"Web 2.0 ist ein Schlachtfeld"

In Berlin ist am heutigen Montag die Web 2.0 Expo als Treffpunkt europäischer und internationaler Internet-Gurus eröffnet worden. Zu Beginn zeichnete Tim O'Reilly eine Vision des Web 2.0, das dem Albtraum deutscher Datenschützer entsprechen dürfte.

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Von
  • Torsten Kleinz

Der Konferenz-Zirkus ist in Deutschland angekommen: Am heutigen Montag startete auf dem Berliner Messegelände die Web 2.0 Expo als Treffpunkt europäischer und internationaler Internet-Gurus. Zu Beginn der Konferenz zeichnete Verleger und Web-2.0-Evangelist Tim O'Reilly eine Vision des Web 2.0, das ziemlich genau dem Alptraum deutscher Datenschützer entsprechen dürfte.

O'Reilly, der 2005 den Begriff des Web 2.0 geprägt hatte, sprach zum Thema: "Was die Leute immer noch nicht vom Web 2.0 verstanden haben". So habe er den Eindruck, dass viele Menschen sich unter dem Begriff eine digitale Neuauflage des "Sommers der Liebe" vorstellen. Doch das neue Web sei weniger durch Hippie-Ideale als durch knallharten Wettbewerb geprägt. "Web 2.0 ist ein Schlachtfeld, in dem sich die Wettbewerber mit Zähnen und Klauen bekämpfen."

Vor zirka 1.500 Zuhörern erklärte O'Reilly seine Vorstellungen des Web 2.0. Es gehe vorrangig darum, den Input und die Daten der Nutzer zu deren Vorteil zu nutzen. So habe es Google als erste Firma verstanden, die Nutzer-generierten Inhalte richtig zu nutzen und zu bewerten. Durch den Pagerank-Algorithmus, der Webseiten unter anderem durch die Verlinkung innerhalb des Internets bewertet, habe Google praktisch jeden Nutzer eingebunden, der einen Link im Netz gesetzt habe.

Für die vielen Start-up-Gründer unter den Zuhörern hatte O'Reilly weniger gute Neuigkeiten: Er erwartet eine Phase der Konsolidierung. Da die sozialen Netze mit jedem neuen Nutzer besser würden, werde der Spielraum für Neueinsteiger enger. "Die Großen werden immer größer", fasst der Verleger zusammen. Wer zuerst einen Markt besetze, habe wesentliche Vorteile gegenüber den Mitbewerben, erklärt O'Reilly, der mit seiner Firma O'Reilly Media ebenfalls zu den Großen des Web 2.0 gehört. Einige Tipps gab er aber doch: Die Firmengründer sollten sich darauf konzentrieren, Nutzer-zentrierte Services aufzubauen. Dabei sei es entscheidend, sich nicht alleine auf Software zu konzentrieren – wichtig sei vielmehr, welche Daten eine Firma besitze.

Von einem wirklich offenen sozialen Netz sei die Realität aber noch weit entfernt. Die von Google verkündete Initiative zur Verknüpfung von sozialen Netzen sieht er kritisch: "Das OpenSocial Network von Google ist nicht so offen wie es scheint – wir müssen sie härter drängen, ein wirklich offenes Netz zu bauen."

Was er sich darunter vorstellt, skizzierte O'Reilly auch: So würden heute noch viel zu wenige Datenquellen genutzt, um dem Kunden zu dienen. Der Verleger schlägt vor, zum Beispiel die Datenbanken von Banken und Versicherungen zu nutzen. "Wenn nicht klar ist, wer mein Freund ist – fragt mein Telefon." O'Reilly versteht nicht, warum die Firmen nicht die Verbindungsdaten ihrer Kunden nutzen, um daraus neue Dienstleistungen zu entwickeln.

Die Zukunft sieht der Unternehmer in sensorgesteuerten Techniken. Die Menschen hätten sich zu lange an Bildschirme und die Eingabe über Tastaturen gewöhnt, nun liege es an den Computern und Maschinen, direkt auf die Umwelt zu reagieren. Als Beispiel führte er last.fm an, einen Service, der die vom Nutzer abgespielte Musik an eine zentrale Datenbank übermittelt, um daraus Musikempfehlungen zu generieren und Menschen mit ähnlichem Musikgeschmack zu finden.

Ein anderes positives Beispiel sind für O'Reilly Autoversicherungstarife nach dem Prinzip: "Pay as you drive". Dabei wird von einem Bordcomputer automatisch ermittelt, welche Strecken der Versicherungskunde fährt – und die Versicherung berechnet aus den automatisch erhobenen Daten die Prämie des Kunden. Wem die Visionen des Web-2.0-Evangelisten als Albtraum von Datenschützern vorkommen, liegt nicht ganz falsch: So erhielt der Hersteller eines Pay-as-you-drive-Fahrtenschreibers vor Kurzem einen Big-Brother-Award.

Die Berliner Konferenz dauert noch bis Donnerstag. Um die deutsche Web-2.0-Szene für sich zu gewinnen, muss O'Reilly aber noch zulegen. Denn nach einem lockeren und informellen Barcamp kamen die dreistündigen Sessions und der spärliche Koffein-Nachschub bei der Konferenzkundschaft nicht durchweg gut an. (Torsten Kleinz) / (pmz)