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Was war. Was wird.

Pofallibistisch lässt sich nur konstatieren, dass Geheimnisse geheim sind, weil alle nur unser Bestes wollen. Chuzpe? Nein, das wäre eine zu charmante Beschreibung solcher Unverschämtheiten, wettert Hal Faber.

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Lesezeit: 9 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** "Woher nähme der Künstler das Recht für einen Monopol-Anspruch auf Darstellung von Bestandteilen dessen, was er gelebt und erlitten hat? Ich meine, dass ein solches Recht nicht demokratisch ist," schrieb dereinst im Jahre 1978 ein übel verstimmter Journalist an den derzeit Geburtstag feiernden Dichter Reiner Kunze. Der antwortete ihm mit einem Gedicht:

Spuren gibt's in uns die zu sichern
wir nur selbst vermögen

So es einem von uns gegeben ist,
abdrücke zu nehmen
von solcher winzigkeit

Und ein mädchen das nicht aus noch ein weiß
wird dann plötzlich weiterleben wollen
und ein wirklicher leser wird sagen:
Noch immer gibt es gedichte.

Wir schenken uns den letzten Satz dieses Gedichtes, der am 80. Geburtstag des Dichters vom gelehrten Fäuleton aus allen Kanälen gespült wird. Natürlich dulden Dichter Diktatoren. Sie haben keine Wahl im winzigen Reiche des freien Verses. Sie haben Worte. Wir alle haben Worte. Es ist eine einfache Entscheidung, ein bisschen über die Ereignisse in Ägypten zu grummeln und golfen zu gehen. Oder vom Klassenkampf zwischen den Islamisten und dem Militär zu sprechen, das seine nasseristische Stellung halten will.

*** In dieser Woche hat der Philosoph Slavoj Zizek die Heroen unseres Digitalzeitalters besungen und Edward Snowden, Bradley Manning sowie Julian Assange in die Klasse dieser Supermänner eingeordnet. Seine Beweisführung nutzte die Antwort von Immanuel Kant auf die Frage: Was ist Aufklärung? und den Unterschied zwischen Privat und Öffentlich, den Kant so formulierte:

Der öffentliche Gebrauch seiner Vernunft muß jederzeit frei sein, und der allein kann Aufklärung unter Menschen zu Stande bringen; der Privatgebrauch derselben aber darf öfters sehr enge eingeschränkt sein, ohne doch darum den Fortschritt der Aufklärung sonderlich zu hindern. Ich verstehe aber unter dem öffentlichen Gebrauche seiner eigenen Vernunft denjenigen, den jemand als Gelehrter von ihr vor dem ganzen Publikum der Leserwelt macht. Den Privatgebrauch nenne ich denjenigen, den er in einem gewissen ihm anvertrauten bürgerlichen Posten, oder Amte, von seiner Vernunft machen darf.

Nach Zizek sind Whistleblower wie Edward Snowden darum Heroen, weil sie uns über den Privatgebrauch von Systemen durch den Staat selbst aufklären, uns über geheime Machenschaften informieren, deren bloße Existenz als Geheimnis geheim bleiben muss. Danach endet freilich die heroische Rolle und die Whistleblower erleiden ein Schicksal. Manning sitzt in Untersuchungshaft, die Höhe seiner Strafe dürfte in der kommenden Woche verkündet werden. Snowden ist in Russland und darf sich dort nicht betätigen. Assange hat sich freiwillig in das politische Asyl einer Botschaft begeben und dort noch den größten Einfluss, die beiden anderen als "our people" in sein ureigenes Programm einzubetten.

*** In seinem Traktat über das Heroische in der Geschichte beschäftigt sich Thomas Carlyle in einem Kapitel mit den unscheinbarsten Heroen, den Männern des Wortes, den Hommes des Lettres wie Jean-Jacques Rousseau. Von ihren Büchern über den Buchdruck geht es hinunter bis zur Sprache und zur freien Debatte im Parlament, zur Dauerdebatte außerhalb des Parlamentes. Carlyle schreibt über den vierten Stand:

Whoever can speak, speaking now to the whole nation, becomes a power, a branch of government, with inalienable weight in law-making, in all acts of authority. It matters not what rank he has, what revenues or garnitures. the requisite thing is, that he have a tongue which others will listen to; this and nothing more is requisite.

Wer frei sprechen kann, darf nicht schweigen, wenn der sogenannte vierte Stand versagt und davon faselt, dass das Kapitel NSA abgeschlossen ist. Das ist das unkritische Plappern im Stil eines deutschen Innenministers, der allen Ernstes meint, dass die NSA-Affäre beendet ist. Die Aufarbeitung hat erst angefangen, die ganze Geschichte ist längst nicht zu Ende erzählt. Den bis jetzt durch einen Prüfbericht bekannt gewordenen Gesetzes-Verstößen der NSA werden weitere Meldungen über Fehler im System folgen. "Wir wollen unseren Überwachern keine zusätzlichen Informationen geben, das ist doch einmal ein erfrischend ehrliches Statement einer nationalen Sicherheitsagentur, wie es ein Pofalla nicht besser ausdrücken könnte. Ja, mit denen schließen wir doch gerne ein No-Spy-Abkommen wie es uns großzügigerweise angeboten wurde. Um es pofallibistisch zu sagen: Würde sich die NSA an Recht und Gesetz halten, bräuchte es kein solches Abkommen.

*** Im Zuge der NSA-Enthüllungen von Edward Snowden hat sein Mail-Provider Lavabit dicht gemacht, in Notwehr vor dem Zugriff der US-Dienste, über den die Firma nicht einmal sprechen kann. 410.000 Nutzer sind die ersten Opfer des neuen Krypto-Krieges, in dem es gilt, selbst seine Spuren zu sichern. Auch Philip Zimmermann, der Held des ersten Krypto-Krieges, hat sich zu Wort gemeldet, sein Projekt Silent Circle wurde ebenfalls dicht gemacht, mit der Zusatzdiagnose "zu schnell gewachsen". Derweil werden gut gemeinte Ratschläge herumgereicht, wie man sich wappnen kann im neuen Krypto-Krieg. Eine End-to-End-Verschlüsselung ist nett, doch angesichts des Ausmaßes der Überwachung viel zu wenig: Es bräuchte Schlüssel, die abseits aller Keyserver getauscht werden, vertrauenswürdige VPN-Dienstleister und Mail-Provider, bei denen Post routinemäßig sicher gelöscht wird. Ob Pond der richtige Ansatz ist, bleibt abzuwarten.

*** Braucht es eigentlich Robbenbabys oder im Öl verendete Vögel, damit aus der Empörung über die NSA eine nennenswerte Bewegung wird? Da sorgt sich die tageszeitung mit den üblichen Verdächtigen ganz dolle, ohne die geplante Demonstration "Freiheit statt Angst" zu erwähnen, weil dort die falschen Bündnispartner aufgeführt sind und nicht der CCC und die Digitale Gesellschaft, die bewusst fernbleiben. Ja, auch beim großen Krypto-Krieg hat der Krieg der Volksfront von Judäa gegen die Typen von der Judäischen Volksfront eben Vorrang.

*** Wer eine Zunge hat und Informationen, der spreche. Da Edward Snowden eigentlich nicht erreichbar ist und nicht frei sprechen kann, hat das Magazin der New York Times die beiden Personen besucht, die anstelle von Snowden reden und die Presse beliefern, Laura Poitras und Glenn Greenwald. Inmitten des Portraits gibt es Fragen an Snowden wie die, warum er nicht zur Times gekommen ist mit seinen Kenntnissen über die Geheimdienste. Snwoden antwortete mit einer Beschreibung der Periode nach dem 11. September, in der amerikanische Medien ihre Rolle vergessen hätten, als vierte Macht die Macht der Regierung kritisch zu begleiten. Die überaus deutliche Kritik ist kürzer und genauer als sämtliche Debatten zur Zukunft des Journalismus, die geführt werden. Wer die völlig verdrehte Argumentation des Wall Street Journals über Vater und Sohn Snowden gelesen hat sowie Snowdens Stellungnahme in der HuffPost, bekommt eine Ahnung davon, wie der junge Whistleblower ausmanövriert werden soll. Die "kalte Periode" (Snowden) ist noch nicht vorbei.

*** Mit der durch Snowden ermöglichten Veröffentlichung des NSA-Prüfberichtes samt Anweisung, wie Aussagen zu den Zielen vertuscht werden sollen, sehen wir hübsche Screenshots des Ragtime-Programmes der NSA. Die Existenz von Ragtime bzw. Ragtime-P (für Patriot Act) ist erstmals in einem Buch über den tiefen Staat bekannt geworden. Ein tiefer Staat ist einer, in dem die Geheimdienste das Primat der Politik aushebeln. Mark Armbinder, einer der beiden Autoren des Buches, arbeitet bei Palantir Technologies. Das ist die Firma des Super-Investors Thiel, die zwar eine Software namens Prism herstellt, aber eben nicht das PRISM der NSA, sondern andere Sachen. Überhaupt ist Palantir sooo eine nette Firma, mit einem Habermas-Schüler als Chef. Da können wir uns doch freuen, wenn Nexus Peering von unseren Geheimdiensten eingesetzt wird. Schließlich bleibt bei uns das Rätsel Prism ungelöst: "Die Dokumente beinhalten geheimhaltungsbedürftige Tatsachen oder Erkenntnisse, die im öffentlichen Interesse schutzbedürftig sind." Im öffentlichen Interesse bleibt alles geheim. Sonst müssten Geheimdienste ja Offendienste sein – und geheime Steckbriefe offene Fragen enthalten.

Was wird.

Der Sommer ist kurz und kürzer, die Vorschau ebenso: Neben der Demonstration Freiheit statt Angst bereitet sich Berlin auf die IFA vor, dazu gibt es einen reichlich lustlos geführten Wahlkampf, mit einem unpolitischen Deutschlandfest der SPD: 150 Jahre schlauchen halt irgendwie und ein Steinbrück ist nunmal kein Bebel.

Zur IFA startet die Deutsche Telekom eine groß angelegte "Netzoffensive". Da kann man schon mal raten, ob das entscheidene Bekenntnis zur Netzneutralität mit von der magentafarbenen Offensive ist. Gerüchte um eine smarte Uhr bei Samsung feuern zudem die Phantasie an. Bekommen wir passend zu Googles Glasses den Spion am Handgelenk, der alles aufnimmt, wie es weiland ein auf Julian Assange angesetzter FBI-Informant machen sollte? Vielleicht noch wichtiger: bekommen wir endlich die richtigen Fragen, auf die intelligente Computer ordentlich antworten können? Was ist der Sinn
a.) der NSA?
b.) des Lebens?
Da hilft nur ein Lied, um pofallibistische Antworten auch nur mit ein bisschen Galgenhumor ertragen zu können. "Life's a piece of shit, when you look at it." (jk)