Der letzte Service: zum Tode von Joseph Weizenbaum

Im Alter von 85 Jahren ist Joe Weizenbaum gestern an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben. "Unser Tod ist der letzte Service, den wir der Welt leisten können", schrieb der große Kulturkritiker und Computerwissenschaftler in einer seiner letzten Mails.

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Von
  • Detlef Borchers

Im Alter von 85 Jahren ist Joe Weizenbaum in Berlin an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben. Nach einer Chemotherapie hoffte er noch an seinem Geburtstag im Januar, ein schönes Jahr verleben zu können. In einer seiner letzten Mails schrieb der große Kulturkritiker und Mitbegründer der Computer Science:

"Unser Tod ist der letzte Service, den wir der Welt leisten können: würden wir nicht aus dem Weg gehen, würden die uns folgenden Generationen die menschliche Kultur nicht wieder frisch erstellen müssen. Sie würde starr, unveränderlich werden, also sterben. Und mit dem Tod der Kultur würde alles Menschliche auch untergehen."

Joseph Weizenbaum wurde am 8. Januar 1923 als zweiter Sohn des Kürschnermeisters Jechiel Weizenbaum in Berlin geboren. Im Jahre 1936 emigrierte die Familie in die USA, wo Weizenbaum erst Mathematik studierte und sich frühzeitig an der Wayne University Detroit mit dem Bau von Computern beschäftigte. 1950 war Weizenbaum an der Konstruktion eines Computers beteiligt, der für den Test von Raketen-Waffensystemen der U.S. Navy bestimmt war. Danach programmierte er ein Betriebssystem für die Bendix Aviation Company, ehe er bei General Electric von 1955 bis 1963 ERMA entwickelte, das erste Computer-Banksystem seiner Zeit. 1963 begann die akademische Karriere von Joseph Weizenbaum am Massachusetts Institute of Technology, wo er als Associate Professor für Applied Science und Political Science anfing. 1970 wurde er zum ordentlichen Professor für Computer Science berufen, als sich die junge Wissenschaft etabliert hatte. Wissenschaftliche Meriten erwarb sich Weizenbaum mit Studien zu SLIP (Symmetric List Processor), einer Konkurrenz zu LISP und Forschungen zu Referenzzählern (Knotted list structures and garbage collection schemes).

In der Folgezeit entwickelte sich Joseph Weizenbaum vom Computerwissenschaftler zum Computerkritiker und folgerichtig zum Kritiker einer Gesellschaft, die Computer produziert und die Berechnungen der Maschinen kritiklos akzeptiert. Der fulminante Einstieg in das Leben eines Computerkritikers lässt sich auf den Januar 1972 datieren, als in der Hamburger Wochenzeitung Die Zeit Weizenbaums großer Aufsatz "Albtraum Computer" erschien, eine Abrechnung mit der Computertechnik generell, der KI-Forschung und dem Mythos vom fehlerfreien Programmieren. Weizenbaum schrieb damals: "Der meiste Schaden, den der Computer potenziell zur Folge haben könnte, hängt weniger davon ab, was der Computer tatsächlich kann oder nicht kann, als vielmehr von den Eigenschaften, die das Publikum dem Computer zuschreibt. Der Nichtfachmann hat überhaupt keine andere Wahl, als dem Computer die Eigenschaften zuzuordnen, die durch die Presse verstärkte Propaganda der Computergemeinschaft zu ihm dringen. Daher hat der Informatiker die enorme Verantwortung, in seinen Ansprüchen bescheiden zu sein."

Aus diesem Ansatz entstand 1976 das Hauptwerk von Joseph Weizenbaum, "Computer Power and Human Reason", das auf Deutsch unter dem kuriosen Titel "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft" erschien. In diesem Buch finden sich viele Momente, die später Allgemeingut geworden sind, etwa die Beschreibung der Programmierer-Kultur, die für Außenstehende etwas leicht Irrsinniges hat oder die Kritik an den Versprechungen der Künstlichen Intelligenz. Sein Anliegen formulierte Weizenbaum so: "Ohne Frage hat die Einführung des Computers in unsere bereits hochtechnisierte Gesellschaft, wie ich zu zeigen versuche, lediglich die früheren Zwänge verstärkt und erweitert, die den Menschen zu einer immer rationalistischeren Auffassung seiner Gesellschaft und zu einem immer mechanistischeren Bild von sich selbst getrieben haben." Bis heute ist das Buch ein Standardwerk für jeden, der sich mit dem Problemfeld Computer und Gesellschaft beschäftigt. Wie einflussreich seine Computerkritik gewesen ist, mag die Tatsache belegen, dass die deutsche Ausgabe zu den 20 wichtigsten Büchern der Wissenschafts-Klassiker beim Suhrkamp Verlag gehört und darum im Jahre 2003 als gebundene Jubiläumsausgabe erschien.

Im Laufe seines Lebens erhielt Joseph Weizenbaum zahlreiche Preise und Auszeichnungen. Zu ihnen gehört das Große Bundesverdienstkreuz und mehrere Ehrendoktorwürden, unter anderem von den Universitäten Bremen und Hamburg. Er war Ehrenmitglied der Gesellschaft für Informatik und Ehrenvorstand beim Forum für InformatikerInnen für Frieden und gesellschaftliche Entwicklung, wo er zuletzt an der Schrift Wider den Zeitgeist mitwirkte. Gefragt, welche Auszeichnungen ihm am meisten bedeuteten, antwortete er augenzwinkernd: "Ich bin zweimal in 25 Jahren vom New Yorker zitiert worden, was manche für wichtiger als den Nobelpreis halten. Das ist zwar nicht so häufig wie Al Capone, aber ich war auch nicht so innovativ wie er."

Sein letztes Programm entwickelte Joeseph Weizenbaum im Jahre 2006 und nannte es "New Eliza". Es war der Versuch, mittels Skype und einem digitalen Anrufbeantworter einen "simulierten Joe" für Diskussionen über künstliche Intelligenz zur Verfügung zu stellen. Mit "Eliza. A Computer Program for the Study of Natural Language Communication Between Man and Machine" wurde Weizenbaum auch außerhalb der Computerwelt in den 70er-Jahren bekannt. Ein Computer, der in einen Dialog mit dem Menschen tritt, das hatte es zuvor nur als Idee bei Alan Turing gegeben. Weizenbaum, der die Abhängigkeit der Menschen von Maschinen vorführen wollte, bewertete Eliza als Missverständnis. "Eliza ist als Programm incredibly simple, wirklich, hat aber im Herzen einen Punkt getroffen, das macht es bisschen kompliziert, nicht der einfache Code. Eliza wurde missverstanden, das aber ist ein Fehler, der genau in unsere Zeit passt."

Am Ende passte Joseph Weizenbaum vielleicht nicht mehr in unsere Zeit. Während er den Krebs bekämpfte, verfasste er seine Lebensbilanz unter dem Titel "An was ich glaube". Dieser Text wurde unter dem Titel Wir gegen die Gier an seinem Geburtstag veröffentlicht. Er beginnt mit den Worten "Die Erde ist ein Irrenhaus. Dabei könnte das bis heute erreichte Wissen der Menschheit aus ihr ein Paradies machen." Während der Mensch nach Weizenbaum endlich ist und Platz machen muss für neue Ideen, hat das Wissen die Chance, erhalten zu bleiben. In diesem Punkt blieb Weizenbaum zeitlebens ein Optimist, der in seiner Lebensbilanz schreiben konnte: "Nur Wissen überlebt, nämlich indem es den denkenden Menschen buchstäblich informiert, den Zustand (state) seines Gehirns, ändert."

Zum Gedenken an Joseph Weizenbaum ist eine Trauerfeier am 18. März um 14 Uhr im jüdischen Gemeindezentrum Berlin angesetzt. (Detlef Borchers) / (pmz)