Berlin Music Week: Digital ist besser

Streaming-Dienste verstehen sich als ein Ausweg aus der Misere der Musikindustrie, nicht als eines der Probleme. Dafür müssen sie noch ein bisschen Aufklärungsarbeit leisten, was nicht immer ganz leicht fällt. Über Zahlen reden sie auch nicht gerne.

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Digital ist besser. Der programmatische Titel des 1995 veröffentlichten Debütalbums von Tocotronic verursacht der Musikindustrie noch 18 Jahre später Schmerzen. Damit das langsam mal besser wird, öffnet sich die Berlin Music Week in diesem Jahr erstmals ganz ausdrücklich der Digitalbranche. Immer noch etwas misstrauisch beschnuppern Musiker und Labels auf dem jährlichen Treffen der Musikindustrie die Vertreter von Streaming-Diensten wie Napster, Rdio oder Deezer, die auch nach Berlin gekommen sind, um ein bisschen Imagepflege zu betreiben.

v.l. Billon, Chen, Baumschlager und Moderator Andrew Dubber

(Bild: vbr)

Die Streaming-Anbieter stehen auf der Music Week ein bisschen am Pranger. Die Frage nach dem Geld wird immer als erstes gestellt, weil die Streaming-Dienste pro Play eines Musiktitels nur Peanuts an die Rechteinhaber ausschütten. Die halten dem entgegen, dass sie den größten Teil ihrer Einnahmen an die Musikbranche zurückgeben. Mindestens 70 Prozent ihres Umsatzes fließt zurück, sagen Laurent Billon von Deezer und Thorsten Schliesche von Napster.

Dazu kommen substanzielle Vorauszahlungen, die Streaming-Dienste an die Major Labels abführen müssen, "um überhaupt ins Spiel zu kommen", wie WiMP-CEO Andy Chen am Freitag auf der Berlin Music Week betonte. "Alle zahlen das", bestätigt Billon. Wie hoch diese "Garantien" sind, die die Dienste an die großen Labels zahlen, wollen sie aber nicht verraten. Sie konkurrieren auch untereinander. Dabei ist noch offen, ob es nach dem Wettbewerb der Streamer "Winner Takes All" heißt. Billon glaubt das nicht, er sieht auf dem Markt Platz für verschiedene Anbieter: "Nicht jeder wird alles haben."

Die Beziehungen der Streaming-Anbieter zum alten Establishment der Musikindustrie sind ein Dunkelfeld, die Verträge lassen Transparenz nicht zu. Die oft noch jungen Unternehmen sind neu in der Branche und auf die immensen Kataloge der Majors angewiesen. Die lassen sich das gut bezahlen: Vom derzeit größten Anbieter Spotify haben sich die Majors gleich 18 Prozent gesichert. Branchenkenner Tim Renner, einst selbst Chef eines Major-Labels, nennt das Erpressung.

Deshalb verstehen die Streaming-Anbieter auch nicht, warum sie immer noch die Rolle des Buhmanns der Branche spielen sollen. In Berlin wollen sie auf den alten und bisher nicht besonders beweglichen Moloch Musikindustrie zugehen. Abgesehen von der leidigen Geldfrage gibt es zahlreiche Hürden zu überwinden. "Es gibt viele alte Probleme, die nicht besonders logisch, aber eben da sind", meint Chen. Stefan Baumschlager von Rdio ist dennoch zuversichtlich: "Streaming steckt noch in den Kinderschuhen."

"Die Musikindustrie war in den 80er und 90er Jahre auf einem unglaublichen High", sagte Baumschlager in Berlin. "Sie konnten das gleiche Album wieder und wieder verkaufen: Auf Vinyl, auf Cassette, auf CD. Dann kam das Internet." Das Internet ist der entscheidende Faktor für den Umbruch der Branche, meint auch Billon. Streaming-Dienste seien ein Weg aus der Misere, nicht deren Ursache. Für den Deezer-Chef ist Streaming nur ein Teil einer künftig sehr vielfältigen Verwertungskette für Musik. (vbr)