen wollen. Es gibt ferner den unbewaffneten Eurohawk, der eines Tages über unseren Köpfen Aufklärung betreiben soll. Bei diesem Flieger hapert es an den erforderlichen Genehmigungen. Eine preiswürdige Lösung des Problems ist ein Flugzeug, das mit einem Piloten überall Überflugrechte hat und mit wenigen Handgriffen in 4 Stunden zur Drohne umgebaut werden kann. So will die Schweiz ihr Drohnenproblem lösen. Damit es nicht bedrohlich aussieht, werden Crash-Test-Dummies neben den Computer gesetzt. Mmm Mmm Mmm Mmm.

Was wird.

Gleich am Montag geht es weiter mit dem Gezerre um das Internet, das in "Diesem Unseren Land" inmitten einem bipolar gestörten neurotischen Europa einen schweren Stand hat: Die sogenannte Störerhaftung steht zur Debatte, die Sachverständigen sind geladen. Das unsägliche Konstrukt entstand aus einem Riss zwischen Telemedien- und Telekommunikationsgesetzen und führt dazu, dass etwa derjenige, der in Potsdam um einen Schluck Wasser bittet, ein virtueller Slowene ist. Im Sinne des neurotischen Europas ist das eine klasse Sache: wir sind eine Kultur! Lasst 1000 Blumen blühen! Im Sinne mancher Anwälte sieht das ganz anders aus: nur digital Naives glauben, das freies WLAN eine Selbstverständlichkeit ist. Auch diese Sache muss erkämpft werden.

Am Dienstag ist es endlich soweit, wenn das "Inferno" des weltensbesten Autors Dan Brown erscheint. Dann können wir alle nach diesem kleinen Vorspann weiterlesen, wie der Symbologe Robert Langdon wieder einmal die Welt retten wird dank kniffeliger Lektüre von Dantes Inferno. Wir lernen den Unterschied zwischen der impotentia coeundi und der impotentia generandi. Letztere wird von einem Virus namens Inferno erzeugt, den ein verrückter Wissenschaftler entwickelt hat, um auf elegante Weise die Erde von der sie quälenden Menschheit zu befreien. Dan Brown verklappt auf Hunderten von Seiten den Transhumanismus und serviert etwas Kripkenstein, bis am Ende die Erkenntnis steht, dass... aber nein, ich bin kein Spielverderber.

Das nächste Vorbild für einen richtigen Dan-Brown-Thriller könnte der japanische Mathematiker Shinichi Mochizuki sein, dessen vor einem Jahr veröffentlichter Beweis der abc-Vermutung so unverständlich sein soll, dass bisher niemand diesen Beweis nachvollziehen konnte. Dan Brown, dieser Chuck Norris der Tastaturen, wird alles von Mochizuki entschlüsseln, auch ein verschlüsseltes iPhone 4S. Chuck Norris liest übrigens keine Bücher. Er starrt sie an, bis er die nötigen Informationen bekommen hat, die er braucht. Chuck Norris liest nur The H. (vbr)