Halb Kuh, halb Maschine

Ein französisches Unternehmen hat ein Kunstherz entwickelt, das im Vergleich zu bisherigen Apparaten bioverträglicher ist und ohne eine Steuereinheit außerhalb des Körpers auskommt.

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Von
  • Susan Young

Ein französisches Unternehmen hat ein Kunstherz entwickelt, das im Vergleich zu bisherigen Apparaten bioverträglicher ist und ohne eine pneumatische Steuereinheit außerhalb des Körpers auskommt.

Das Herz ist, technisch betrachtet, eine erstaunliche Biomaschine. Jahrzehnte hindurch arbeitet es 24 Stunden am Tag – eine Leistung, mit der es keine mechanische Pumpe aufnehmen kann. Doch nicht bei allen Menschen läuft es zuverlässig: In Europa leiden rund zehn Millionen an einer verringerten Pumpleistung des lebenswichtigen Organs, in den USA 5,7 Millionen. Bei manchen Menschen hilft indes nur noch eine Transplantation, doch oft genug findet sich kein Spenderherz. Die französische Firma Carmat hat ein verbessertes Kunstherz entwickelt, das Betroffenen in wenigen Jahren neue Hoffnung geben könnte.

Es verbindet synthetische und biologische Materialien mit Sensoren und Software, um den menschlichen Kreislauf in Gang zu halten. Carmat will das Gerät nun in vier Herzzentren in Europa und im Nahen Osten testen. Bislang sind nur Kunstherzen der US-Firma SynCardia zur Implantation zugelassen.

Die Herausforderung für die Entwickler künstlicher Herzen ist enorm: Rund 35 Millionen Mal im Jahr müssen die Geräte zuverlässig Blut durch den Körper pumpen. Ein Problem bisheriger Modelle ist jedoch, dass sie Blutgerinnsel verursachen können, die zu Schlaganfällen führen. Deshalb wird das Kunstherz bisher nur als Übergangslösung bis zu einer Herztransplantation angesehen, auch wenn Patienten mitunter Jahre auf ein Spenderherz warten müssen. Und die US-Zulassungsbehörde FDA hat überhaupt erst ein SynCardia-Modell zur Implantation für Patienten zugelassen, die kein Anrecht auf ein Spenderherz haben. Insgesamt wurden bislang etwa 1000 Kunstherzen von SynCardia eingeplanzt.

War das erste SynCardia-Gerät noch ein über 200 Kilogramm schwerer Apparat, ist die modernste Pumpe nur noch etwas über sechs Kilogramm schwer. Doch auch sie wird noch über eine Steuereinheit außerhalb des Körpers betrieben, die über Schläuche die Pumpe pneumatisch antreibt. Die Luftstöße blasen kleine Ballons in den beiden Herzkammern auf, um das Blut in die Arterien zu drücken.

Carmat hat nun eine andere Konstruktion entwickelt, die ohne eine solche Pneumatik auskommt. Die beiden Herzkammern sind jeweils in zwei Teilkammern geteilt, mit einer Membran dazwischen. In die eine der beiden Teilkammern presst eine Pumpe eine hydraulische Flüssigkeit, die die Membran aufbläht und so das Blut aus der anderen Teilkammer drückt. Die Membran ist dabei auf der dem Blut zugewandten Seite mit Gewebe aus Rinderherzen beschichtet.

„Die Idee war, dass alle beweglichen Teile, die mit dem Blut in Kontakt kommen, mit einem Gewebe versehen sind, das bioverträglicher ist“, sagt Piet Jansen, leitender Mediziner bei Carmat. Patienten sollen so mit weniger Blutgerinnungshemmer auskommen als bei den bisherigen Kunstherzen. Auch die Herzklappen des Carmat-Geräts sind aus Rinderherzgewebe hergestellt.

In den Herzkammern messen Sensoren kontinuierlich den Blutdruck. Das interne Steuerungssystem verarbeitet die Messdaten und regelt ständig den Druck in den Hydraulik-Kammern. Strengt sich der Patient körperlich an, passt das Gerät die Blutzufuhr an die stärkere Belastung an.

Außerhalb des Körpers befindet sich nur noch die tragbare Stromversorgung, die über ein Kabel mit dem Herz verbunden ist. Das Kunstherz von Carmat entstand in Zusammenarbeit mit dem europäischen Luftfahrt- und Rüstungskonzern EADS und dem Chirurgen Alain Carpentier. Er hatte vor Jahren maßgeblich die Herzklappen-Chirurgie entwickelt.

William Cohn, Herzchirurg an der Texas Heart Institution in Houston, ist von dem Kunstherz beeindruckt: „Es ist ein brillantes Gerät.“ Er mache sich aber noch über dessen Größe und mechanische Haltbarkeit Gedanken. Bei 100.000 Herzschlägen pro Tag hielten heutige Kunstherzen nur ein paar Jahre, sagt Cohn. Je mehr bewegliche Teile sie enthalten, desto größer ist die Gefahr, dass sie irgendwann versagen.

Cohn selbst hat deshalb mit seinen Kollegen ein Modell entwickelt, das nicht „schlägt“, sondern das Blut kontinuierlich weiterpumpt. Weil die mechanische Belastung geringer ist, hofft Cohn, würde ein solches Kunstherz nicht so schnell verschleißen.

Das Texas Heart Institute hat kürzlich den australischen Ingenieur Daniel Timms angeheuert, um dessen Modell eines „Continuous-Flow“-Herzens in die Arbeit der Gruppe einzubringen. Timms Gerät ist klein und hat nur noch ein bewegliches Teil: einen magnetisch betriebenen Rotor, der zwei ummantelte Propeller antreibt, wie sie im Flugzeugbau verwendet werden. Der eine pumpt sauerstoffreiches Blut in die Aorta, der andere sauerstoffarmes Blut in die Lungenarterie zurück zur Lunge.

Gegen Timms einfaches Design sei das Kunstherz von Carmat noch sehr komplex, sagt Cohn. Bis das Continuous-Flow-Heart dem ersten Patienten eingepflanzt werden kann, würden aber noch einige Jahre vergehen. Die ersten Tests wollen die Forscher zunächst an Kälbern vornehmen.

(nbo)