Die Lüge vom Cyberwar

Die Kriegsrhetorik im Internet erreicht gerade einen neuen Höhepunkt. Sie nutzt den Militärs und bestimmten Unternehmen, schadet aber der Gesellschaft und dem Web.

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Von
  • Bruce Schneier

Die Kriegsrhetorik im Internet erreicht gerade einen neuen Höhepunkt. Sie nutzt den Militärs und bestimmten Unternehmen, schadet aber der Gesellschaft und dem Web.

Schneier ist ein international renommierter Sicherheitsexperte und Autor.

Für eine Technologie, die ursprünglich Grenzen überwinden und Völker verbinden sollte, bringt das Internet derzeit fürchterlich viel Nationalismus hervor. US-Firmen machen sich Sorgen über Hardware aus China; europäische Unternehmen machen sich Sorgen über Cloud-Dienste in den USA; niemand weiß, ob er Hard- und Software aus Israel vertrauen soll; Russland und China bauen möglicherweise ihre eigenen Betriebssysteme, weil sie ausländischen nicht mehr trauen. Ich halte dies für Auswirkungen des derzeitigen Cyberwar-Säbelrasselns. Die großen Nationen der Welt befinden sich am Anfang eines Cyber-Wettrüstens, und wir alle werden durch die Kollateralschäden verletzt.

Die Sorgen unserer Nationalisten werden noch angefeuert durch den Medienrausch rund um die aktuellen Cyber-Attacken aus China. Solche Angriffe sind nicht neu: Sicherheits-experten schreiben schon seit mindestens einem Jahrzehnt darüber, und die populären Medien haben schon 2009 und 2010 von ähnlichen Vorfällen berichtet. Damit möchte ich nicht sagen, dass die chinesischen Attacken harmlos sind. Die Spionage-Kampagne dieses Landes ist ausgeklügelt, und sie geht weiter. Aber es geht nicht nur um China. Internationale Spionage funktioniert in beide Richtungen, und ich bin mir sicher, dass etwa die USA ebenso viel austeilt wie einsteckt. Aktuell haben sie beispielsweise angekündigt, ihre Cyberwar-Truppen von 900 auf 5000 Mann aufstocken zu wollen. China ist sicherlich besorgt darüber, gibt die USA doch sogar offen zu, dass sie Nicht-US-Bürger ausspähen kann.

Und es hört auch nicht beim Ausspionieren fremder Länder auf: Viele Nationen verlangen mehr Kontrolle über das Internet, um innerhalb ihrer eigenen Grenzen spionieren und zensieren zu können. Diese "Cyber-Souveränitäts-Bewegung" bekam vom Treffen der International Telecommunications Union (ITU) vergangenen Dezember in Dubai zusätzlichen Auftrieb. Ein Analyst nannte die Konferenz das "Internet-Jalta", in Anlehnung an das Treffen der Siegermächte gegen Ende des Zweiten Weltkriegs, als sie Mitteleuropa unter sich aufteilten. Auf der ITU-Konferenz nun habe man das Internet aufgeteilt, und zwar zwischen liberal-demokratischen und autoritären Ländern.

Ich glaube nicht, dass er übertreibt. Denken Sie nur an 2010, als die Regierungen der Vereinigten Arabischen Emirate, Saudi-Arabiens und Indiens vom Blackberry-Hersteller RIM verlangten, seine Geräte ausspähen zu dürfen. Oder an das letzte Jahr, als Syrien das Internet nutzte, um seine Dissidenten zu überwachen. Informationstechnologie ist ein überraschend machtvolles Unterdrückungsinstrument: Es dient nicht nur der Überwachung, sondern auch der Zensur und der Propaganda. Und die Länder werden immer besser darin, dieses Werkzeug zu benutzen.

Aber nichts davon ist Cyberwar, sondern normale Geheimdienstarbeit – die stattfindet, seit es Länder gibt. Was sich geändert hat, sind nicht die Fakten, sondern vielmehr die Rhetorik. Und was wir hören, ist die Rhetorik des Krieges. Unglücklicherweise spielt sowohl die Realität als auch die Rhetorik vor allem dem Militär und den Unternehmen in die Hände, welche Infrastruktur und Werkzeuge für den Cyberkrieg liefern. Das Ergebnis dieses ganzen Säbelrasselns ist ein ernsthafter Verlust an Vertrauen zwischen Volk und Regierung sowie zwischen den Staaten. Und je stärker wir glauben, uns in einem Krieg zu befinden, desto eher sind wir bereit, unsere Privatsphäre, unsere Freiheit und unsere Teilhabe an den Spielregeln des Internets aufzugeben.

Rüstungswettläufe werden von zwei Dingen angetrieben: Unkenntnis und Angst. Wir kennen die Fähigkeiten der Gegenseite nicht, und wir fürchten, dass sie unsere übersteigen. Also erhöhen wir unsere Ausgaben. Die andere Seite macht natürlich das Gleiche. Dieser Wettlauf endet damit, dass Regierungen verstärkt die Kontrolle über das Internet übernehmen und Innovationen des freien Marktes es immer schwerer haben. Schlimmstenfalls steht uns ein Kalter Krieg des Informationszeitalters bevor – und zwar einer mit mehr als zwei Supermächten.

Eine solche Konstellation wäre nicht nur schlecht für die Zukunft des Internets, sie wäre auch inhärent destabilisierend. Es wird den Staaten sehr leichtfallen, ihre Macht und ihr fortschrittliches Waffenarsenal auch zu nutzen – etwa indem sie eine falsche Schuldzuweisung mit einer Gegenattacke beantworten, ein Missverständnis zu einem Angriffsgrund machen, ein kleineres Geplänkel zu einem ausgewachsenen Cyberkrieg ausweiten.

Nationalismus ist im Internet weitverbreitet, und er wird immer schlimmer. Wir müssen die Kriegsrhetorik dämpfen und aufhören, der Propaganda derjenigen zu glauben, die von diesem Internet-Nationalismus profitieren. Wer die Trommeln des Cyberkriegs schlägt, dem liegen nicht die Interessen der Gesellschaft am Herzen. (bsc)