Mit sanftem Druck

Brauchen wir Technologie, die uns mit sanftem Druck dazu bringt, uns vernünftiger zu verhalten? Egal, entwickelt wird sie sowieso.

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Brauchen wir Technologie, die uns mit sanftem Druck dazu bringt, uns vernünftiger zu verhalten? Egal, entwickelt wird sie sowieso.

Lesen bildet. Ich kämpfe mich grade durch „Smarte Neue Welt“ von Evgeny Morozov. 592 Seiten Kritik an der Internet-Ideologie. Interessant, aber es liest sich nicht so flüssig weg. Um die Aufmerksamkeit zu halten, flechtet Morozov daher immer wieder lustige Beispiel ein. Wie die Geschichte von den Wissenschaftlern, die den Müll anderer Leute fotografieren und die Bilder auf Facebook stellen.

Das ist kein Scherz. Das Projekt heißt BinCam. Im Deckel des Mülleimers ist ein Smartphone eingebaut, das so programmiert ist, dass es automatisch ein Foto macht, wenn der Deckel auf- und wieder zugeht. Und dieses Foto wird dann an eine spezielle Facebook Community geleitet. Um dem User Gelegenheit zu geben, über seine ökologischen Sünden noch einmal nachzudenken.

Das klingt verrückt, ist aber vollkommen ernst gemeint. Der Ansatz nennt sich „persuasive technology“ - ich würde das mal übersetzen mit „Technik mit Überzeugungskraft“. Angeblich ein heißes Thema auf dem Feld der Mensch-Maschine-Interaktion. Es gibt jedenfalls auch schon eine jährliche Fachtagung dazu.

Warum sollte man das haben wollen? Technologie, die uns mit sanftem Druck dazu bringt, uns vernünftiger zu verhalten - gesünder zu leben oder die Umwelt nicht so zu belasten? Na, es ist doch viel einfacher, den inneren Schweinehund von außen bearbeiten zu lassen, als ihn selbst klein zu kriegen. Oder doch nicht?

Auf jeden Fall ist die Community auch schon darauf gekommen, dass es Fragen aufwerfen kann, wenn einem das Smartphone Angebote macht, „die man nicht ablehnen kann“. Ethische und philosophische Fragen. Zum Beispiel, ob man man Menschen zu ihrem Glück zwingen darf? Und ob man sie zu diesem Zweck belügen darf - oder ihnen zumindest nur einen Ausschnitt der Wahrheit präsentiert? Aber das macht nichts. Mit all diesen Fragen kann man hervorragend neue Forschungsvorhaben begründen. Der Fortschritt ist nicht aufzuhalten. (wst)