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Was war. Was wird.

Es gibt keine prallen Aktenschränke bei der NSA? Wie beruhigend, spöttelt Hal Faber und denkt an Robotron-Smartphones. Die sind alle so komplett irre, das lässt sich nur noch in Kilo-Gauck messen.

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Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Wir wissen zum Beispiel, dass es nicht so ist wie bei der Stasi und dem KGB, dass es dicke Aktenbände gibt, in denen unsere Gesprächsinhalte alle aufgeschrieben und schön abgeheftet sind. Das ist es nicht." Natürlich ist es das nicht, die Welt hat sich weitergedreht und die Schnüffler und Enttarner marschieren Seit an Seit mit der jeweils neuen Technik, wie dieser frei gegebene Bericht von der Eurocrypt 92 (PDF-Datei) zeigt – der ersten Krypto-Konferenz nach der Veröffentlichung von PGP im Internet. Ein Gauck ist damit die neue Maßeinheit in diesem Neuland, die die Unkenntnis der Auswirkung digitaler Lebensart zum Ausdruck bringt. Wer Stasi und KGB für schlimm hält, weil Papierakten angelegt wurden und damit die Datenschnüffelei von NSA, GHCQ, DGSE oder BND verharmlost, produziert genau ein Gauck Unsinn. Der Vergleich der Aktenschränke der Stasi mit den Speicherplänen der NSA kommt dabei schon auf zwei Gaucks, denn natürlich war die Stasi bis zum Zusammenbruch der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) damit beschäftigt, ihre Dokumentation zu digitalisieren. Ein weiterer Gauck ist für den Glauben fällig, dass das moderne Rechenzentrum des FSB neben der Lubjanka nichts mit den Plänen des KGB zu tun hatte, den gesamten Datenverkehr mitzuspeichern.

*** Einen mehr spekulativen Gauck habe ich noch: Hätte diese DDR weiter existiert, wären Robotron-Smartphones mit volkseigenen Schnüffelchips auf den Markt gekommen, die unsere Gesprächsinhalte alle mitschneiden und schön abspeichern. Dass Westdeutschland dem Äquivalent namens Pluto-Chip entkommen ist, hat mit der Entrüstung über Echelon zu tun. Innenminister Manfred Kanther konnte bei all diesem Ärger seinen Lieblingsplan nicht verfolgen. Der schlichte Gauck-Blick auf die Technik, dieses stupende Unvermögen zu verstehen, ist die neue deutsche Unfähigkeit zu trauern, sich einen wirklichen Überblick zu verschaffen, was da abläuft oder geplant ist. Heraus kommen bestenfalls Sondersitzungen und Statements, in denen von Yogabytes genuschelt wird, was sich wie eine kerngesunde Sache anhört. Heute wissen wir, dass der komplette Postverkehr aus der DDR überwacht wurde. Weiter westlich wird noch heute jeder Umschlag ordentlich fotografiert und schön abgeheftet, was getrost als Kilo-Gauck gezählt werden kann.

*** Nun leben wir in einer schönen Sommerzeit im schönen Monat Juli, in die der 100. Geburtstag der (bis jetzt) berühmtesten naturwissenschaftlichen "Trilogie" fällt. Im Juli 1913 begann die Veröffentlichtung des Atommodells von Niels Bohr im Philosopical Magazine and Journal of Science (PDF-Datei). Sein Modell führte die Physiker zur frühen Quantentheorie, die später von Heisenberg und Schrödinger verbessert wurde. Zu aller Ehren gibt es in der populären Physik den Quantensprung hüpfender Kamele, die unversehens zu einem Quantensprung in der Schullandschaft schreiben können. Zur Neuland-Maßeinheit des Gaucks gesellt sich so die Bosbachsche Unschärferelation, mit der, egal ob es um Vorratsdatenspeicherung oder "Mindestspeicherfristen für Verbindungsdaten" geht, alles auf eine elektronische Beweissicherung hinausläuft. Orwell war gestern: Bis zum Beweis der Unschuld sind wir alle fürderhin ein Quäntchen im digitalen Aufenthaltsvorratsraum. Bleibt nur die Frage, auf welch schicken Namen die minderbefristete Speicherdatei für Verbindungsdaten hören soll. 4Affen.Dat? Nichts hören, nichts sehen, nicht sprechen, nichts zu verbergen...

*** Bleiben wir bei der Physik und der heisenbergschen Unschärferelation. Physiker in Hannover haben sich daran gemacht, Heisenberg ein Schnippchen zu schlagen, indem sie Licht quetschen und Phase wie Amplitude in einem verschränkten Referenzsystem gleichzeitig messen. Das Schnippchen gegen Heisenberg verfolgt den hehren Zweck, Einsteins Gravitationswellen nachweisen zu können, eine Kräuselung der Raumzeit. So witzig kann Forschung sein, die Kongresse wie "50 Jahre schwarze Löcher" veranstaltet. Aber wehe, wenn sie anfangen, mal dem 2. Hauptsatz der Thermodynamik ein Schnippchen zu schlagen und sich daran machen, Entropiebomben zu bauen. Dann schlägt die Stunde von Bosbach.

*** Die Stunde von Assange und seinem Safepass-Adjutanten war schon im letzten WWWW ein Thema der Wochenendunterhaltung, das an Absurdität schwer zu übertreffen sein dürfte. Doch es ging. Mit dem seltsamen Zwischenstopp der Maschine des bolivianischen Präsidenten Evo Morales aufgrund angeblich fehlender Überflugrechte wurde das Spiel locker getoppt. Während die Verweigererländer ihre Unschuld betonen, lachen sich die Agenten schlapp, die diese ganz besonders doofe Massenvernichtungswaffe via Spanien lancieren konnten, die Europa zeigte, was der Marshal kann. In der Deklaration von Cochabamba wird eine Aufarbeitung des Vorfalls gefordert. Nicht einmal diese Deklaration ist offenbar berichtenswert, von Aufklärung ganz zu schweigen. Stattdessen gibt es Twitter-Quatsch auf dem Niveau von Groschenblättern.

*** Auf besonders tiefen Niveau fliegt derzeit die SPD mit Politikern wie Wiefelspütz, der nicht erkennen kann, dass dieser Snowden politisch verfolgt wird. Vielleicht fehlte die Brille. Nicht nur Sören Jensen wartet auf eine Antwort. Dass zudem Sigmar Gabriel den Chef der NSA in Deutschland vorladen will und Ex-Kanzleramtsminister Steinmeier nichts von den Echelon-Untersuchungen wusste, die in seine Amtszeit fielen, passt zu den berühmten vier Affen. Oh, habe ich mich verzählt? Aber nicht doch, Europa soll es richten, nach dem Willen der designierten Internet-Ministerin: Die bestehende EU-Gesetzgebung muss außer Kraft gesetzt werden. Das ist wohl das "weichere Wording" à la SPD. Bis anhin verschlüsselt die Partei mit einer Decke, entwickelt im Forschungsprogramm der Fachfrau.

*** Im Sommer sollte man auch das Positive sehen und nicht nur herumrätseln. Diese Einsicht wird ihnen präsentiert vom Heise-Forum und von Fefe: Es gibt eine Gegenbewegung, es gibt Alternativen, auch wenn sie Schwächen haben mögen. Auf ihnen kann man aufbauen, mit schlichten Einsichten beginnend: Vertrauen ist kein Algorithmus. Zum Tode von Douglas Engelbart sollte die Nebensächlichkeit erwähnt werden, dass Stewart Brand die Kamera bediente, die die Mutter aller Demonstrationen im Film verewigte. 1968, im Jahr der Engelbart-Demo erschien der erste Whole Earth Catalogue von Brand mit dem Motto: "Stay Hungry, Stay Foolish." Bleibt jung, bleibt hungrig, bleibt misstrauisch gegenüber dem Staat. Inmitten all der IT-Spezialisten, die an Überwachungssystemen wie Prism schrauben, gibt es mutige junge Leute wie Edward Snowden oder Bradley Manning, die auspacken.

Was wird.

In der nächsten Woche startet das Sommerrätsel mit hoffentlich knackigen Fragen über Hardware, Software und der Wetware, eben den Menschen in all diesem Schlamuckel. Es geht zurück, das ist doch schon etwas. Das ur-ur-uralte Altavista wird abgeschaltet, einstmals die Top-Suchmaschine der innovativen Programmierer von DEC. DEC?. Hätte diese Superkultur der nerdigsten Nerds daraus ein Google machen können? Der Rest ist Schweigen, besonders dann, wenn wieder einmal Europa 3.0 gefordert wird. Der Quatsch namens europäische Suchmaschine lässt grüßen. Die Antwortmaschine (PDF-Datei) macht winke-winke, wie Maneki Neko: Das Glück ist uns hold. (vbr)