Studie: Netzneutralität im internationalen Vergleich

Bislang beschäftigten sich vor allem Experten mit der Netzneutralität; es sei "kein Massenthema geworden, obwohl es wert wäre, eines zu sein", meint Miriam Meckel zu einer Studie zum internationalen Umgang mit der Behandlung des Netzverkehrs.

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Von
  • Richard Sietmann

Auf einer Veranstaltung des Deutschen Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet (DIVSI) stellte die frühere Medien-Staatssekretärin in NRW und jetzige Professorin an der Universität St. Gallen, Miriam Meckel, eine in Zusammenarbeit mit der E-Plus-Gruppe verfasste Studie zur "Netzneutralität im internationalen Vergleich" vor. Darin versuchen sie und ihre Mitarbeiter am Institut für Medien- und Kommunikationsmanagement in St. Gallen, die Besonderheiten und Charakteristiken der Debatten zur Netzneutralität insbesondere in Deutschland, der Europäischen Union, Frankreich, den Niederlanden und den USA herauszuarbeiten.

Ausgehend von den USA, wo das Problem im Gefolge des Telecommunications Act 1996 zuerst auftauchte, kam das Thema erst mit einiger Verzögerung in anderen Ländern auf die politische Agenda. Im Richtlinienpaket der EU zur Telekommunikationsregulierung von 2009 bildete die Netzneutralität noch eine Fußnote in Gestalt einer unverbindlichen Erklärung im Anhang. Das erste Land, das "in einem sehr begrenzten Rahmen" eine gesetzliche Regelung verabschiedete, war 2010 Chile. Holland folgte 2012 als erstes Land innerhalb der EU, nachdem dort der Exmonopolist KPN angekündigt hatte, die mit den eigenen Diensten konkurrierenden Internetanwendungen wie Skype und WhatsApp durch Extragebühren zu diskriminieren.

Anfang dieses Jahres traten in Slowenien Regeln zur Netzneutralität in Kraft, die als Teil eines neuen Gesetzes zur elektronischen Kommunikation die Regulierungsbehörde verpflichten, den offenen und neutralen Charakter des Internet zu gewährleisten und den Zugang zu Informationen, deren Verbreitung, sowie die Nutzung von Anwendungen und Diensten durch die Endnutzer zu bewahren. Insbesondere verbietet der Artikel 203 des Gesetzes den Zugangsnetzbetreibern – abgesehen von wohlbegründeten Ausnahmefällen zum Schutz des Netzbetriebs – das Blockieren und Verlangsamen des Datenverkehrs für einzelne Anwendungen sowie die Preisdifferenzierung der über den Internetanschluss genutzten Dienste und Anwendungen. Die slowenischen Regelungen seien "aus unserer Sicht das Strengste, was es in diesem Zusammenhang gibt", kommentierte Meckel.

Deutschland bescheinigte die Medienwissenschaftlerin bei der Präsentation der Studie "einen relativ differenzierten Diskurs", der auch gesellschaftspolitische Aspekte aufgreife. Allerdings beschäftigten sich bislang überwiegend Experten mit dem Problem und es sei "kein Massenthema geworden, obwohl es wert wäre, eines zu sein". Auffällig sei, dass Provider "im Diskurs kaum in Erscheinung träten" und "die Internet-Industrie insgesamt nur mit wenigen Beiträge in der Debatte präsent" sei. Keine Akteursgruppe, so lautet ein weiterer Befund, "ist eindeutig dominant und vermag die anderen nachhaltig zu beeinflussen"; dass Netzaktivisten und Blogger das Meinungsbild beherrschten, stimme "nur zum Teil".

Für die USA, wo das Problembewusstsein "sehr stark von der Wissenschaft" geprägt worden sei und dies 2010 zur Verabschiedung der "Open Internet Order" durch die Regulierungsbehörde FCC führte, hält die Studie fest, dass sich die öffentliche Diskussion derzeit vor allem auf Regulierungsfragen fokussiere. So werde insbesondere die Zuständigkeit der FCC für die Regulierung des Internetzugangs grundsätzlich bezweifelt. Nachdem der zweigrößte Festnetzbetreiber Verizon gegen die Open Internet Order klagt und sich dabei auf die Pressefreiheit beruft, wird der Streit nun gerichtlich ausgefochten. (Am 9. September findet vor dem Court of Appeals for the District of Columbia als erster Instanz die mündliche Verhandlung statt. Einen Hintergrundbericht zu dem Verfahren und seine Relevanz für die Situation in Europa wird in der c't 20/13 erscheinen).

Zusammenfassend, erklärte Meckel, schälten sich in den Debatten vier Brennpunkte heraus. Da sei zunächst einmal der Regulierungsaspekt, wie und von wem die Netzneutralität durchgesetzt werden sollte oder könnte. Einen weiteren Kernpunkt bilde die Finanzierung des Netzausbaus und die Beteiligung der Content-Industrie an den Kosten der Infrastruktur. Kontroversen zwischen Gegnern und Befürwortern gebe es um die Frage, ob ein dummes End-zu-Ende-Netz oder mehr Intelligenz im Netz förderlicher für wirtschaftliche Innovationen sei; und zu einem vierten Schwerpunkt entwickle sich immer mehr die Grundrechtediskussion darüber, wie die Meinungs- und Informationsfreiheit der User gegen die Eigentumsgarantie und unternehmerische Freiheit der Netzbetreiber abgewogen werden können.

Der Stand der internationalen Diskussion lasse erwarten, dass einige Themen künftig stärker in die deutsche Debatte einfließen werden, wagte Meckel eine Prognose. Als Beispiele nannte sie "Proxy Censorship" durch ISPs, die durch staatliche Behörden immer stärker in die Rolle von Hilfsorganen bei der Verfolgung von Cyberkrime oder Urheberrechtsverletzungen gedrängt würden, und die bisher diskriminierungsfreien Entgeltmodelle in den Peering- und Transitvereinbarungen bei der Netzzusammenschaltung. Die Besteuerung US-amerikanischer Internet-Dienstleister werde ebenso stärker in den Fokus rücken wie die Fragmentierung der Regulierungsansätze innerhalb der EU, die den digitalen Binnenmarkt bedrohe. Auch die relativ neue Frage, wie man Qualität definiere, werde die Gemüter zunehmend beschäftigen – hier sei in der Fachwelt von den technischen Quality-of-Service-Parametern zu einer userzentrierten "Quality of Experience" zu beobachten, die "immer stärker das Erlebnis des Endnutzers in den Vordergrund stellt". (jk)