Diaspora ist tot, es lebe Diaspora!
Quelloffen, dezentral und unabhängig sollte das neue soziale Netzwerk werden, das vier Mathematikstudenten aus New York auf ihrer Kickstarterseite im April 2010 präsentierten. Ihr Traum war es, die Menschheit aus den Datenklauen von Mark Zuckerberg zu befreien.
- Jakob Lochner
Mit 200.000 Dollar aus der Crowdfunding-Kampagne startete das Diaspora-Projekt überaus erfolgreich. Schon im September desselben Jahres wurde der erste Quellcode veröffentlicht, im November startete der Alpha-Test. Etwa ein Jahr später sammelte die neu gegründete Diaspora Foundation nochmals 45.000 Dollar und die öffentliche Betaphase startete. Die Betaphase wurde allerdings vom Tod des 22 Jährige Mitgründers Ilya Zhitomirskiy überschattet.
Vor einem Jahr übergaben dann die Gründer die Entwicklung in die Hände der Diaspora-Community und zogen sich weitgehend aus der Entwicklung zurück. Dadurch sollte erreicht werden, dass sich das Projekt mehr im Sinne der Nutzer entwickelt. Seit damals wurde nur noch wenig über das Projekt berichtet. Das hatte zur Folge, dass viele Diaspora für tot erklärten. Doch seit dem Umschwung hat sich einiges getan. Es wurden neue Strukturen zur Diskussion aufgebaut und bereits zwei Major-Releases veröffentlicht.
Bei Diaspora handelt es sich um eine besondere Art von sozialem Netzwerk. Jeder hat die Möglichkeit, die Diaspora-Software auf einem Server zu installieren. Damit es nicht viele kleine Netzwerke gibt, kommunizieren die einzelnen Server, in der Diaspora-Terminologie Pods, miteinander: Man kann sich auf einem beliebigen Pod anmelden und ist trotzdem Teil des großen Diaspora-Netzwerks. Wer nicht die Zeit oder das nötige Fachwissen hat, einen eigenen Pod zu installieren, kann sich einfach kostenlos auf einer bestehenden Diaspora-Instanz anmelden.
Erste Schritte
Der Kern von Diaspora ist der Stream, indem die Nutzer Beiträge veröffentlichen können. Diese können kommentiert, "geliked" oder weitergesagt werden. Zudem können Benutzer private Nachrichten austauschen, ähnlich wie E-Mails.
Um sich mit Diaspora vertraut zu machen, lohnt es sich, erst einmal einen Account bei einem bestehenden Server zu erstellen. Eine Liste mit öffentlichen Servern gibt es bei Podupti.me. Achten Sie darauf, einen Server in Deutschland zu wählen, da in anderen Ländern oft lockerere Datenschutzbestimmungen bestehen.
In Diaspora hat es sich eingebürgert, dass sich neue Nutzer vorstellen. Veröffentlichen Sie dazu einen Beitrag, in dem der Hashtag "#NeuHier" vorkommt. Bevor Sie den Post publizieren, wählen Sie bei "Alle Aspekte" die Option "Öffentlich". Damit legen Sie fest, wer den Beitrag lesen darf.
Kontakte in Diaspora
In Diaspora verwalten Sie ihre Kontakte in Gruppen, sogenannten Aspekten. Um einen Nutzer in eine Gruppe zu verschieben, wählen Sie auf dessen Profil unter "Kontakt hinzufügen" die passende Gruppe aus. Der Nutzer hat keine Möglichkeit zu sehen, wo er einsortiert wurde.
Wenn Sie etwa Ihre Freundin Petra zu Ihrem Aspekt "Freunde" hinzufügen, erhält sie eine Nachricht und kann Ihr komplettes Profil anschauen. Außerdem erhalten Sie ab jetzt alle öffentlichen Nachrichten von ihr und können Petra in Ihren Beträgen mit "@petra" erwähnen.
Petra kann sich nun ebenfalls entscheiden, mit Ihnen zu teilen und Sie ihren Kontakten hinzuzufügen. Daraufhin erhalten Sie eine Nachricht, die Ihnen dies mitteilt, und können Petras Profil anschauen. Außerdem erhalten Sie alle Nachrichten, die Petra an die Gruppe verschickt, der sie Sie zugeordnet hat. Umgekehrt gilt das Gleiche für Nachrichten, die Sie an die Gruppe schreiben, zu der Sie Petra zugeordnet haben. Außerdem können Sie sich gegenseitig private Nachrichten über den Briefumschlag in der oberen Leiste schicken.
Kommunikation in Diaspora
Eine wichtige Rolle bei Diaspora spielen Hashtags. Beiträge sind in der Regel mit Hashtags markiert. Diese können Sie abonnieren, sodass Sie alle Inhalte angezeigt bekommen, die mit den abonnierten Tags veröffentlicht werden. All diese Posts landen auf Ihrer Startseite von Diaspora, dem Stream. Dort werden auch alle Beiträge ihrer Kontakte angezeigt.
Die Navigation im Stream geht auch per Tastenkürzeln: Mit "J" springen Sie zum nächsten Beitrag, mit "K" zum Vorherigen, mit "L" liken Sie den Beitrag, mit "C" hüpft der Fokus in das Kommentarfeld und mit Strg+Enter veröffentlichen Sie einen Beitrag oder einen Kommentar.
Etwas gewöhnungsbedürftig ist, dass sich der Stream nicht automatisch aktualisiert, sondern dass man die komplette Seite neu laden muss, um die neuesten Beiträge lesen zu können. Die Auto-Update-Funktion lässt sich jedoch über ein User-Skript nachrüsten.
Diaspora-Apps für mobile Geräte gibt es nur sehr wenige und diese sind in der Regel nicht endnutzertauglich – Grund dafür ist die fehlende API. Die beste Möglichkeit, mit dem Smartphone das soziale Netzwerk zu nutzen, ist die mobile Version der Webseite.
Die Community
Einer Nutzerin beschrieb Diaspora folgendermaßen: "Hier posten Fremde ihr (meist linkspolitisch angehauchtes) Gedankengut, philosophische Texte, Aufrufe zu Veränderungen und Hinweise auf Missstände. Und Bilder von Katzenbabys natürlich."
Dieses Zitat beschreibt das Netzwerk schon recht gut. Viele Menschen dort kennen sich nur über das Netzwerk und haben sich noch nie gesehen. Das, was sie verbindet, sind gemeinsame Interessen. Man teilt, was man im Internet gefunden hat oder was man selber produziert hat. Inhalte wie philosophische Texte und Hinweise auf Missstände sind viel vertreten, aber auch die Bereiche Linux, Open Source und Freie Software sind sehr dominant. Letztendlich hängt das, was man zu sehen kriegt, sehr davon ab, mit wem man teilt und was man selber schreibt.
Hat Diaspora seine Ziele erreicht?
Das Ziel der vier Studenten war es, ein besseres soziales Netzwerk als Facebook zu schaffen. Dabei bezog sich "besser" nicht unbedingt auf den Funktionsumfang, sondern in erster Linie auf den Datenschutz und den Respekt gegenĂĽber den privaten Daten der User.
Der Datenschutz und damit das Konzept eines dezentralen Netzwerks ist immer noch das Aushängeschild von Diaspora. Allerdings kann man gerade bei der Auswahl des Pods viel falsch machen. Der größte Pod, joindiaspora.com, nutze noch bis vor kurzen die unter Datenschutzaspekten umstrittenen Google Analytics und hat bis heute seine Server in der Amazon Cloud in den USA stehen. Damit ist der Schutz der Nutzerdaten eines Großteils der Diaspora-User nicht gewährleistet. Diese Probleme sind allerdings eher Pod-spezifisch und haben nichts mit der Software an sich zu tun.
Doch auch die Diaspora-Software hat noch einige Probleme. Das größte ist die teilweise nicht funktionierende Kommunikation der Server untereinander. Wenn zum Beispiel ein Server einige Zeit offline ist, verpasst er alle Beiträge, die in dieser Zeit geschrieben wurden.
Außerdem fehlt eine API, was das Programmieren von Apps für mobile Geräte sehr erschwert. Auch das Fehlen lang versprochener Features wie ein Chat oder das Ex- und Importieren von Nutzerdaten ist nervig. An vielen dieser Probleme wird allerdings gearbeitet oder es wurde zumindest bereits ein Konzept entworfen, wie das Problem behoben werden soll.
Der Traum, Facebook zu ersetzen, ist noch lange nicht Realität. Dazu fehlen Diaspora noch die User und die einwandfrei funktionierende Software. Allerdings sind viele Diaspora-Nutzer auch gar nicht mehr der Meinung, dass dieses Ziel unbedingt erreicht werden muss. Eine Nutzerin schreibt zum Beispiel: "Diaspora soll genauso anders und unangepasst bleiben, wie es ist. Auch wenn das bedeutet, dass wir nutzerzahlenmäßig niemals ein neues, besseres Facebook sein können. Na und?"
Was bringt die Zukunft?
Eines der größeren geplanten Features ist der integrierte Chat. Dabei soll auf das XMPP-Protokoll gesetzt werden. Bereits bestehende XMPP-Konten sollen sich dort integrieren lassen.
Intern soll der Teil des Codes, der für die Kommunikation der Server untereinander zuständig ist, vom restlichen Code getrennt werden. Dadurch sollen Fehler bei der Kommunikation leichter behoben und neue Erweiterungen besser eingebaut werden können.
Die bereits erwähnte API ist ebenfalls in Planung, damit Diaspora von Apps oder externen Webdiensten besser angesteuert werden kann.
Wie kann man mithelfen?
An Ideen und Aufgaben fehlt es der Diaspora-Community nicht. Nur an Entwicklern. Seit die Hauptentwickler sich zurĂĽckgezogen und das Netzwerk der Community ĂĽbergeben haben, ist die Anzahl an Commits stark zurĂĽck gegangen.
Aber nicht nur Entwickler sind gesucht. Auch technisch weniger versierte Nutzer werden gebraucht und können bei Entscheidungen mitdiskutieren.
Zur Abstimmung und Kommunikation werden verschiedene Hilfsmittel benutzt. Es gibt eine Mailingliste, IRC-Räume, Github und die Diskussionsplattform Loomio. Hin und wieder wird auch im Netzwerk selber diskutiert.
Diaspora-Tuning
Wen an Diaspora die fehlende automatische Update-Funktion stört oder wer das Design nicht schön findet, der kann mit ein paar Tricks Abhilfe schaffen.
Ein Skript, das der User Faldrian geschrieben hat, ermöglicht es, die vermisste automatische Update-Funktion im Stream nachzurüsten. Um es zu nutzen, installieren Sie in Firefox das Browser-Addon Greasemonkey oder bei Chrome Tampermonkey. Klicken Sie dann auf der Webseite des Skripts auf "Install" und installieren Sie es vollständig. Damit das Skript weiß, welchen Pod Sie benutzen, müssen Sie im Greasemonkey-Addon auf "Benutzerscripte verwalten" klicken und dort die Einstellungen des Skripts öffnen. In die Liste "Auf diese Seiten anwenden" fügen Sie den Eintrag "https://ihr_pod.tld/stream" hinzu.
Bei Tampermonkey wählen Sie in der Übersicht das Skript aus und wechseln in den Reiter "Einstellungen". Tragen Sie "https://ihr_pod.tld/stream" bei "Nutzer Include" ein.
Ab sofort aktualisiert Diaspora die Beiträge automatisch, wenn Sie in einem Tab angemeldet sind.
Das Design von Diaspora lässt sich ebenfalls ändern. Dazu installieren Sie das Browser-Addon Stylish (für Firefox & Chrome). Fertige Themes finden Sie auf Userstyles.org, die Sie über die Funktion "Install with Stylish" installieren können.
Um ein installiertes Theme für den benutzen Pod zu konfigurieren, wählen Sie in den Firefox-Einstellungen von Stylish das neue Theme aus und klicken auf "Bearbeiten". Eine der ersten Codezeilen sollte in etwa so aussehen:
@-moz-document domain("joindiaspora.com"), domain("diasp.org") {
Dort fĂĽgen Sie noch
, domain("ihr_pod.tld")
vor der geschweiften Klammer ein.
Bei Chrome öffnen Sie ebenfalls die Theme-Übersicht und klicken bei Ihrem Theme auf "Bearbeiten". Fügen Sie bei "Gilt für" die URL Ihres Pods ein. Diaspora erscheint nun im gewünschten Aussehen. (jalo) (jalo)