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Was war. Was wird.

Was ist schon gerecht, meckert Hal Faber. Aber Fußball und Kunst, beziehungsweise Musik, was haben die auch schon mit Gerechtigkeit zu tun. Zumal es Wichtigeres gibt. Die Netz-Kompetenzteam-Beauftragte Steinbrücks gehört nicht dazu.

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Lesezeit: 10 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Okay. Der SC Freiburg hat es nicht in die Champions-League-Qualifikation geschafft. Dabei hätte er es verdient. Aber seit wann ist Fußball gerecht? Zumindest aus Fan-Sicht war er das noch nie. Da ist die Bundesliga wie der ESC: Wer Fan ist, dem ist egal, ob das Spiel - oder die Musik - was taugt. Okay, das ist jetzt ungerecht für den SCF - denn ein Vergleich mit dem tumben Eurodance-Pop von Escanda hat das schöne Spiel der Freiburger Fußballer nicht verdient. Die FAZ meint ja, der ESC werde ungerecht behandelt: "Wie kommt es eigentlich, dass eine so harmlose, völkerverbindende und insgesamt fröhliche Veranstaltung wie der Eurovision Song Contest (ESC) in den deutschen Medien überwiegend niedergeschrieben wird?" Mag sein, dass dies eine richtige Frage ist. Schlechte Musik bleibt aber schlechte Musik, auch wenn sie im Radio rauf und runter gedudelt wird. Dass aber auf dem ESC nicht nur schlechte Musik zu hören ist, mag auch so etwas wie eine Binsenweisheit sein. Genauso wie die Erfahrung, dass in der Bundesliga mittlerweile nicht nur Rumpelfußball gespielt wird. Sagte ich SC Freiburg? QED: Musik!

*** Fußball und Kunst, beziehungsweise Musik? Warum nicht. Denn hinter jedem Inhalt steckt ein Kopf, der ihn erarbeitet hat, heißt es. Das gilt auch für diese kleine fast kostenlose Wochenschau aus der norddeutschen Tiefebene, wie immer – Fußball hin, Musik her – hart erarbeitet, ach, was sag ich, erschuftet! Das ist bittschön eine Qualitätswochenschau, anders als diese bald zurecht verbotenen No-Name-Kännchen voller xy-Öl ohne BSI-Siegel auf den Fläschchen. Man sollte auch übrigens auch No-Name Pfeffer & Salzstreuer verbieten, Schankbiere und offene Weine, alles ein einziger Quell von Betrügereien. Nein, das hier ist gewürzt mit handverlesenen Pointen aus der Erzeugerabfüllung, gewachsen auf dem Terroir der IT, einer durch und durch käuflich gewordenen Branche, wo jeder mitnimmt, was zu nehmen ist und dann etwas über eine Neiddebatte faselt. Auf der einen Seite haben wir Vorgaben, die die Mitnahme eines USB-Sticks von mehr als 1 GByte als unerlaubte Vorteilsnahme untersagen, auf der anderen Blogger, die auf jede Ethik pfeifen, falls sie das Konzept kennen und nicht mit einem gesponserten E-Ticket verwechseln.

*** Insofern wird man einer Gesche Joost mit diesem Lebenslauf nicht verdenken können, für lau die "Web-Expertin der SPD" zu werden und sich in eine begeisterungsfähige Netzpionierin und Künstlerin der @Generation zu verwandeln. Klar hätte der Partei ein Kümmerer wie Nico Lumma besser zu Gesicht gestanden, aber der spricht offen von Drosselkom und hätte sich bei Steinbrücks Vorstellung eines "Kenners aller Entwicklungen unseres zunehmend digitalisierten Lebens" das Lachen sicher nicht verkneifen können. Es gibt viele Joostizismen, auf die wir uns in diesem Wahlkampf freuen können. Im vollen Wortlaut etwa heißt ein eben gerade bereits verballhornter Satz: "Viele netzaffine Leute begreifen langsam, dass hinter jedem Inhalt auch ein Kopf steckt, der ihn erarbeitet hat. Die Gratiskultur nimmt ab, auch das Image von illegalen Plattformen hat zu Recht stark gelitten." Wenn diese hintereinander gesprochenen Sätze einen Sinn machen sollen, dann korrespondieren die langsam begreifenden "netzaffinen Leute" mit der abnehmenden Gratiskultur. Fehlt nur noch die Gratismentalität aus dem Wörterbuch des Internetbanausen. Ein guter Auftakt ist das nicht, wenn man Internet-Ministerin werden will. Bemerkenswert schnell hat übrigens der angefressene Googleplex reagiert: Autocomplete schlägt bei der Suche nach Gesche Joost nicht mehr das Telekom Design Research Lab vor.

*** Bis auf die Wurst hat alles mal ein Ende, auch das größte "Inferno" aller Zeiten. Im Wust der Rezensenten verdiente sich der witzige Liveticker des Tagesanzeigers seine Lorbeeren, zumal er nicht davor halt machte, auf den freigesetzten Impotenz-Virus hinzuweisen, der nunmehr unter der Menschheit wütet. Verwunderlich ist nur, dass bei diesem Superseller noch niemand darauf hingewiesen hat, wie sehr sich Dan Brown an der Bevölkerungsbombe von Paul Ehrlich vergriffen hat. Grenzenlos war jedenfalls der Jubel im Bildungs- und Forschungsministerium, dass da ein so hammergeiler Satzklempner wie Brown mit seinem Rattenlabyrinth aus Wikipediawissen einen Beitrag zum ansonsten recht müden Wissenschaftsjahr 2013 liefert, das sich bekanntlich mit der demografischen Chance beschäftigt. Demografischer Wandel, da war doch was? Es ist schon einige Zeit her, dass der vor 100 Jahren geborene Fernsehprofessor Heinz Haber mit seinem besten Freund und erbitterten Gegner, dem ebenfalls vor 100 Jahren geborenen Robert Jungk, vor laufender Kamera über die Bevölkerungsbombe diskutierte, auf einem Niveau, das jeden heutigen "Talkmaster" zerbröseln würde.

*** Jungk war der erste, der sich intensiv mit dem Befehl Think! beschäftigte, dem Firmenmotto von IBM. Ich wiederhole mich und zitiere Jungk noch einmal, aus aktuellem Anlass. "Die Tatsache, dass Elektronenhirne ins Weiße Haus eingezogen sind, ist daher nicht besorgniserregend, sondern beruhigend. Denn diese Datengeräte ermöglichen es dem Staatschef, das vielfältige und verworrene Gewebe der Wirklichkeit, die zahllosen aufeinander einwirkenden Prozesse und Tatsachen genauer zu erfassen und erlauben so den führenden Politikern, die im Besitze solchen Wissens sind, vernünftiger zu handeln, als es eine Führung vermöchte, die nur ihren Eingebungen und Launen vertrauen würde." Ist die Regierung von Barack Obama vernünftig geworden, zeigt sie Einsicht, was die Rolle und Funktion der Whistleblower anbelangt? Oder ist es gerechtfertigt, einen Vergleich von Obama mit Nixon anzustellen? Obamas Aufforderung, die Geschichtsbücher zu lesen, ist lahm.

*** Deutschland hat nicht die scharfen Luftfahrtgesetze wie Swaziland, wo schon der Flug mit dem Besenstiel auf 150 Metern Höhe verboten ist und ein Detektiv verurteilt wurde, dessen Drohne höher flog. Aber Deutschlands und Europas Lüfte sind streng kontrolliert. Das ist keine ganz neue Erkenntnis nach dem Aus für den EuroHawk, bei dem allein die politischen Reaktionen verwunderlich sind. Denn bekanntlich beschwerte sich der Bundesrechnungshof schon 2012 über die Geheimniskrämerei des Projektes. Und im Jahre 2011 veröffentlichte das Büro für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag den Bericht Stand und Perspektiven der militärischen Nutzung unbemannter Systeme, in dem der EuroHawk sehr skeptisch beurteilt wird, was die Kommunikation zwischen Drohne und Bodenstation anbelangt. Nicht nur das: "Im Bereich der Flugbetriebsverfahren wird Neuland betreten." Eben dieses "Neuland" hat nun dem Vogel die Flügel gestutzt. Was bleibt, ist die Frage, warum niemand Stopp gesagt hat. Die Antwort ist überaus schräg: "Dieses 'Juwel', das da drin ist, mit dem man sehr schön gucken und schauen kann, behalten wir." Nur gibt es nichts zum "Gucken": Die im EuroHawk eingebaute Anlage soll der SIGINT-Überwachung dienen und die $(LEhttp://de.wikipedia.org/wiki/Frequenzband:UHF/SHF- und EHF-Frequenzbänder überwachen, soll Radarstationen, TETRA- oder Tetrapol-Sender im Osten ausfindig machen, mitschneiden und zur Bodenstation senden, wo das Material dekodiert wird.

Was wird.

TETRA, Tetrapol, was war das noch? Richtig, es geht um die abgesicherte Kommunikation von Streitkräften (Tetrapol bei der Bundeswehr) und Polizeitruppen (BOS-Funk nach dem TETRA-Standard). Hier gibt es endlich einmal einen Erfolg eines deutschen IT-Projektes zu feiern: In diesen schönen Frühlingstagen ist das Kernnetz des Funksystems komplett, das eigentlich zur Fußball-WM 2006 in Deutschland startklar sein sollte. Das hielt man 2002 für ein realistisches Ziel. Im Jahre 2007 freute man sich, dass 2010 der Funk flächendeckend da sein wird. Nun schreiben wir 2013 und haben ein Kernnetz, der Rest ist nur eine Fleischwunde, wie das Kampfkundige formulieren. Gefeiert wird übrigens in Paris, wo ab Dienstag die Critical Communication World stattfindet.

Nicht dabei ist unser Bundesinnenminister Friedrich. Schließlich hatte sein Vor-Vorgänger Schäuble bereits das fotogene Vergnügen, den Polizeifunk offiziell zu starten. Außerdem beginnt am Mittwoch die Frühlingskonferenz der deutschen Innenminister mit einem absoluten Novum: Erstmals seit der Erfindung der Keule mahnt ein deutscher Innenminister zur Besonnenheit, was den Einsatz neuer Überwachungstechnologien anbelangt. Der Mann heißt Boris Pistorius und hat zuvor jahrelang die "Friedensstadt Osnabrück" regiert. Er hat Recht: Nach der neuesten Kriminalstatistik ist die Zahl der Straftaten weiter rückläufig. Zwar haben Verbrechen mit dem "Tatmittel Internet" zugenommen, doch die Aufklärungsquote ist mit 65,1 Prozent besser als die der Verbrechen "im realen Leben". Und das ganz ohne Vorratsdatenspeicherung! Dabei brauchen wir die doch ganz dringend, weil angeblich nur auf diese Weise gemeingefährliche Pädophile vorab enttarnt werden können.

Bei soviel Lichtblick kann ich mit einem weiteren Joostizismus schließen. Die Internet-Schattenministerin antwortete auf die Frage nach der Vorratsdatenspeicherung mit diesen verschwurbelten Sätzen über "Ausnahmen": "Eine generelle Vorratsdatenspeicherung ist kritisch - Ausnahmen kann es nur bei schwersten Straftaten und nach rechtsstaatlichen Grundsätzen geben. Die Speicherung von Bewegungsprofilen lehne ich ab. Die SPD arbeitet an einer Reform des Urheberrechts und einer Strategie zum Ausbau der Breitband-Infrastruktur - in jedem Winkel Deutschlands. Ich denke, man muss noch viel Überzeugungs- und Übersetzungsarbeit für die Bürgerinnen und Bürger für diese Themen leisten. Auch darin sehe ich meine neue Aufgabe. Ich will ein tiefgreifendes Verständnis dafür schaffen, dass Netzpolitik kein Rand- sondern ein Zukunftsthema ist, das alle angeht. Auch meine Oma muss das Internet verstehen können." Wer bringt der jungen Frau bei, dass eine Vorratsdatenspeicherung ohne Ausnahmen all unsere Daten betrifft, auch die von ihrer Oma? (jk)