Spurensuche nach dem "Supergrundrecht"

Wer hat's erfunden? Friedrich? Oder doch Schily, wie uns nicht nur die Justizministerin glauben machen will? Dabei stellt sich heraus, dass die Debatte ums Supergrundrecht viel älter ist als PRISM.

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Von
  • Detlef Borchers

In der aktuellen Debatte um den NSA-Skandal und seine Konsequenzen hat Bundesinnenminster Hans-Peter Friedrich (CSU) seine Position zum Supergrundrecht Sicherheit unter Berufung auf "einen meiner Vorgänger" bekräftigt. Doch welcher ehemalige Innenminister soll ein solches Recht vertreten haben? Eine Spurensuche ergibt, dass der Begriff von Datenschützern gemünzt wurde.

"Einer meiner Vorgänger hat einmal gesagt 'Sicherheit ist ein Supergrundrecht'", wird Friedrich in der Mitteilung des Innenministeriums zitiert. Die Suche nach diesem Amtsvorgänger führt ins Justizressort. In einem Meinungsartikel für die Frankfurter Allgemeine Zeitung schreibt Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) den Begriff des Supergrundrechts dem ehemaligen Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) zu. Der soll gesagt haben, Sicherheit habe als Supergrundrecht der Verfassung immer Vorrang.

Von Otto Schily gibt es keinen Beleg für diese Aussage. Schriftlich findet sie sich nur auf Seite 137 im "Schwarzbuch Datenschutz", einem Rückblick auf die ersten Jahre des Big Brother Awards. Den hatte Schily im Jahr 2005 für sein Lebenswerk erhalten. In der Laudatio von Rechtsanwalt Rolf Gössner hieß es: "Der Mensch wird zum potentiellen Sicherheitsrisiko, der seine Harmlosigkeit und Unschuld nachweisen muss - während Otto Schily die vermeintliche Sicherheit zum Supergrundrecht erklärt, das die wirklichen Grundrechte der Bürger – als Abwehrrechte gegen Eingriffe des Staates - in den Schatten stellt." Ähnlich äußerte sich Gössner auch in späteren Beiträgen.

Allerdings hatte Gössner das Supergrundrecht schon lange vor Schilys Amtszeit und seinem Lifetime-Big-Brother auf dem Zettel. "Der Ausnahmezustand wird in dieser Sicherheitskonzeption zum Normalzustand, die staatliche Sicherheit zum Supergrundrecht und die BürgerInnen mutieren zu potentiellen Sicherheitsrisiken", hatte Gössner schon 1997 in einem Interview mit der Jungle World formuliert.

Schaut man in die Fachliteratur, so schließt sich der Kreis: Im Jahre 1997 war das "Supergrundrecht" Gegenstand der juristischen Debatte. Nur waren diese nicht auf die Sicherheit bezogen. In einem Aufsatz "Bekenntnisfreiheit und Kirchenasyl" (NJW 1997, 2089) ist davon die Rede, dass Artikel 4 des Grundgesetzes zur Glaubensfreiheit ein Supergrundrecht sein könnte. Ein anderer Aufsatz aus jenen Tagen führt das Supergrundrecht gar im Titel und fragt: "Das Grundrecht Rundfunkfreiheit als 'Supergrundrecht'?" (Tübinger Schriften zum Staats- und Verwaltungsrecht - Band 36 1997, 137-144).

Ein normales "Grundrecht auf Sicherheit" ganz ohne Super hatte 1983 der konservative Jurist Josef Isensee zur Stärkung des Staates gefordert. Damit kommt schließlich Otto Schily zu Ehren: In der Bundestagsdebatte am 3. September 1998 bezog sich Schily auf Isensee, als er sagte: "Wer meint, ein Grundrecht auf Sicherheit sei die Erfindung konservativer Professoren, der irrt sich und beweist damit nur seine Unkenntnis der deutschen Verfassungs- und Rechtsgeschichte. Schon in der Virginia Bill of Rights war das Grundrecht auf Sicherheit enthalten. Es setzt sich über die verschiedenen Verfassungsdokumente bis zur Europäischen Menschenrechtskonvention fort, in der in Artikel 5 das Grundrecht auf Freiheit und Sicherheit verankert ist."

Bleibt nachzutragen, dass ausgerechnet die heutige Justizministerin für diese Art sozialdemokratischer Beweisführung nichts übrig hatte, als sie 2004 eine Grundsatzrede über die Zukunft des Datenschutzes hielt. (vbr)