Elektronische Gesundheitskarte: Erste Patientenakten gehen online

In Bottrop startete das Pilotprojekt einer sektorübergreifenden Patientenakte, bei dem 10.000 Versicherte der Knappschaft und DAK erste Erfahrungen mit einer zentral geführten Patientenakte sammeln können.

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Von
  • Detlef Borchers

In Anwesenheit von Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) wurde in Bottrop das Pilotprojekt einer sektorübergreifenden Patientenakte (ProspeGKT) gestartet. Unter Federführung von T-Systems können 10.000 Versicherte der Knappschaft und DAK Erfahrungen mit einer zentral geführten Patientenakte sammeln, auf die mit der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) und dem elektronischen Heilberufsausweis (HBA) zugegriffen wird. Drei Jahre lang soll in dem 5,6 Millionen Euro teuren Pilotprojekt ProspeGKT (PDF-Datei) die Praktikabilität und die Datensicherheit einer freiwilligen elektronischen Patientenakte getestet werden, die auf einem zentralen Server im Magdeburger Hochsicherheits-Rechenzentrum von T-Systems gehostet wird. Der Server selbst ist beschlagnahmesicher in einem massiven Stahlkäfig untergebracht – selbst das BKA soll nicht an die Daten kommen können, die es im Zuge des BKA-Gesetzes bei Arztpraxen abfragen darf.

Einsam in der Ecke im Knappschafts-Krankenhaus: Der Patientenkiosk von Wincor-Nixdorf bekommt bald Arbeit.

50 Arztpraxen und das Knappschaftskrankenhaus Bottrop mit 60 Bildschirmarbeitsplätzen machen bei dem ersten großen Onlinetest der Gesundheitskarte mit, der sich weitgehend nach den Standards der Projektgesellschaft Gematik richtet. Weitgehend bedeutet hier, dass man nur zugelassene Komponenten verwendet, aber den Wildwuchs verschiedener Hersteller vermeidet: Es gibt nur einen Konnektor (von Siemens), alle Kartenlesegeräte – durchschnittlich 5 Terminals pro Praxis – kommen von SCM Microsystems, der Anschluss erfolgt nur über TDSL, die VPN-Software "Branchennetz Gesundheitswesen" (BNGW) ist Standard. Einheitlich ist auch die Hausarzt-Software von der Compugroup beziehungsweise die Facharzt-Software von DOCexpert. Die Patientenakte selbst ist eine Datenbanklösung von Oracle mit einer Kapazität von 100.000 verschlüsselten Patientenakten – derzeit haben sich 26.300 Knappschafts-Versicherte zur Teilnahme angemeldet. Die Patientenkioske zum unbeaufsichtigten Blick in die eigene Patientenakte stehen im Krankenhaus Bottrop und kommen von Wincor Nixdorf.

Der größte Unterschied zur Gesundheitskarte in anderen Testregionen besteht in der eingesetzten "Zeitfenster"-Technik: Der Patient meldet sich mit Karte und sechsstelliger PIN am Empfang in der Praxis an, worauf sich ein voreingestelltes Zeitfenster der durchschnittlichen Behandlungsdauer öffnet, in dem der Arzt oder das Klinikpersonal Daten aus ihrer Software in die oder aus der Patientenakte kopieren können. Im Krankenhaus kann diese "befristete Freigabe der Patientenakte" einen ganzen Untersuchungstag lang geöffnet sein, zudem gibt es hier eine Gruppenfreischaltung für das Klinikteam durch den Patienten. Ärzte entscheiden also, was in die Patientenakte kopiert wird, womit bestimmte Dinge im Unterschied zur medizinischen Fallakte (etwa Vermutungen zur Krankheit) in der Software der Mediziner bleiben. Der Patient kann etwa an einem eKiosk über einen ePA-Browser die Daten in dieser arztgeführten Patientenakte einsehen, nicht jedoch löschen oder verändern.

In ihrer Rede zum "Startschuss" der ProspeGKT-Patientenakte betonte Gesundheitsministerin Schmidt, dass die Patientenakte die Ärzte vom "Papierkrieg" entlasten werde und daher auf beiden Seiten, Arzt wie Patient, die Zufriedenheit steigen werde. "In ein bis zwei Jahren werden wir die Daten vergleichen und wissen, ob sich die Qualität und die Behandlungsdauer verbessert haben." Sie zeigte sich überzeugt davon, dass das Projekt bei der Datensicherheit den härtesten Tests standhalten werde und dass die Patientenakte "quasi automatisch" die Arzneimitteltherapiesicherheit auf ein neues Niveau heben werde. Noch überzeugter gab sich Joachim Langmack, Mitglied der Geschäftsführung von T-Systems: "Das Aufbrechen einer solch starken Verschlüsselung der Daten auf unseren Servern und Leitungen braucht länger, als eine Patientenakte existiert."

Seitens der Ärzte begrüßte Ulrich Oesingmann, Vorsitzender des Bundesverbandes der Knappschaftsärzte, die Patientenakte. Er warnte aber davor, den Ärzten zeitliche und finanzielle Belastungen aufzubürden. Das würde die Akzeptanz sofort schmälern. Oesingmann stellte als einziger Redner die medizinische Telematik in einen politischen Kontext und kritisierte das BKA-Gesetz, dass die Online-Durchsuchung von ärztlichen Daten erlaubt. Die Verschlüsselung der Patientenakte müsse ausreichend sicher sein, dass der Arzt nicht unfreiwillig zum Fahndungshelfer der Polizei werde. Für seine Kollegen erhofft sich Oesingmann interessante Tests, erinnerte aber auch daran, das Ärzte mit zwei Arztausweisen und PIN-Eingaben jonglieren müssen, weil der Arztausweis für ProsperGKT nicht kompatibel mit dem Arztausweis der bundesweiten Karteneinführung ist.

In der abschließenden Podiumsdiskussion der Befürworter (Kritiker waren nicht anwesend) berief sich die Ministerin auf die Gutachten der deutschen Datenschützer, die dem System eine hervorragende Sicherheit attestiert hätten. "In wünsche mir, die kritischen Ärzte würden dies zu Kenntnis nehmen und zu einer sachgerechten Diskussion zurückkommen. Die Sicherheit des Systems ist ausreichend kommuniziert." Abseits der Diskussion um die Gesundheitskarte erklärte Schmidt zum Konjunkturprogramm der Bundesregierung, dass auch die Lage der Kliniken verbessern werde, die in einem Investitionsstau steckten. (Detlef Borchers) / (vbr)