Die Woche: Canonical wiederholt Fehler

Canonical macht bei seinem X-Nachfolger Mir eine Reihe von Fehlern, die es schon beim Unity-Desktop gemacht hat. Mir wird Anwendern und Entwicklern so das Computerleben erschweren, ohne eine echte Chance zu haben, Wayland das Erbe von X.org streitig zu machen.

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Von
  • Thorsten Leemhuis

Überstürzte Einführung, Lizenzschwierigkeiten und Unzulänglichkeiten bei der Abstimmung mit der Open-Source-Welt: Canonical wiederholt bei der Entwicklung des Display-Servers Mir viele der Fehler, die es schon bei der Einführung von Unity begangen hat. Wie Ubuntus Desktop wird daher auch Mir bei Linux-Distribution jenseits des Ubuntu-Ökosystems wohl kein Erfolg werden, selbst wenn es besser wird als das aufstrebende Wayland.

Die überstürzte Einführung ist schon jetzt absehbar, den Ubuntu 13.10 soll den neuen Display-Server standardmäßig nutzen – keine sieben Monate, nachdem er der Öffentlichkeit überhaupt erst vorgestellt wurde. Bei Ubuntu 13.10 kommt Mir aber noch gar nicht richtig zum Zug; es wird vielmehr nur ein Unterbau für einen XMir genannten X-Server sein, auf den die aktuelle Unity-Generation zur Bildschirmausgabe zurückgreift. Deutliche Geschwindigkeitsvorteile lassen sich so nicht erzielen. Und selbst wenn: Moderne x86-PCs und ihre Grafikhardware stellen Desktop-Oberflächen und -Anwendungen ohnehin mehr als "schnell genug" dar.

(Bild: http://www.heise.de/ct/motive/13/09/)

Auch sonst sind keine nennenswerten Vorteile durch Mir als zusätzliche Abstraktionsschicht erkennbar, von denen Anwendern beim Einsatz von Ubuntu 13.10 auf Desktop-PCs und Notebooks profitieren könnten. Mir und XMir sind daher nur Ballast, der Probleme bereiten wird. Denn wie alle anderen Programme werden auch diese beiden Fehler enthalten, die hier und da zu Problemen führen. Bei Unity waren es recht viele, als es zum Standarddesktop von Ubuntu wurde; die mittlerweile deutlich gereifte Oberfläche hatte daher Anfangs einen eher schlechten Ruf, was so manchen Anwender in die Arme von Linux Mint und anderen Distributionen getrieben hat.

Lizenzproblematiken hat Mir gleich zwei. Die erste ist das Contributor License Agreement (CLA), das Entwickler unterzeichnen müssen, um zum Hauptentwicklungszweig von Mir beizutragen. Das ist bei den meisten von Canonical entwickelten Open-Source-Software so und erlaubt dem Unternehmen unter anderem, die Software unter einer anderen Lizenz zu veröffentlichen. Das ist nichts Schlechtes – auch die Free Software Foundation (FSF) hält das ähnlich. Wie OpenOffice.org zu Sun-Zeiten sowie Unity, Upstart und eine Reihe anderer Projekte gezeigt haben, sind viele Open-Source-Entwickler allerdings nicht bereit, solche CLAs zu unterschreiben. Teilweise blocken schlicht ihre Arbeitgeber; kein Wunder, denn selbst Open-Source-freundliche Firmen überlegen es sich zweimal, Verbesserungen zu einer Software beizutragen, die ein direkter Konkurrent dann in proprietären Produkten einsetzen darf.

Das zweite Lizenzproblem: Mir untersteht der GPLv3. Sie bringt Canonical in Kombination mit CLA in eine vorteilhafte Situation, aus der es Kapital schlagen könnte, wenn man der Argumentation des Kernel-Entwicklers Matthew Garrett glaubt. Wayland hingegen setzt wie der X-Server von X.org auf die MIT-Lizenz, die vor allem von Embedded-Firmen bevorzugt wird.

Mir ist zudem eine Software, wo Canonical wieder Ubuntu als Vehikel nutzt, um eine Eigenentwicklung rigoros in den Markt zu drücken – um eine Abstimmung mit dem Rest der Open-Source-Welt, die Unmengen des Codes von Ubuntu produziert, schert sich das Unternehmen dabei nicht sonderlich. Das kann man so machen, bringt einem aber nicht gerade Sympathien ein. Es führt aber zu ähnlichen Problemen wie Unity, das es bei keiner der Mainstream-Distributionen außer Ubuntu gibt.

Schuld sind für Unity entwickelte und in Ubuntu eingepatchte Änderungen an Software, deren Entwickler die für Unity nötigen Änderungen nicht aufnehmen wollten; das führt zu Mini-Forks, die es anderen Distribution in der Summe letztlich sehr schwer machen, Unity zu integrieren. Solche Probleme sind auch mit der Unterstützung für Mir zu erwarten, die in Bibliotheken wie GTK+ und Qt einfließen muss, um ohne Xmir direkt mit Mir zusammenarbeiten zu können; auch Anmeldemanager und Compositing Window Managern brauchen Anpassungen für Mir. Wenn diese Änderungen nicht in die Upstream-Projekte eingehen, dann wird es unter Umständen schwer, unmodifizierte Versionen von Gnome oder KDE unter Ubuntu einzusetzen. Weiter verkompliziert wird das Ganze durch die Bekenntnisse von Gnome und KDE, in Zukunft auf Wayland setzen zu wollen.

Der Anwender wird drunter leiden müssen. Aber wer weiß, vielleicht bekommt Canonical ja noch die Kurve und schafft die Probleme aus der Welt – Mir hätte dann deutlich bessere Chancen, sodass technische Vor- und Nachteile bei der Wahl zwischen Mir und Wayland wichtiger würden. So entstünde eine belebende Konkurrenz, die vielleicht zu Innovationen führt, die es sonst nie gegeben hätte. (thl) (thl)