TR-Essay: Verantwortung kann man nicht outsourcen

Daniel Domscheit-Berg, Transparenz-Aktivist, ehemaliger Sprecher der Enthüllungsplattform Wikileaks und politischer Geschäftsführer der Piraten-Partei in Brandenburg, schreibt in einem Beitrag für TR über die Zukunft der Politik in Zeiten der Vernetzung.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 14 Kommentare lesen
Lesezeit: 4 Min.
Von
  • Daniel Domscheit-Berg

Daniel Domscheit-Berg, Transparenz-Aktivist, ehemaliger Sprecher der Enthüllungsplattform Wikileaks und politischer Geschäftsführer der Piraten-Partei in Brandenburg, schreibt in einem Beitrag für TR über die Zukunft der Politik in Zeiten der Vernetzung.

Verschiedenste Entwicklungen an der Schnittstelle von Technologie und Gesellschaft haben die Grundlage für eine wirklich globalisierte Welt geschaffen.

Ob durch soziale Netze, Online-Plattformen, über die wir vom Urlaubsort bis zum Arzt alles bewerten können, oder die Möglichkeit, Transparenz bei den globalen Arbeitsverhältnisse und dem ethischen oder unethischen Verhalten von Firmen und Regierungen zu erhalten – wir wachsen zusammen zu einem globalen Dorf, in dem wir alle besser informiert sind, besser entscheiden können. Uns trennen noch knapp 500 Millisekunden von einem Ende der Welt zum anderen. Vor dem Internet-Protokoll sind alle Menschen gleich.

Wenn wir die Chancen nutzen, können sie ein großes Potenzial für ein erfolgreiches und gerechtes Miteinander einer globalen Gemeinschaft von Gleichen unter Gleichen sein. Nun ist es fast unmöglich, in unserer schnelllebigen Zeit zehn Jahre voraus zu schauen. Ich kann und will mir aber nicht vorstellen, dass wir auch in einem Jahrzehnt noch über den Nutzen von Open Government debattieren müssen. Wir sollten bis dahin längst regelmäßige Bürgerbeteiligung auf Augenhöhe haben, inklusive Open Data, also der Veröffentlichung aller Informationen der Verwaltung.

Für mich ist diese Entwicklung alternativlos. Geschlossene wie auch geheime Systeme haben immer eine schleichende Korrumpierung zur Folge. Dies kann man nicht einmal den beteiligten Menschen vorwerfen – es ist ein strukturelles Problem und als solches muss es angegangen werden. Bankenkrisen, Abhörskandale – all das sind schließlich keine Entwicklungen, die Naturgesetzen folgen.

Mit mehr Transparenz können wir besser abgleichen, inwiefern die Entwicklung unserer gesellschaftlichen Systeme – ob politisch, ökonomisch oder militärisch – deckungsgleich ist mit unserer Erwartungshaltung. Transparenz kann uns zudem helfen, aus Fehlern zu lernen.

Das verlangt aber natürlich aktive Teilnahme. Die Zeit von Outsourcing ist nicht nur in der IT-Industrie abgelaufen, sondern genauso in Bezug auf unsere gesellschaftliche Verantwortung. Dieser Verantwortung gerecht zu werden, ist nicht einfach. Dienste wie Twitter mögen ein Segen sein für die schnelle, unkomplizierte Kommunikation untereinander und die Erweiterung unseres sozialen Raums. Aber die konstante Flut von Informationen in Echtzeit in einer digitalen Welt ist auch ein Fluch. Die Einordnung, aber auch Priorisierung dieser Informationen wird zu einer Schlüsselkompetenz für uns alle werden. Wir werden lernen müssen, uns nicht von den wirklich wichtigen Themen – und vor allem von unserem eigenen Leben – ablenken zu lassen.

Als Argument gegen offenes Engagement in sozialen Netzen werden oft Shitstorms genannt. Wenn sie sich gegen einzelne Personen richten, können sie in der Tat eine Form von Mobbing sein, das aber natürlich kein Phänomen des Internets, sondern der Gesellschaft ist. Aber manchmal sind Shitstorms auch Ausdruck der Notwehr von Menschen, die sich insbesondere gegen Fehlverhalten von Organisationen, Firmen oder Regierungen wenden und keinen anderen effektiven Weg dafür sehen. Auch wenn ein Shitstorm in der Regel für ein zeitlich begrenztes Empören steht, kann er doch wirkungsvoll sein, wenn er eine Berichterstattung in klassischen Medien nach sich zieht und damit eine gesellschaftliche Debatte anstößt.

Die große Gefahr liegt woanders: Je mehr politische Entscheidungen mit Hilfe des Internets gefällt werden, umso wichtiger ist, dass auf den Datenschutz Verlass ist. Während staatliche Informationen öffentlich sein sollten, müssen private Daten geschützt sein. Der NSA-Abhörskandal zeigt leider, dass genau das Gegenteil der Fall ist.

Wir müssen daher dringend unser Rahmenwerk so gestalten, dass es den zunehmend komplexeren Problemen in einer vernetzten Welt gewachsen ist. Wie das geschehen kann, darüber beginnt die Debatte gerade erst. (bsc)