Hightech-Metalle aus dem Müll

Seltene Erden werden bisher nicht recycelt. Doch seit sich unausweichliche Engpässe bei diesen Rohstoffen abzeichnen, denken Firmen in Windeseile um. In Frankreich ging 2012 die weltweit erste Wiederverwertungsanlage für die begehrten Elemente an den Start.

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Von
  • Susanne Donner
Inhaltsverzeichnis

Seltene Erden werden bisher nicht recycelt. Doch seit sich unausweichliche Engpässe bei diesen Rohstoffen abzeichnen, denken Firmen in Windeseile um. In Frankreich ging 2012 die weltweit erste Wiederverwertungsanlage für die begehrten Elemente an den Start.

Mit Feuereifer sammelten Berliner Jugendliche im November an über 800 Schulen alte Handys. Das Bundesbildungsministerium hat 2012 zur Kampagne "Rohstoff-Expedition" aufgerufen. Schon die Heranwachsenden sollen lernen, welch kostbare Rohstoffe sich in ihrem Mobiltelefon befinden. So vorbildlich geht es in den Haushalten nicht zu. Nur zwei bis drei Prozent der ausrangierten Handys kommen bei den Recyclingbetrieben an. EU-weit landet lediglich ein Drittel des Elektro- und Elektronikschrotts dort. Ein Teil der Geräte verstaubt in Kellern oder wird illegal etwa in Parks und an Straßenrändern abgeladen. Der Abfall überschwemmt auch den afrikanischen Markt. Aber selbst wenn sie an der richtigen Stelle landen, wird nur ein Bruchteil wiederverwertet: Die Recycler gewinnen lediglich Stahl, Zink, Aluminium, Eisen, Nickel, Kupfer und Zinn sowie einige wenige Spezialmetalle zurück.

Auf dem Müll bleiben selbst edle Substanzen wie Platin, Gold oder Silber. Sie sind schlicht in zu kleinen Mengen vorhanden, als dass sich die Aufreinigung lohnt. Das galt bis vor wenigen Jahren auch für die seltenen Erden – 17 Elemente von Lanthan für Batterien über Europium für Leuchtstoffröhren bis hin zu Neodym für Magnete in Motoren von Windrädern und auf Festplatten. Doch als China, mit weltweit über 97 Prozent größter Produzent von seltenen Erden, 2010 einen Exportstopp für die begehrten Elemente verhängte, rüttelte die resultierende Preisexplosion Industrie und Abfallbranche wach. Nun schmieden große Konzerne mit Universitätsforschern Kooperationsprojekte zur Entwicklung von neuen Recyclingverfahren. Und das französische Unternehmen Rhodia hat 2012 sogar die weltweit erste Fabrik in La Rochelle in Dienst gestellt, die seltene Erden im großen Stil wiederverwertet.

Das ist auch dringend nötig, denn der Hunger nach den besonderen Elementen ist groß. Der Verbrauch, der sich 2008 weltweit auf rund 124000 Tonnen belief, wächst drastisch weiter – 2011 schätzte ihn das australische Bergbauunternehmen Lynas Corporation auf 136100 Tonnen. Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe in Hannover etwa erstellte nach dem chinesischen Exportstopp eine alarmierende Prognose: Selbst wenn sich noch nicht erschlossene Rohstoffkapazitäten mobilisieren ließen, würden die Vorräte an Neodym und an- deren seltenen Erden noch vor 2030 zur Neige gehen. Ganze Industriezweige von der Automobil- bis zur Erneuerbare-Energien-Branche beraumten daraufhin Krisensitzungen an.

Bisher landeten die seltenen Erden in der Schlacke der Hochöfen, um als Baustoff für Fundamente und Straßen zu dienen, und waren so endgültig dem Wirtschaftskreislauf entzogen. Aber ohne seltene Erden läuft kein Hybrid- und Elektrofahrzeugmotor, sie werden von dominosteingroßen magnetischen Plättchen angetrieben, die aus einem teuren Cocktail von Neodym, Praseodym, Dysprosium und Terbium bestehen. In Lautsprechern und Kopfhörern bewegen kleine Seltenerdmagnete die Membran und auf Festplatten winzige Motoren. Und die starken Magnetfelder größerer Exemplare helfen etwa dabei, in Magnetresonanztomografen verschiedene Gewebe im Körper der Patienten unterscheidbar zu machen und in Windrädern effizient Strom zu erzeugen. In den Energieanlagen kann der Magnet sogar eine halbe Tonne je Megawatt installierter Leistung wiegen.

Künftig dürften all diese Magnete zum gefragten Abfall werden. Siemens, Daimler sowie das Unternehmen Vacuumschmelze – seines Zeichens der größte Dauermagnethersteller der EU – und Umicore haben sich mit akademischen Partnern zusammengeschlossen, um die seltenen Erden aus den Magneten von Hybrid- und Elektrofahrzeugen zu holen. Auf anderthalb Tonnen Auto verteilt sich zwar nur ein spärliches Kilogramm Magnet. Doch das beherbergt Rohstoffe im Wert von einigen Hundert Euro. Das Bundesforschungsministerium unterstützt das Ansinnen mit dem Namen "MORE" – für Motor Recycling – mit 5,1 Millionen Euro.

Beim Wiederverwerten werden die Forscher vorsichtig zu Werke gehen müssen: "Der Umgang mit den Magneten ist gefährlich", sagt Abfallforscher Tobias Elwert von der Technischen Universität Clausthal, der im Projekt mitarbeitet. Neodymhaltige Magnete entfalten schon in der Größe einer Streichholzschachtel übermenschliche Kräfte. "Man quetscht sich die Finger dazwischen. Oder sie fliegen einem aus der Hand und knallen gegen einen Stahlträger. Weil der magnetische Werkstoff spröde ist, zerspringen sie dann in tausend Stücke", erzählt Elwert.

Um solche Unfälle zu verhindern, muss als Vorbereitung vor dem Recycling ein Verfahren zum Entmagnetisieren entwickelt werden. Die Grundidee dafür: Man erhitzt die Magnete – etwa zusammen mit dem Motor, in dem sie enthalten sind – auf 200 bis 300 Grad Celsius über die Curie-Temperatur. Das ist die – je nach Element unterschiedliche – Temperatur, bei der die magnetische Ordnung im Material zusammenbricht. Die begehrten Rohstoffe überstehen diesen Prozess unbeschadet.

Danach kommen zwei Pfade des Recyclings in Betracht, erklärt Elwert. Die erste Route macht aus einem alten Magnet wieder einen neuen: Er wird dazu mit Lösemittel von Klebstoffen und Beschichtungen befreit. Dann behandeln die Forscher das Material mit Wasserstoff. Das reaktionsfreudige Gas dringt in den Werkstoff ein und macht ihn noch spröder. Danach lässt er sich zu mikrometerfeinem Pulver zermahlen. Dieses Pulver entspricht exakt der Mixtur eines neuen Magneten. Unter hohem Druck wird es zusammengepresst und durch eine Hitze von rund tausend Grad Celsius verbacken. Noch steht allerdings laut Elwert nicht fest, wie gut diese recycelten Magnete sind und ob eventuell das Pulver mit frischen Rohstoffen gemischt werden muss, damit die Qualität stimmt.

Die seltenen Erden können aber auch als Rohstoffe für andere Produkte wie Akkus dienen. Bei diesem zweiten Recyclingpfad werden sie mit verschiedenen chemischen und elektrischen Prozessen aus den Bauteilen herausgelöst. An Ende bleiben die reinen Metalle übrig. Das sei allerdings enorm aufwendig, urteilt Elwert. Das Darmstädter Öko-Institut, ebenfalls Partner im Projekt MORE, untersucht noch, ob diese Methode überhaupt ökologisch und ökonomisch sinnvoll ist. Gleichwohl wäre es die einzige Möglichkeit, die seltenen Erden aus stark verschmutzten oder verrosteten Magneten zu retten.