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Was war. Was wird.

Hund oder doch Ratte? Ach, im Internet weiß doch eh jeder, wer was ist und was die Stunde geschlagen hat, auch wenn alle anderen es dann doch wieder besser wissen, grummelt Hal Faber.

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Lesezeit: 8 Min.
Von
  • Hal Faber

Wie immer möchte die Wochenschau von Hal Faber den Blick für die Details schärfen: Die sonntägliche Wochenschau ist Kommentar, Ausblick und Analyse. Sie ist Rück- wie Vorschau zugleich.

Was war.

*** Ich denke, also bin ich etwas. Mehr ist nicht drin. Solange es jedenfalls kein Ich-Denkmal in Bielefeld gibt, bin ich mir da nicht so sicher mit dem Ich. Vielleicht bin ich ein Hund. "Jeder im Internet weiß, dass du ein Hund bist", sagte dereinst ein Hund zum Hund. Nur der Karikaturist Peter Steiner, der Hundesprache nicht mächtig, zeichnete es für den New Yorker irgendwie falsch. Dagegen begriffen es die Informatiker sofort. Möglicherweise bin ich nur ein sprechender Hund, nur eben nicht von der sowjetischen Sorte. Auf alle Fälle bin ich kein Journalist. Ich denke mal ein bisschen weiter und lass das mit dem Sprechen sein. Das Bundeskriminalamt und das Landeskriminalamt Kiel haben Telefonate von Journalisten und eine Vielzahl von Gesprächen mit Strafverteidigern angehört. Das sei nicht weiter schlimm, erklärte ein Sprecher, denn "der Beruf des Anrufers lasse sich oft auch gar nicht aus dem Telefonat erschließen". Gelöscht wird darum gar nichts. Bitte sehr, da steht es schwarz auf Web: Wir Journalisten sind nichts. Wir sprechen wie ganz gewöhnliche Menschen, die auch nur Hunde sind.

*** Wenn Abhörmaßnahmen mit dieser flappsigen Begründung zur nicht hörbaren Berufstätigkeit in eindeutig als Pressegespräche zu identifizierenden Telefonaten für rechtens erklärt werden, weil kein böser Wille dahinterstecke, dann sollte der folgende Flapps nachdenklich machen: "Er gab zu bedenken, dass Telefongespräche maschinell aufgezeichnet werden. Außerdem sei für Polizeibeamte, die die Gespräche abtippen oder zusammenfassen, nicht unbedingt erkennbar, 'was nun verfahrensrelevant ist und was nicht'."

*** Man übertrage diese Hohe Schule der Schnüffelpraxis einmal auf den berühmten Bundestrojaner, auch bekannt als Terroristenphisher, dessen Programmentwicklung nach einem Baustopp offenbar wieder angelaufen ist. Hier wie dort wird maschinell aufgezeichnet; und auf welchem Computer sich das Programm befindet, ist eigentlich nur sicher, wenn ein verdeckter Ermittler der Truppe zugeschlagen hat, die Übung im Anbringen von Wanzen hat. Freuen wir uns außerdem über die zuverlässigen programmtechnischen Vorkehrungen bei der mehr kunstgewerblich orientierten Quellen-TKÜ, die sicherstellen, dass nur überwacht, nicht aber durchsucht wird – obwohl es um "kryptierte Inhalte" geht. Logisch? Du sollst nicht denken, Hund!

*** Wahrscheinlich wirkt die kleine Wochenschau auf den einen oder anderen Leser wie eine PR-Kampagne für die Zeitung mit der Tatze, doch ist in ihr ein lesenswertes Portrait von Wolfgang Schäuble zu finden, der mit der Idee einer Bundesabhörzentrale das nächste Zündhölzchen gefunden hat. Der Fairness halber sei dieser Kommentar über den Schutz der Freiheit hinzugefügt, weil er von Bürgerrechtsaktionen nicht besonders viel hält, weil sie hermeneutisch im Rechtssystem bleiben: Der Ausnahmezustand ist immer der andere.

*** In Hamburg wird derzeit eine angeblich konfuse E-Mail der Linkspartei vor Gericht diskutiert. Ganz nebenbei wird da aufgerollt, wie der einstige Qualitätsjournalist Michael Naumann beim BND als "Presse-Sonderverbindung" galt und wie ihm der berufliche Kontakt zu den Staatsschützern nutzte. Mit seiner Bewerbung um das Bürgermeisteramt will Naumann gegen Behauptungen der Mail klagen, die aus einem Buch abgeschrieben wurden. Das Buch selbst ist nicht strittig, so ein vorgelegter Schriftwechsel mit dem Verlag, wohl aber die E-Mail. So ist es um das Internet bestellt, dass Mail gefährlich wird und der Kommentar in einem Selbsthilfeforum als Volksverhetzung den Staat bedroht.

*** Bleiben wir einen Moment beim BND, jener Behörde, die sich gerade schnittige neue Namen für ihre Abteilungen ausgedacht hat. In der verlinkten "relaunchten" Webseite der Zeitung für den coolen Kopf ist ein längeres Portrait des Dienstes, dessen Keller voller "Koma-Rechner" steht. Leider nur auf toten Bäumen und ePaper kann man lesen: "In einem großen Raum summen meterhohe IBM-Rechner aus den späten achtziger Jahren vor sich hin, die schon lange nicht mehr benutzt wurden. Abstellen will sie aber niemand, denn keiner weiß genau, was dann passieren würde." Genauso haben wir uns die IT-Zentrale der aufklärenden Intelligenz vorgestellt und schaudern vor Y2K12, wenn diese Behörde komplett nach Berlin umzieht und niemand weiß, was dann passiert. Armageddon? Erscheint der Geist von Gehlen, der alle Mitarbeiter abhören ließ? Aufklären in einer wirren Welt ist eine wirre Sache und nichts für Unwirre.

*** Oh, noch einen klitzekleinen taz-Link gönne ich mir heute. In dieser bemerkenswerten Woche konnte man nicht nur Franz Münteferings Eintritt in die Rente mit 67 bewundern, sondern auch noch das Verhalten von 26 SPD-Abgeordneten bestaunen. Sie machten dem alten Kreuzworträtselwitz alle Ehre, nach dem diätenerhöhende Politiker das gesuchte Wort für Wirbellose mit 9 Buchstaben sind. Kaum erwähnt wurde hingegen das Häuflein der Aufrechten bei der CDU, die sich als Ärzte-Lobbyisten konsequent der Zustimmung zur Vorratdatenspeicherung verweigerten. Während es mit der Kostendebatte dort losgeht, wo es wirklich wehtut.

*** 137.000 Menschen besuchten trotz des Bahnstreiks die Medica, ohne dass dort Viagra, Cialis oder sonst ein I(n)ch-Verbesserer verschenkt wurde. Optimismus allüberall, weil ein "Gigant" laufen lernt. Gemeint ist die elektronische Gesundheitskarte, die 2008 kommen wird, egal wie die laufenden Teststrecken ausgehen werden. Sieht man von diversen medizintechnischen Neuerungen ab, war der Messe-Knüller gar nicht auf der Messe anwesend. Die methodisch sehr zweifelhafte Bitkom-Umfrage, nach der 93% der Bundesbürger ihre Daten auf der Karte speichern lassen wollen, wurde bei jeder Gelegenheit zitiert, selbst vor den Pissoirs. Dagegen könnte man den NS-Propagandaminister Goebbels zitieren, dass nur der selbst gefälschten Statistik getraut werden kann, aber dieser Spruch wurde schon von Churchill plagiiert.

*** Passend zum Thema Statistik hat heute George Gallup Geburtstag, der Vater der Meinungsforschung. Seiner bester Coup war eine Meinungsumfrage an seiner Universität, die schönste Studentin zu nennen. Es war Ophelia Smith, die Gallup prompt heiratete. Ein wahrer Nerd grübelt nicht, ob er denkt, sondern glaubt an seine Tools. Gegen den Computer UNIVAC, ich erzählte es schon einmal, kassierte Gallup eine seiner schlimmsten Niederlagen. Trotzdem prognostizierte er frühzeitig, dass die Menschen im Jahre 1970 nur noch mit dem Computer wählen werden. Auch das ist, wie wir heute wissen, nicht unbedingt eingetroffen. Den Wirbellosen zum Trotz wählen Menschen offenbar wie Affen und nicht wie rudeloptimierte Hunde.

Was wird.

OK, wie Journalisten sprechen, ist von alltäglicher Kommunikation nicht zu unterscheiden. Es sei denn, Journalisten reden über Ethik und von der vierten Macht im Staate, die sie volle Kanne sind, während Blogger einfach nur feige sind. In der kommenden Woche kommen fast alle Akteure dieser kleinen Wochenschau wieder zusammen, wenn das Bundeskriminalamt seine Herbsttagung zum Thema "Tatort Internet" veranstaltet, komplett mit einer programmatischen Rede von Innenminister Schäuble. Der Aufmarsch der Fachleute ist imposant: Spiegel Online informiert über die Terror-Universität WWW, jugendschutz.net über Rechtsextremismus. Besonders apart stelle ich mir die Diskussion über "Moral und Ethik in der digitalen Welt" vor, bei der ein Vertreter der katholischen Kirche mit einem von der Computerbild diskutiert. Ein Schnäppchen-Wegweiser für Ethik ist genau das, woran ich bei dem sonst nur für Hunde reservierten Wort Moral denke. Sonst denken alle im Internet, dass ich nur ein blöder Hund bin. (Hal Faber) / (jk)