Urteil zum automatischen Kennzeichen-Scanning teilt die Republik

Während Schleswig-Holstein das automatische Kfz-Kennzeichen-Scanning sofort einstellt, setzen Hessen und Hamburg es zumindest vorübergehend aus. Niedersachsen, Bayern und Baden-Württemberg sehen hingegen keinen grundsätzlichen Handlungsbedarf.

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Von
  • Peter-Michael Ziegler

Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu den gesetzlichen Voraussetzungen beim Einsatz von automatischen Nummernschild-Scannern haben die betroffenen Bundesländer sehr unterschiedlich reagiert. Während etwa Schleswig-Holstein erklärte, die automatische Kfz-Kennzeichen-Erfassung werde mit sofortiger Wirkung beendet, kündigten Hessens Innenminister Volker Bouffier und sein Hamburger Amtskollege Udo Nagel zumindest eine vorübergehende Aussetzung des Nummernschild-Scannens an. Rheinland-Pfalz, das im Jahr 2004 eine Befugnis zum elektronischen Abgleich von Kfz-Kennzeichen im Polizeigesetz verankert hatte, diese aber nie umgesetzt hat, will gesetzliche Regelungen insbesondere hinsichtlich der Speicherfristen ändern.

Brandenburg testet derzeit "Kennzeichenfahndungssysteme" verschiedener Hersteller und will die Tests nach Angaben von Innenminister Jörg Schönbohm auch fortführen. Das Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern teilte mit, die Vorschriften zum automatischen Kfz-Kennzeichen-Scanning nach dem Sicherheits- und Ordnungsgesetz von M-V seien nach einer ersten Auswertung "offensichtlich im Wesentlichen rechtmäßig". Genau könne man dies aber erst nach Auswertung der ausführlichen Entscheidungsgründe des Bundesverfassungsgerichts beurteilen. Bremen erklärte, seine entsprechenden Regelungen "im Lichte des Urteils überarbeiten" zu wollen. Bislang sei das Gesetz aber nicht angewendet worden und es seien auch keine technischen Voraussetzungen für eine Kennzeichenüberwachung vorhanden.

Der baden-württembergische Innenminister Heribert Rech erklärte am heutigen Dienstag in Stuttgart, er halte den Einsatz automatischer Kennzeichenlesesysteme "nach wie vor für ein wichtiges Instrument der polizeilichen Fahndungsarbeit". In Baden-Württemberg, wo die Nummernschilder-Scanner ab Sommer eingesetzt werden sollen, seien aber keine flächendeckenden Kontrollen vorgesehen. Vielmehr werde Rechs Angaben zufolge an extra eingerichteten Kontrollstellen sowie an Orten gescannt, "an denen sich erfahrungsgemäß Straftäter aufhielten oder vor besonders gefährdeten Objekten". Rech will aber prüfen, "ob und wie die entsprechende Regelung in der Novelle unseres Polizeigesetzes anzupassen ist".

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann sieht in dem Karlsruher Urteil sogar eine Bestätigung der bajuwarischen Praxis bei der automatisierten Kennzeichenerfassung. Laut ADAC werden im südlichsten Bundesland pro Tag rund 170.000 Nummernschilder erfasst. In einem Anfang des Jahres veröffentlichten Gutachten für den ADAC hatte der Rechtswissenschaftler Alexander Roßnagel Bayern verfassungswidrige Regelungen im Polizeiaufgabengesetz attestiert. Herrmann räumt im letzten Satz einer heute veröffentlichten Pressemitteilung denn auch ein, dass man in der Vergangenheit den Leitsätzen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich des Abgleichs der Daten mit gesetzlich definierten Fahndungsbeständen wohl nicht ganz entsprochen habe.

Auch Niedersachsens Innenminister Uwe Schünemann will weiter an der automatisierten Kennzeichenerfassung festhalten. Die niedersächsische Regelung sei wasserdicht, erklärte Schünemann gegenüber Spiegel Online. Eine Gesetzesänderung werde es auch nach dem Urteil aus Karlsruhe nicht geben. Seit Einführung des Nummernschild-Scannings vor drei Monaten habe es 120 Treffer gegeben, etwa bei Fahrerflüchtigen, Versicherungsbetrügern und Autodieben. Einen konkreten Anlass für die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen sieht Schünemann beispielsweise in der "Überwachung von Verkehr auf Autobahnen". Im Gegensatz zu Schleswig-Holstein und Hessen sei Niedersachsen "auf der sicheren Seite", sagte der Minister.

Das Bundesverfassungsgericht hatte in seinem heutigen Urteil die entsprechenden Regelungen zur automatischen Erfassung von Autokennzeichen in den Polizeigesetzen von Hessen und Schleswig-Holstein für verfassungswidrig und nichtig erklärt. Die Vorschriften verletzten Autofahrer in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, führten die Richter aus. Ein solcher Eingriff in die Grundrechte der Bürger sei nur auf Grundlage klarer Gesetze zulässig. So dürfe etwa die automatisierte Erfassung von Kraftfahrzeugkennzeichen nicht anlasslos erfolgen oder flächendeckend durchgeführt werden. Auch müssten sogenannte Nichttreffer sofort spurenlos gelöscht werden.

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(pmz)