Kommentar: Überwachung in die Bierzelte bringen

Auch die breite Öffentlichkeit muss sich jetzt mit den Enthüllungen über die NSA-Spionage auseinandersetzen. Dafür gibt es gegenwärtig beste Voraussetzungen, denn es ist Wahlkampf.

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Drei Wochen nach Beginn der Enthüllungen über die NSA-Spionageprogramme muss sich spätestens seit den Berichten über Deutschland als bevorzugtes Ziel und die Schnüffelei in EU-Botschaften auch die breite Öffentlichkeit damit beschäftigen. Denn wenn überhaupt eine Chance besteht, etwas gegen die unhaltbare Totalüberwachung zu unternehmen, dann jetzt. Gelingt uns das nicht, dann werden wir alle mit den ständigen Beobachtern leben lernen müssen. Und dabei sind wir die doch gerade erst losgeworden.

Immer öfter wird jetzt die Frage gestellt, wie man sich persönlich der Überwachung durch die NSA entziehen kann. Sei es durch Verschlüsselung der Kommunikation oder durch das Verschleiern der eigenen Spuren im Netz. Das richtet die Aufmerksamkeit zurecht auf etablierte Technik wie etwa PGP, die wohl nur deshalb nicht weiter verbreitet ist, weil sie im Ruf steht, kompliziert zu sein. Das gilt es zu entkräften und sollte sie jetzt durch die Geheimdienst-Umtriebe einen Schub erfahren, wäre das zu begrüßen. Immerhin geht damit ein bewussterer Umgang mit den eigenen Spuren im Netz einher, weswegen sich die nächste Ausgabe der c't (16/13) mit solchen Verfahren befasst.

Und doch ist es höchstens eine Seite der Medaille, denn das Problem der unverhältnismäßigen Überwachung verschwindet damit nicht. Die kann nur politisch beseitigt werden und da befinden wir Deutsche uns gegenwärtig in einer glücklichen Position: Unsere Bundestagsabgeordneten wollen etwas von uns. In den kommenden Wochen werden uns Politiker aller Couleur um unsere Stimme bitten. Sie werden in den Fußgängerzonen und Festzelten dieser Republik das Gespräch suchen. Das ist eine seltene Chance, die es zu nutzen gilt, nicht nur, um Wahlversprechen einzufordern, sondern Taten gegen "Big Brother".

Unsere politische Führung muss gezwungen werden, diese grundlegende Debatte zu führen. So heißt es immer wieder, mehr Überwachung sorge für unsere Sicherheit. Doch hört man von Regierungsseite selten, das Sicherheitsinteressen hinter dem Schutz bürgerlicher Freiheiten zurückzutreten haben. Vielleicht sind die Deutschen aber bereit, auf eine nur vermeintlich hundertprozentige Sicherheit zu verzichten, wenn sie sich dafür auch einmal unbeobachtet fühlen dürfen.

Bis zum 22. September ist jedenfalls noch jede Menge Zeit für wirkliche Debatten und Taten, die etwas bewirken. Und beginnen kann das alles einer Fußgängerzone unter einem Sonnenschirm – egal ob der weiß, rot, grün, gelb oder orange ist. (mho)