Bitkom will Onlinedurchsuchung mit Sachverstand diskutieren

Der IT-Verband fordert strikte Hürden für die Onlinedurchsuchung und sorgt sich angesichts der Kosten, die mit der Vorratsdatenspeicherung auf die Branche zukommen.

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Von
  • Monika Ermert

Vertreter des Branchenverbands Bitkom forderten auf der IT-Messe Systems in München heute eine verlängerte Frist für die Einführung der Vorratsdatenspeicherung, eine rasche Regelung der Kostenfrage und gleichzeitig eine intensive Diskussion um die vom Bundesinnenministerium vorgeschlagene Online-Durchsuchung. Es wäre schon viel gewonnen, wenn man sich mit den zuständigen Ressorts darüber einig werden könnte, "dass es nicht um Flächendeckung, sondern um Effizienz geht", sagte Bitkom-Präsidiumsmitglied Dieter Kempf. Er warnte vor den Gefahren des Bundestrojaners und forderte für Onlinedurchsuchungen dieselben Hürden wie für die akustische Wohnraumüberwachung. "Online-Durchsuchungen greifen sehr viel tiefer in persönliche und geschäftliche Informationen ein als eine Telefonüberwachung", begründete Kempf seinen Vorschlag.

Mit Blick auf die übernächste Woche im Bundestag zur Abstimmung stehende Vorratsdatenspeicherung sorgt sich die Industrie mittlerweile vor allem um Kosten und Übergangsfristen. Kempf bezifferte die Installationskosten entsprechender Software auf 75 Millionen Euro, die jährlich anfallenden Betriebskosten auf einen zweistelligen Millionen-Betrag. Markus Haas, Vorsitzender des Bitkom-Arbeitskreises Telekommunikationspolitik und bei O2 für Regulierungsfragen zuständig, bezifferte die Einmalkosten für die Umsetzung der geplanten Anforderungen allein für sein Unternehmen auf 2,1 Millionen Euro, die Betriebskosten beziffert er auf 300.000 Euro.

Die Unternehmen müssten künftig auch zusätzliche Daten für sechs Monate erfassen, die sie bisher nicht speichern. Mit einigem Aufwand verbunden sei etwa die Verknüpfung von Verbindungs- und bislang nicht gespeicherten Lokationsdaten. "Die Umsetzung zum ersten Januar 2008 ist für eine große Zahl von Unternehmen nicht darstellbar", sagte Haas. Den Unternehmen blieben statt der ansonsten üblichen sechs- bis zwölfmonatigen Implementierungsfrist nur noch ganze sieben Wochen, um die spezielle und von wenigen Mitarbeitern betreuten Datenbank einzurichten. Die Betriebskosten hängen darüber hinaus auch davon ab, wie sich die Zugriffszahlen und auch der Straftatenkatalog entwickeln werde. Kempf warnte in diesem Zusammenhang davor, dass nach dem aktuellen Entwurf die Daten auch dazu verwendet werden, Beleidigungsdelikte im Internet zu verfolgen. "Das hat mit der öffentlichen Sicherheit wenig zu tun", sagte Kempf.

Hohe gesetzliche Hürden fordert der Bitkom beim zweiten Streitthema, der Onlinedurchsuchung. Die Verbandsvertreter hoffen noch auf fruchtbare Diskussionen mit der Politik und in der Öffentlichkeit. Man stehe erst am Anfang einer öffentlichen Diskussion, die mit Sachverstand geführt werden müsse. "Onlinedurchsuchung ist wesentlich komplexer, als ein Telefon abzuhören", mahnte Kempf mit Blick auf mögliche Gefahren. Die Behörden müssten beispielsweise überlegen, wie sie die unkontrollierte Verbreitung eines per E-Mail eingeschleusten Trojaners verhindern wollten.

Vom Bundestrojaner halten die Unternehmen gar nichts, sagte der Verbandsfunktionär. Der Sicherheit informationstechnischer Systeme würde es wesentlich mehr schaden als nützen, wenn deutsche Sicherheitssoftware für einen solchen Bundestrojaner ein Hintertürchen offen lassen müsste. Die Unternehmen würden sich dem Instrument Onlinedurchsuchung sicherlich nicht generell verschließen, aber es müssten der akustischen Wohnraumüberwachung vergleichbare Hürden dafür geschaffen werden. Für private Inhalte, die von der Festplatte ausgelesen werden, müsse es ein Verwertungsverbot geben.

"Wenn es um eine niedrige zweistellige Zahl an Durchsuchungen gehe, dann ist die Online-Durchsuchung ein Fall für qualifizierte Spezialisten der Ermittlungsstellen, nicht für eine generelle Softwareschnittstelle." Auch wenn das mit einem gewissen Aufwand für die Provider verbunden ist, sei eine durch einen Richter angeordnete und vom Provider eingerichtete Einzelmaßnahme wesentlich sympathischer als eine generelle Schnittstelle, auf die Ermittler einfach zugreifen könnten. Generell sei der Trend bei Überwachungsmaßnahmen steigend, im vergangenen Jahr wurden laut Bundesnetzagentur 35.816 Mobiltelefone und 5099 Festnetzanschlüsse überwacht, zudem lasen die Ermittler 473 E-Mail-Konten mit, und in 44 Fällen griffen die Ermittler auf VoiP-Anschlüsse zu.

Vorsichtig kritisch äußerte sich Kempf schließlich zu den vom Bayerischen Landeskriminalamt vorgenommenen Überwachungsmaßnahmen. Er gehe davon aus, sagte Kempf, dass man hierbei die Grenze zur Onlinedurchsuchung bereits überschritten habe. Bei der sogenannten "Quell-TKÜ" wird auf einen lokalen Rechner zugegriffen, um etwa ein VoiP-Gespräch abhören zu können. Jüngsten Medienberichten zufolge soll dies in Bayern in rund einhundert Fällen der Fall gewesen sein. Eine weitere Forderung, die bereits jetzt vermehrt von den Behörden gestellt wird, ist laut Kempf die Herausgabe von Schlüsseln, um zum Beispiel an die verschlüsselten Inhalte einer Festplatte zu gelangen.

Zum aktuellen Stand und der Entwicklung der Debatte um die erweiterte Anti-Terror-Gesetzgebung, die Anti-Terror-Datei sowie die Online-Durchsuchung siehe:

(Monika Ermert) / (vbr)