„The Fifth Estate“, eine weitere Wahrheit über WikiLeaks

Ende Oktober läuft in den deutschen Kinos der WikiLeaks-Film „The Fifth Estate“ an. Endgültige Wahrheiten über Julian Assange sollte man sich von dem Film nicht erhoffen. Wohl aber eine großartige schauspielerische Leistung des Hauptdarstellers.

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Von
  • Jens Lubbadeh

Ende Oktober läuft in den deutschen Kinos der WikiLeaks-Film „The Fifth Estate“ an. Endgültige Wahrheiten über Julian Assange sollte man sich von dem Film nicht erhoffen. Wohl aber eine großartige schauspielerische Leistung des Hauptdarstellers.

Es wäre lustig, wenn es nicht eigentlich so tragisch wäre: Das Ziel von WikiLeaks war es, die Wahrheit ans Licht zu bringen. Und ausgerechnet über diese Webseite und ihren Gründer, Julian Assange, gibt es mittlerweile selbst unzählige Wahrheiten – in Form von Statements, Büchern, Dokumentationen.

Eine weitere erscheint nun am 31. Oktober in den deutschen Kinos: „Inside WikiLeaks – Die fünfte Gewalt“ (Originaltitel „The Fifth Estate“) ist ein Spielfilm von Bill Condon und erzählt die Zeit von der ersten Begegnung zwischen Julian Assange und Daniel Domscheit-Berg im Jahr 2007, dem zunehmenden Aufstieg WikiLeaks zu globaler Berühmtheit. Bis hin zum Bruch zwischen den beiden kurz nach Veröffentlichung dem Mega-Scoop, der Veröffentlichung der Botschafts-Depeschen, im Jahr 2010. Der Film basiert auf zwei Büchern – eines davon ist das 2011 von Domscheit-Berg veröffentlichte Buch „Inside WikiLeaks – Meine Zeit bei der gefährlichsten Webseite der Welt“. Das andere das der „Guardian“-Journalisten David Leigh und Luke Harding: „Wikileaks: Inside Julian Assange's War on Secrecy“. Beide Journalisten waren an der „Guardian“-Kollaboration der Depeschen-Veröffentlichung beteiligt.

Beiden Büchern und ihren Autoren werfen Assange und seine Anhänger Befangenheit vor und egal ob bei Amazon, bei Internet Movie Database, Youtube oder sonstwo im Netz – bei jeder neuen veröffentlichten Wahrheit in Form eines Buches, eines Videos, einer Doku oder eines Interviews tobt der Kampf um die Deutungshoheit zwischen WikiLeaks-Anhängern und Gegnern aufs Neue.

Und natürlich verhält es sich genauso nun auch bei diesem Film. Und natürlich hat Julian Assange wieder – wie schon bei der im Sommer erschienenen WikiLeaks-Dokumentation „We Steal Secrets“ – sofort zum Start der Pressevorführungen auch auf WikiLeaks ein Filmskript mit seinen kritischen Anmerkungen veröffentlicht.

Die Wahrheit also, wer was gesagt und getan hat in diesen dramatischen Monaten der zweiten Jahreshälfte 2010, als auf WikiLeaks nacheinander erst die Afghanistan-, dann die Irak-Kriegstagebücher und am Ende dann die Botschaftsdepeschen veröffentlicht wurden, die endgültige Wahrheit über die tatsächlichen Ereignisse sollte man sich auch von diesem Film wohl besser nicht erhoffen.

Dennoch ist „The Fifth Estate“ ein sehenswerter Film. Warum? Wegen Benedict Cumberbatch, der Julian Assange, obwohl er ihm überhaupt nicht ähnlich sieht, so chamäleonesk perfekt in Duktus und Gestik verkörpert, dass es einem die Sprache verschlägt. Erstaunlich, dass mir dieser Schauspieler bisher noch nicht aufgefallen war. Wahrscheinlich war er jedes Mal einfach zu gut in seiner Rolle getarnt.

Ihm nehme ich den Hacker absolut ab – im Gegensatz zu Brühl, der den Domscheit-Berg verkörpert. Es mag eine Brühl-Übersättigung meinerseits sein, doch ich halte Brühl in seinen Ausdrucksmöglichkeiten für limitiert. Vielleicht war er aber auch einfach nur fehlbesetzt. In „Rush“ jedenfalls soll er ja den Niki Lauda ganz famos dargestellt haben. Und so kann es sein, dass am Ende Cumberbatch und Brühl, bei den diesjährigen Oscar-Verleihungen als Kandidaten gegeneinander antreten werden – für Rollen in unterschiedlichen Filmen.

Cumberbatch ist ein Glücksfall – in doppelter Hinsicht. Denn Assange persönlich hatte offenbar versucht, ihn davon abzubringen, die Rolle anzunehmen. In Interviews berichtet Cumberbatch von der zehnseitigen E-Mail, die Assange ihm schickte, und ihn darin bat, die Rolle auszuschlagen. Die Begründung: Es würde ihn als politischen Flüchtling, den Whistleblower Bradley Manning (fortan als Chelsea Manning bekannt) und weitere WikiLeaks-Unterstützer gefährden.

Wieso ein Schauspieler für das Schicksal dessen, den er verkörpert, verantwortlich sein soll, ist wohl eine weitere der Wahrheiten, die WikiLeaks und Julian Assange hinzuzufügen ist. Zum Glück für uns Zuschauer ist es jedoch Assange nicht gelungen, Cumberbatch davon abzubringen. Obwohl der Schauspieler zögerte, natürlich, denn „ich bin ein menschliches Wesen“, wie er dem „Guardian“ sagte. „Die Nachricht kam von dem Mann selbst, einen Tag bevor die Dreharbeiten begannen.“

Cumberbatch antwortete ihm und begründete seine Entscheidung so: „Dieser Film wird ausloten, was Sie erreicht haben, was Sie in den Fokus der globalen Aufmerksamkeit gebracht hat, in einer Art und Weise, die ich nur für positiv halte. Ich gebe zu: Ich bin ein eitler Schauspieler... aber ich handele nicht in einem moralischen Vakuum. Ich habe das bedacht und – was immer auch passiert – ich werde Ihre Persönlichkeit mit der höchstmöglichen Komplexität und Verständnis verkörpern, wie ich es vermag.“

Diese Zusage löst Cumberbatch, das muss man sagen, auch ein – mit der Betonung auf „wie ich vermag“. Denn das Drehbuch haben andere geschrieben. Und man merkt, dass es auf Domscheit-Bergs Buch beruht. Zu simpel werden die Good Cop/Bad Cop-Rollen im Verlauf des Films verteilt – natürlich letztere für Assange. Angesichts der Komplexität der Ereignisse, der gewaltigen ethischen Dimension der Entscheidung ob und wie man die Leaks veröffentlichen sollte und angesichts des immensen internationalen Drucks, der persönlich auf Assange lastete, erscheint mir die Darstellung Assanges in „The Fifth Estate“ als zu tendenziös. Ich hätte mir gewünscht, dass dem Zuschauer deutlicher gemacht worden wäre, dass es keine objektive Wahrheit gibt. Cumberbatch selbst hat in Interviews angemerkt, dass er nach Lesen des Skripts den Eindruck katte, Assange werde hier als „comicartiger Bösewicht“ dargestellt

Und in einem weiteren, dass er mit dem Regisseur des öfteren Auseinandersetzungen hatte, weil der Assange seiner Meinung nach zu sehr als „asozialen Größenwahnsinnigen“ rüberbringen wollte. Natürlich hat das der echte Assange diese Aussagen Cumberbatchs in seinen kritischen Anmerkungen zum Filmskript betont.

Was also bleibt, wenn man schon nicht die endgültige Wahrheit in „The Fifth Estate“ erfährt? Was dann? Die Erkenntnis, dass die Wahrheit am Ende nicht zwingend immer herauskommt und die Guten auch nicht zwingend immer gewinnen. Aber nicht, weil die Bösen zwingend besser sind (das ist vielleicht die gute Nachricht). Sondern weil die Guten auch nur Menschen sind. (jlu)