Streitgespräch: "Und das finden Sie jetzt gut?"

Für den einen ist die Energiewende dringend geboten, "weil wir ein wahnsinniges Experiment mit der Erde machen", der andere hält sie für eine "Geisterfahrt" auf Kosten der Wirtschaft. Die beiden profilierten Energieexperten Fritz Vahrenholt und Eicke Weber diskutieren engagiert über das Für und Wider der Erneuerbaren.

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Inhaltsverzeichnis

Für den einen ist die Energiewende dringend geboten, "weil wir ein wahnsinniges Experiment mit der Erde machen", der andere hält sie für eine "Geisterfahrt" auf Kosten der Wirtschaft. Die beiden profilierten Energieexperten Fritz Vahrenholt und Eicke Weber diskutieren engagiert über das Für und Wider der Erneuerbaren.

Fritz Vahrenholt, 63, ist promovierter Chemiker. Von 1991 bis 1997 war er Umweltsenator in Hamburg, danach wechselte er in den Vorstand der Deutschen Shell. Anschließend war er Chef des Windkraftanlagenbauers REpower Systems sowie der RWE-Tochter RWE Innogy. Im Frühjahr brachte er gemeinsam mit Sebastian Lüning das Buch "Die kalte Sonne" heraus, in dem er die These vertritt, dass vor allem die Sonne und nicht Kohlendioxid für die Erderwärmung verantwortlich ist.

Eicke Weber, 63, leitet seit 2006 das Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme ISE in Freiburg, das größte Solarinstitut Europas. Zugleich hat er den Lehrstuhl für Physik/Solarenergie der Uni Freiburg inne. Zuvor war der promovierte Physiker 23 Jahre an der University of California in Berkeley tätig. 1994 erhielt er den Humboldt-Forschungspreis, 2006 das Bundesverdienstkreuz am Bande.

Technology Review: Herr Weber, Herr Vahrenholt, brauchen wir eine Energiewende?

Fritz Vahrenholt: Wir brauchen einen neuen Energiemix, weil wir uns von der Kernenergie verabschieden. Das wird auch niemand mehr zurückdrehen. Aber das Mantra von der Klimakatastrophe darf nicht der alleinige Treiber für eine Energiewende sein.

Eicke Weber: Schon die Verknappung der fossilen Brennstoffe zwingt uns zur Energiewende. Vor allem aber der steigende CO2-Gehalt der Atmosphäre. Wir hatten eine Million Jahre lang einen CO2-Gehalt zwischen 220 und 280 Teilen pro Million (ppm) und sind heute bei 390 ppm. Wir machen mit der Erde ein wahnsinniges Experiment. Der dritte Antrieb ist ein ökonomischer: Wenn die Energiewende sowieso unabweisbar ist, dann haben Firmen, die sich dieser Technologien frühzeitig annehmen, einen großen Vorteil auf dem Weltmarkt.

Vahrenholt: Das meiste davon ist falsch. Erstens: Wenn es um die Ökonomie geht, sind wir gerade dabei, den Standort Deutschland aufs Spiel zu setzen. Wir unterwerfen die Verfügbarkeit von Strom der Volatilität von Wind und Sonne und können in wenigen Jahren keine gesicherte Energieleistung mehr anbieten.

Zweitens: Wir haben bei den fossilen Brennstoffen noch Reichweiten von 300 bis 400 Jahren. Warum halten Sie es unbedingt für erforderlich, schon bis 2040 oder 2050 hundert Prozent Strom aus erneuerbaren Energien zu erzeugen? Drittens: Sie behaupten, der CO2-Gehalt der Atmosphäre ist größer geworden. Das ist richtig. Und wir haben eine Erwärmung. Daraus ziehen Sie den Kurzschluss: Es muss wohl CO2 sein. Das ist unzulässig, weil es schon immer eine große Variabilität des Klimas gab.

Weber: Die Menschheit hat ja noch gar keinen Globus erlebt, der mit einem CO2-Gehalt von 390, 500 oder gar 1000 ppm zurechtkommen musste. Und dazu wird es kommen, wenn wir bis 2100 weiterwirtschaften wie bisher. Die neuesten und gründlichsten Analysen sagen, dass die Temperatur um drei Grad pro Verdoppelung des CO2-Gehalts ansteigt. Bei 1000 ppm wären wir bei etwa plus sechs Grad.

Vahrenholt: Die Verdoppelung des CO2-Gehalts bringt nur eine Erwärmung von ungefähr einem Grad. Das ist auch das, was wir naturwissenschaftlich begründen können. Alles andere geht auf Rechenmodelle zurück, die nicht in der Lage sind, die Wirklichkeit abzubilden.

Weber: Herr Vahrenholt stellt sich gegen den Weltklimarat und die Gesamtheit der Forscher. Er ist ein Flache-Erde-Vertreter.

Vahrenholt: Danke, danke. Hunderte von Wissenschaftlern teilen meine Einschätzung. Eben keine Fantasten wie Herr Weber. Wir haben seit 14 Jahren keine Erwärmung mehr. Bestreiten Sie das?

Weber: Dass wir seit 14 Jahren keine Erwärmung haben, bestreite ich, ja. In den letzten Jahren war die Erwärmung allerdings nicht so hoch wie vorher.

Vahrenholt: Ach, nicht so hoch? Die war null! Absolut null.

Weber: Also wissen Sie, Herr Vahrenholt, wir können im Jahr 2020 eindeutig entscheiden, wer von uns recht hat.

TR: Wie relevant ist es für die Energiewende überhaupt, von welchen Motiven sie angetrieben wird?

Weber: Den Unterschied macht die Zeitachse. Herr Vahrenholt konzidiert, dass auf Dauer die Umstellung des Energiesystems nötig ist. Aber er sagt, wir können uns Zeit lassen. Dann braucht jedenfalls unsere Generation dafür kein Geld auszugeben.

TR: Sprechen auch volkswirtschaftliche Gründe dafür, die Energiewende so schnell wie möglich durchzuführen?

Weber: Ja, das beste Beispiel ist die Photovoltaik. Jeder Wissenschaftler sieht ein, dass sie die wünschenswerteste Art ist, Strom herzustellen. Nur war sie bis dato viel zu teuer. Das aber ändert sich. 1980 kostete ein Siliziummodul ungefähr zehn Euro pro Watt, heute deutlich weniger als ein Euro. Das heißt, wir können heute in Deutschland Solarstrom für etwa 13 Cent pro Kilowattstunde ernten, in Saudi-Arabien aber schon für deutlich unter 10 Dollarcent. Der echte Strompreis in Saudi-Arabien beträgt 20 Cent. Das bedeutet: Photovoltaik, die in Deutschland durch unsere Gelder zu einer hervorragend ausgereiften Technik geführt wurde, kann in großen Teilen der Welt absolut kostengünstigen Strom herstellen.

Vahrenholt: Dann brauchen wir das EEG ja nicht mehr, dann können wir die Technologieförderung in Deutschland doch einstellen und das Geld endlich mal vernünftig verwenden. Denn dass fast 50 Prozent der Weltkapazität an Photovoltaik in Deutschland steht, kostet uns 200 Milliarden Euro. Weber: Nein, Herr Vahrenholt. Sie haben eines vollkommen übersehen: Von der weltweit installierten Produktionskapazität kommt die Hälfte von Anlagenbauern aus Deutschland. Und das ist ein direktes Ergebnis des deutschen EEG. Vahrenholt: Anlagenbauer. Davon haben wir was. Das sind wie viele Arbeitsplätze? 500?

Weber: Wir haben in Deutschland 70000 Arbeitsplätze in der Photovoltaik und ungefähr 400.000 Arbeitsplätze im gesamten Markt der erneuerbaren Energie.

Vahrenholt: Davon ein Drittel Dachdecker. Die Photovoltaik ist nach wie vor zu teuer, sie ist in Deutschland noch viermal so teuer wie der konventionell erzeugte Strom, in Saudi-Arabien noch doppelt so teuer. Sonst würden die Saudis ja reihenweise Photovoltaikdächer bauen.

Weber: Das werden sie jetzt auch tun.

Vahrenholt: Sie werden es in begrenztem Umfang tun, denn Ihr Hinweis auf den sonnenreichen Süden ist völlig richtig. Aber wenn man wirklich die Welt verändern will mit Photovoltaik, bedeutet es eine Fehlallokation, dies ausgerechnet in Deutschland zu tun, das eine Sonneneinstrahlung wie Alaska hat.

Und wenn wir es nicht schaffen, die Kosten auf fünf Eurocent in Deutschland runterzukriegen, dann bezahlen wir die Rechnung. Das wird die Akzeptanz der Erneuerbaren infrage stellen. Und wenn wir bei 800 Sonnenstunden im Jahr die Verfügbarkeit von Strom gefährden und es 2020 immer noch nicht wärmer geworden ist, dann werden die Leute die Erneuerbaren zum Teufel wünschen. Das macht mir ganz große Sorgen, denn ich bin ein Mann der erneuerbaren Energien.