Australische Wikileaks-Partei in schwerer Krise

Mehrere prominente Mitglieder haben die australische Wikileaks Party verlassen, nachdem ein Beschluss des nationalen Parteirates über Wahlpräferenzen von Julian Assange nachträglich für rechte und nationalistische Parteien verändert wurde.

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Von
  • Detlef Borchers

Mehrere prominente Mitglieder haben die australische Wikileaks Party verlassen, nachdem der Parteivorsitzende Julian Assange einen mehrheitlich gefällten Beschluss des nationalen Parteirates nachträglich verändert hatte. Der Alleingang, die Präferenzen der Wikileaks-Wahlempfehlungen zu bestimmen, vertrage sich nicht mit demokratischen, transparenten Strukturen, heißt es in mehreren Stellungnahmen der ausgetretenen Kandidaten und Parteimitglieder. Überdies würden die von Assange festgelegten Wahlpräferenzen für rechte bzw. nationalistische Parteien – gegen die Stimmempfehlung des Parteirates für die australischen Grünen und die Piratenpartei – den freiheitlichen Prinzipien der Partei widersprechen.

In Australien wird am 7. September ein neues Parlament gewählt. Erstmals dabei ist die Wikileaks Party mit Julian Assange als Spitzenkandidat. Im ganzen Land gilt für diese Wahl eine Wahlpflicht. Gewählt wird dabei nach dem sogenannten Präferenzwahlsystem des "Single Transferable Vote": Der Wähler wählt seinen Hauptkandidaten mit einer "1" und trägt mit 2,3,4 usw. eine Rangfolge weiterer Kandidaten oder Parteien ein, um seinen Präferenzen Ausdruck zu geben. Diese Präferenzen "below the line" führen dazu, dass Kandidaten den Sprung ins Parlament schaffen, die nicht die meisten Erststimmen erhalten haben. Dementsprechend geben alle Parteien ihren Anhängern Empfehlungen mit auf den Weg in die Wahlkabine, wie sie die Präferenzen setzen würden, so auch die Wikileaks Party.

Nach langwierigen Verhandlungen einigte sich der nationale Parteirat in der vergangenen Woche darauf, in den drei Bundesstaaten mit den besten Stimmenchancen für Wikileaks (New South Wales, Victoria und Western Australia) die Grünen auf den ersten Platz der Präferenzenliste zu setzen und in anderen Staaten zumindest vor den Kreationisten, der Waffenpartei und der christlichen Rechten zu präferieren. Umgekehrt setzten die Grünen die Wikileaks-Party in Victoria und Western Australia auf Platz eins ihrer Präferenzenliste, in New South Wales auf Platz 3. Dort hat die australische Piratenpartei ihre Hochburg, die von den Grünen vor Wikileaks präferiert wird.

Der öffentlich kommunizierte Beschluss des Nationalrates wurde jedoch von Julian Assange telefonisch unterlaufen und verändert. Nach Darstellung australischer Medien beanspruchte der in der Botschaft von Ecuador in London lebende Assange das letzte Wort bei den Wahlpräferenzen und verkündete ein neues Procedere. Insbesondere überraschte der Beschluss, die Grünen und ihren sehr populären Spitzenkandidaten Scott Ludlum in Western Australia in den Präferenzen hinter die rechtsradikale National Party zu setzen. Ludlum war in der Vergangenheit einer der wenigen prominenten Politiker in Australien, der Wikileaks unterstützte und sich für Julian Assange einsetzte. Noch verstörender war für Sympathisanten der Wikileaks-Partei die verkündete Präferenz für Australia First, eine Partei mit einem erkennbar ultranationalistischen Programm.

Der gesamte Vorgang führte dazu, dass bis jetzt sieben Prominente, die für Wikileaks antreten wollten, aus der Partei ausgetreten sind. Unter ihnen befinden sich mit Leslie Cannold die Nummer zwei hinter Assange. Ausgetreten sind auch Sam Castro und Kaz Cochrane, die Gründer der australischen Bürgerallianz für Wikileaks, David Haidon, Koordinator der Wikileaks-Wahlhelfer in Victoria und Sean Badlam, der Koordinator Social Media.

Besondere Beachtung verdient der Austritt des Mathematikers Daniel Mathews. Er gründete zusammen mit Assange Wikileaks und setzte 2008 in den gerichtlichen Auseinandersetzungen mit der Schweizer Bank Julius Bär seine Karriere als Jungprofessor in den USA aufs Spiel. In der Begründung zu seinem Parteiaustritt schildert Mathews ausführlich die Diskussionen rund um die Wahlpräferenzen und empfiehlt all seinen Lesern unbeirrt, neben Wikileaks die Grünen zu unterstützen. (jk)