Szenarien der Gigabit-Gesellschaft: Von "Open Everything" bis "Nachhaltig leben"

Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung hat für die Initiative D21 sechs positive Entwürfe für die von großen Datenmengen geprägte digitale Welt sowie mögliche negative Pendants dazu erstellt.

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Der Begriff der breitbandigen und von der Übertragung großer Datenmengen geprägten "Gigabit-Gesellschaft" macht seit 2010 die Runde, auch Kanzlerin Angela Merkel (CDU) führte ihn auf dem IT-Gipfel 2012 bereits im Munde. Das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung (ISI) hat sich nun im Auftrag der Initiative D21 daran gemacht, die Worthülse mit Inhalten zu füllen. Es ist auf sechs positive Szenarien und negative Pendants für das Jahr 2020 gekommen, die am Dienstag in Berlin vorgestellt wurden.

Damit die Positiventwürfe realisiert werden könnten, müsse der Breitbandausbau entschlossen fortgesetzt, die Übertragungsgeschwindigkeit im Internet deutlich erhöht werden, meinen die Wissenschaftler. Der Anteil der Offliner an der Gesamtbevölkerung sei weiter zu reduzieren. Gerade für Standort- und Nutzungsdaten müsse eine "neue Balance" zwischen Offenheit und Schutz der Privatsphäre gefunden werden. Für den Umgang mit der Informationsflut seien Strategien zu entwickeln.

Im ersten Modell "Open Everything" fordert die Gesellschaft mehr Transparenz und Partizipation auf allen Ebenen ein. Hierarchien verlören an Autorität, wenn diese nicht inhaltlich gut begründet oder auf einer breiten Legitimation vieler Beteiligter beruhe. Öffentliche Daten werden von den Behörden nach dem Open-Data-Prinzip freigegeben und stehen für neue Anwendungen zur Verfügung. Bildung und Wissenschaft werden durch die kostenfreie Publikation von Forschungsergebnissen auf Open-Access-Portalen zugänglicher und flexibler.

Der Charakter des offenen Internets bleibe erhalten, heißt es in dem Szenario. Weitere Stichworte sind Open Innovation, Open Government mit dem gläsernen Rathaus und Open Education. Die sich derzeit abzeichnenden Öffnungs- und Beteiligungstendenzen könnten sich aber auch abschwächen oder gar ins Gegenteil verkehren. Als Resultat malen die Forscher ein Closed-Shop-Modell an die Wand, in dem große Internet- und Medienkonzerne das Netz in eine geschlossene Plattform verwandeln.

"Die Menschen erwarten zunehmend die digitale, unmittelbare Verfügbarkeit von Informationen, Einkaufsmöglichkeiten und Bildungsangeboten", heißt es im Szenario "Alles in Echtzeit". Warten, umständliche Recherche und langwierige Suchprozesse würden als unzeitgemäß betrachtet. Glasfasernetze und interoperable Anwendungen seien die Voraussetzung, um diese Bedürfnisse zu befriedigen. Das Gegenbild dazu lautet "Stau in der Cloud": Das Netz fällt darin immer öfter aus, die Nutzer fühlen sich von der Beschleunigung überfordert, lehnen es teils bewusst ab, ständig erreich- und verfügbar zu sein.

Im Entwurf "Vernetzte Mobilität" beansprucht ein Großteil der Gesellschaft neue, miteinander verwobene Verkehrskonzepte, da sie sich einfach und flexibel nutzen lassen. Dabei spielt auch die Elektromobilität eine zentrale Rolle. Das Verkehrsleitsystem ist durch Informationen aus tausenden Sensoren und durch "Car-to-Car-Kommunikation" immer auf dem aktuellen Stand. Auch dieses Modell ist aber kein Selbstläufer, da die Multimodalität in Form einer Kombination verschiedener Transportmodi nicht funktionieren und die Anwender überanstrengen könne.

Im Szenario "Do it Yourself" werden die 3D-Drucker für jeden erschwinglich. Die Anwender tauschen Entwürfe und Anleitungen über Online-Plattformen aus. Nutzergenerierte Inhalte haben generell einen besonderen Stellenwert: Inhalte lokal aktiver Bürgerreporter werden "wo immer möglich" bevorzugt, die regionale Musikszene unterstützt. Als Gegenstück sei aber auch die "Rückkehr der Profis" denkbar: Vielen sei der Aufwand, alles selbst zu erstellen und Nachrichten zu filtern, zu groß geworden. Eine neue Arbeitsteilung und Spezialisierung sei die Folge.

Der "informierte Patient" ist das Leitbild des Modells "Intelligente Gesundheit". Die Menschen wollen demnach länger gesund und eigenbestimmt leben sowie individuell medizinisch behandelt werden. Unterstützt werden sie durch eine laufende Kontrolle ihrer Vitaldaten durch Apps oder umfangreichere "Ambient-Assisted-Living-Systeme". Elektronische Gesundheitskarten und Patientenakten sind gut verschlüsselt und verfügen über abgestufte Zugriffsrechte, was zu ihrem Erfolg beiträgt. Die "Informatisierung des Gesundheitssektors" könne aber auch Stückwerk bleiben, wenn Anwendungen nicht zuverlässig funktionierten, zu kompliziert seien oder sich die Nutzer von der Datenfülle erschlagen fühlten.

Im Szenario "Nachhaltig Leben" schließlich stellen sich die digitalen Techniken in den Dienst der Energiewende und helfen dabei, Energie zu sparen und selbst erzeugten Strom intelligent über "Smart Grids" einzusetzen. Die Wirtschaft habe es verstanden, Smart-Home-Anwendungen mit Elektromobilität zu koppeln und den Kunden attraktive, auf intelligenten Stromzählern aufsetzende Dienste anzubieten. Die Bevölkerung könne aber auch Einschränkungen in der Lebensqualität sowie hohe Preise durch den Umstieg auf die Erneuerbaren befürchten. Smart Grids entpuppten sich als zu teuer und komplex, ein Mehrwert sei nicht absehbar. (anw)