Die Lebenslust der ITler

Vergleicht man den Ruf von Informatikern und IT-Mitarbeitern mit der Realität, dann zeigen sich große Unterschiede. Statt ihrem Ruf gemäß introvertiert und sozial inkompetent aufzutreten, werden Informatiker inzwischen sogar zu Weltverbesserern. Zeit, das einmal festzuhalten.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 39 Kommentare lesen
Lesezeit: 3 Min.
Von
  • Nicolai Josuttis

Woran erkennt man einen extrovertierten Informatiker? Er schaut bei Gesprächen nicht auf seine Schuhe, sondern auf die seines Gegenübers. Dieser weit verbreitete Witz spielt mit dem Bild, das die Gesellschaft von Informatikern und IT-Mitarbeitern im Allgemeinen hat: introvertiert bis zum Geht-nicht-mehr, immer alleine vor dem Computer sitzend und keine soziale Kompetenz.

Doch die Wahrheit sieht völlig anders aus. Denn im Grunde kann auf dem Gebiet der IT niemand mehr einfach nur für sich arbeiten. Im Gegenteil: Die Erstellung von Software verlangt ein sehr hohes Maß an Zusammenarbeit und sozialer Kompetenz, weil jedes Artefakt ein Einzelstück ist, das man nicht erstellen kann, ohne miteinander zu reden, sich abzustimmen und zu helfen.

In einer Retrospektive, an der ich teilnahm, kam es unlängst zum interessanten Gespräch mit dem Coach, der normalerweise mit Zahnärzten und Betriebswirtschaftlern arbeitete. Sie war überrascht über die Lockerheit und Unkompliziertheit der Veranstaltung. Damit will ich um Gottes willen nicht sagen, dass Zahnärzte und Betriebswirtschaftler nicht locker sein können, aber es gibt, wie ich meine, einen interessanten Unterschied: Informatiker sind nicht so heiß auf Karrieren und in entsprechende Karriereleitern eingebunden. Sie laufen eher "im Hintergrund", obwohl sie im Grunde damit vielfach die Fäden in den Händen halten.

Das hat sehr wichtige Konsequenzen. So ist es meiner Ansicht nach kein Zufall, dass viele der wirklich großen Skandale inzwischen von Informatikern aufgedeckt werden. Dazu gehören zum Beispiel die "Steuer-CDs", die die Wahrheit über die "asozialen" Steuerhinterzieher (ein Zitat von Bundespräsident Gauck, das ich in jeder Hinsicht unterschreibe) enthüllen. Und jetzt verdanken wir einem IT-Mitarbeiter die Wahrheit über die Datensammelwut der NSA, die über jeden Menschen in der Welt alles sammelt und archiviert, was sie finden kann. Obwohl das vermutlich für uns wenig überraschend ist, hat Edward Snowden durch die Veröffentlichung des Videos sogar sein Leben riskiert.

Im Grunde sind es also diese "introvertierten" IT-Mitarbeiter dieser Welt, die einen wichtigen Teil zur Rettung dieser Welt beitragen. Losgelöst vom üblichen Druck der normalen Karriereleitern, gut bezahlt und mit großem Bewusstsein für Gerechtigkeit decken sie Missstände auf und kämpfen dann auch als gute "Wut-Bürger" für deren Behebung. Ein Beispiel ist, wie sich die Mozilla-Mitarbeiter nun mit an die Spitze der "StopWatchingUs"-Bewegung stellen.

Aber ist das nicht alles etwas hoch gegriffen? Oder sind wir ITler wirklich im Grunde alle sozial kompetente Weltverbesserer? Vielleicht haben wir nur das Glück, als Key-Enabler immer noch nicht ernst genommen zu werden. Im Grunde treibt uns nämlich vermutlich einfach die pure Lebenslust, die (und das bleibt festzuhalten) unter IT-Mitarbeitern im Gegensatz zu ihrem Ruf sehr weit verbreitet ist. Ein Berufsbild, auf das ich inzwischen nicht nur als Technik-Freak sehr stolz sein kann.

()