Weltweite Demonstrationen gegen Scientology

Am Samstag protestierten weltweit etwa 6700 Demonstranten friedlich gegen die Sekte Scientology. Die Protestierenden hatten über Web-Foren und Chatrooms zueinandergefunden.

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Von
  • Gerald Himmelein

Am 15. März hat sich die Internet-Gruppierung "Anonymous" zum zweiten weltweiten Protest gegen die Aktivitäten der Scientology-Sekte versammelt. Die Demonstrationen begannen überall um 11 Uhr Ortszeit und verliefen größtenteils friedlich. In der US-Stadt Atlanta verhaftete die Polizei zwei Demonstranten wegen Lärmbelästigung.

Eigenen Angaben zufolge gingen weltweit insgesamt etwa 6700 Demonstranten gegen Scientology auf die Straße. Das waren etwas mehr als beim ersten Protestaufruf vom 10. Februar. In Deutschland fanden Demonstrationen vor den Scientology-Zentralen von Berlin, Düsseldorf, Frankfurt und München statt. In den meisten Städten waren die Teilnehmer kostümiert unterwegs. Viele trugen Guy-Fawkes-Masken, um ihre Identität zu verschleiern.

Die virtuelle Bewegung "Anonymous" besteht erst seit Kurzem und zeichnet sich dadurch aus, dass sie keinen "Kopf" oder Führer besitzt. Das "Project Chanology" entstand Mitte Januar spontan, als Scientology die Veröffentlichung eines Tom-Cruise-Videos zu verhindern versuchte. Darin schwärmte der Filmstar in bizarrer Weise davon, wie er Menschen dank Scientology helfen könne. Die Teilnehmer des Projekts kommunizieren über Wikis und IRC-Channels miteinander und kennen meist keine Realnamen ihrer Mitstreiter (siehe auch c't 6/08, S. 98). Eigenem Bekunden nach protestieren die anonymen Teilnehmer von Project Chanology nicht gegen den Glauben der Scientologen, sondern gegen die ihrer Meinung nach unerträglichen Zensur- und Unterdrückungsstrategien der Sekte. Berichten zufolge hat die Anonymous-Gruppe bereits einige DDoS-Attacken auf Server von Scientology in den USA durchgeführt.

An allen Protestorten war ein beachtliches Polizeiaufgebot zu beobachten. Scientology hatte vorab Ordnungskräfte in mehreren Städten aufgefordert, die Demonstrationen zu verbieten. Am Freitag war auf YouTube ein Video mit dem Titel "Anonymous Hate Crimes & Terrorism" erschienen. Die Präsentation erinnerte mitunter an die zynischen Propaganda-Clips im Film Starship Troopers. Über knapp fünf Minuten hinweg zeichnete das Video ein Zerrbild von Anonymous als Organisation gefährlicher Cyber-Terroristen, die die Scientology-Zentralen unablässig mit anonymen Anrufen, Fax-Spam, Vandalismus und Bombendrohungen drangsaliere. Der Film endete mit der Behauptung: "These are the facts." Die erste Demonstration vom 10. Februar unterschlug die angebliche Dokumentation komplett. Scientology bestätigte gegenüber der New York Post, Urheber der Filme gewesen zu sein und verteilte das "Hate-Crimes-Video" in den USA auf DVD an Medienvertreter.

Parallel dazu veröffentlichte Scientology fünf weitere Clips, die jeweils unter einer Minute lang waren und einem gemeinsamen Schema folgten. Im Unterschied zum Hate-Crimes-Video wendeten sie sich nicht an die Öffentlichkeit, sondern an die anonymen Demonstranten. Jedes Video outete angeblich einen Anonymous mit Namen, Online-Pseudonym, Wohnort und Foto. Im Begleittext behaupteten die Veröffentlicher der Clips, es handele sich jeweils um ein Video aus einer Serie von 500. Tatsächlich wurden aber nur immer wieder dieselben fünf Clips wiederholt hochgeladen. YouTube-Administratoren entfernten die Videos gleich wieder.

Die größte Demonstration fand mit 650 Teilnehmern in London statt, in New York City versammelten sich 500, in Washington und San Francisco jeweils 300 und in Manchester und Toronto jeweils 250. Auch in Australien gingen viele Anonyme auf die Straße. Die Polizei war den Protestierenden größtenteils freundlich gesinnt, der einzige Ausfall fand in Atlanta statt.

Die deutschen Demonstrationen verliefen allesamt friedlich, fanden aber in überschaubarem Rahmen statt. Vor der Berliner Scientology-Zentrale trotzten bis zu 50 Anonyme von 11 bis 17 Uhr der Kälte. Aufgrund der Einschüchterungsvideos vom Vortag duldete die Polizei ausnahmsweise das Tragen von Masken mit der Auflage, dass diese auf polizeiliche Aufforderung hin jederzeit abzunehmen seien. Die versammelten Anonymen hatten zwar etwas mehr Zulauf erwartet, zeigten sich mit dem Ergebnis jedoch insgesamt zufrieden. Eine als Krankenschwester verkleidete Demonstrantin teilte Blumen an Passanten aus, die Lautsprecher spielten Rick Astley, und zahlreiche Autofahrer hupten im Vorbeifahren, um den Protestierenden zuzustimmen.

Die Sekte hielt auf ihrer Straßenseite eine Gegenveranstaltung, die als Feier für Menschenrechte angemeldet war. Immer wieder fotografierten mutmaßliche Scientology-Mitglieder die maskierten Anonymen; auf dem Dach der Zentrale wechselten sich Beobachter ab. Zudem versuchten Sektenangehörige die Polizei davon zu überzeugen, dass die Demonstranten rechtswidrige Flyer ausgeteilt hatte – vergeblich. Die nächste weltweite Demonstration soll am 12. April stattfinden. (ghi)