Elektronische Gesundheitskarte: Die digitalen Immigranten zweifeln

Auch am zweiten Tag der Medizin-IT-Messe ConhIT kam die elektronische Gesundheitskarte nicht aus der Kritik. Auch wurde der Vorwurf laut, dass die Gesundheitskarte auf Biegen und Brechen eingeführt werden muss, weil 2009 die Bundestagswahlen anstehen.

In Pocket speichern vorlesen Druckansicht 118 Kommentare lesen
Lesezeit: 7 Min.
Von
  • Detlef Borchers

Auch am zweiten Tag der Medizin-IT-Messe  ConhIT kam die elektronische Gesundheitskarte (eGK) nicht aus der Kritik. Neben der Diskussion von technischen Fehlern wurde diesmal auch der Vorwurf an die Politik laut, dass die Gesundheitskarte auf Biegen und Brechen eingeführt werden muss, weil 2009 die Bundestagswahlen anstehen.

Man kann es sich einfach machen wie Andreas Lange von der Firma Tieto Enator. In seinem Vortrag zum Nutzen des Heilberufeausweises (HBA) teilte er die Bevölkerung in drei Generationen ein, weil er hinter dem Umgang mit PIN-Eingaben, Passwörtern, mit E-Mail und Chat einen veritablen Generationskonflikt vermutet. Nach Lange (Jahrgang 1964) gibt es die Generation der "digitalen Immigranten", die vor 1995 Geborenen. Sie sind mit Mühe in das digitale Zeitalter immigriert und werden immer Mühe haben, sich PIN-Nummern zu merken und den Computer zu beherrschen, weil sie in ein technisches Gebiet einwandern mussten, das ihnen fremd war.

Besser dran sind die "digitalen Hippies", die zwischen 1995 und 2002 Geborenen. Diese Generation kann PC, Handy und Gesundheitskarte fehlerfrei nutzen und hat sogar noch ihren Spaß dabei. Noch besser werden es die "digitalen Eingeborenen", die "Digital Natives" haben, die Jahrgänge ab 2003: "Das ist unsere Klientel, die alles digital haben will." Dazu passt es schon, dass nach den neuesten Planungsdaten der Projektgesellschaft Gematik die sogenannten 100.000er-Tests der Gesundheitskarte erst im Jahre 2011 abgeschlossen werden.

Der Nachteil an der überaus optimistischen Zukunftsbetrachtung konnte auf der IT-Messe zwei Vortragssäle weiter beobachtet werden. Dort ging es um Erfahrungen aus den Feldtests, um die Probleme der Hardware-Hersteller und um die ganz große Politik. Publikum wie Referenten waren schon vor 1995 auf der Welt und hatten andere Erklärungen parat. Gilbert Mohr (Jahrgang 1954), Leiter der Stabstelle IT bei der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein, erklärte die Eile, schon Ende 2008 mit einem "Basis-Rollout" zu beginnen, mit den anstehenden Bundestagswahlen im Jahre 2009, zu denen die Gesundheitspolitik einen "Erfolg" vorweisen muss. Dass der Bezirk Nordrhein mit dem Rollout beginnen wird, erklärte Mohr mit dem "Mut der Rheinländer", zumal die Rollout-Projektgruppe noch ohne feste Grundlage arbeitet: "Was es nicht gibt, ist ein öffentliches Commitment aller Beteiligten." Weil zum allgemeinen Rollout die neue Gesundheitskarte nicht mehr leistet als die heutige Krankenkassen-Karte, sind entsprechend einfache Lesegeräte erforderlich, die direkt (seriell/USB) an die Computer angeschlossen werden und nicht im LAN installiert werden müssen: "Wenn man gut drauf und technisch affin ist, kann man das selber tun und die Installationspauschale einsacken", gab Mohr den Ärzten mit auf den Weg. Neben der Installationspauschale wird Mohr zufolge den Ärzten eine Gerätepauschale gezahlt, deren Höhe einen Monat vor dem Rollout von der Projektgesellschaft Gematik nach Sichtung der Marktpreise amtlich festgelegt wird. Ob weitere Prämien bezahlt werden, wenn zur Einführung der echten eGK die MKT-Lesegeräte (früher MKT+ genannt) durch LAN-fähige "e-Health-BCS-Geräte" (früher SICCT genannt) ersetzt werden müssen, ließ der IT-Stabsleiter offen.

Auf Mohr folgte Romain Seibt (Jahrgang 1964), IT-Projektleiter beim Feldversuch SaxMediCard. Seibt verteidigte zunächst die Entscheidung von Sachsen, nicht als Durchstichregion mit dem flächendeckenden Rollout zu beginnen und erklärte dann in seiner Eigenschaft als IT-Chef des Klinikums Löbau-Zittau, wie dort der Test mit der Gesundheitskarte an einem Datenbank-Lookup scheiterte. Mit 10.848 ausgegebenen Karten, fünf verschiedenen Herstellern von Lesegeräten und 6 Anbietern von Praxis-Software ist Sachsen die Region, die am ehesten die Marktvielfalt im Test widerspiegelt. Nach Angaben von Seibt wurde die eGK von 8 verschiedenen Krankenkassen insgesamt 21.000 Mal getestet, wobei es 300 Fehler gab, die hauptsächlich im Auslesen des XML-Codes der Karten bei Patienten bestanden, die in Disease Management Programmen (DMP) eingeschrieben waren. Schwerwiegender waren die Testergebnisse in seiner eigenen Klinik, in der das Krankenhausverwaltungssystem (KIS) Clinic Centre zwar die Versichertendaten lesen, aber nicht verarbeiten konnte. So wurde die neue, lebenslang gültige Versichertennummer nicht an die angeschlossenen Subsysteme (Labor, Röntgen usw.) weitergereicht, außerdem scheiterte nach Seibt das Mapping der neuen Nummer auf die alten Versicherungsnummern. So wusste das KIS nicht, ob ein Patient schon einmal im Krankenhaus gewesen war. Dies erzeugte in Folge erhebliche Probleme bei der Patientenaufnahme, der Kostenzusage, der Verlegung auf andere Stationen und der Entlassung des Patienten. Das fehlerhafte Mapping von alter und neuer Versichertennummer führte zum Stopp des Feldversuches und zu der Erkenntnis: "Aus sächsischer Sicht sind wesentliche technische Voraussetzungen für einen flächendeckenden Rollout nicht erfüllt."

Von 8 derzeit auf dem Markt angebotenen Lesegeräten besitzen zwei eine LAN-Schnittstelle und können später mit der richtigen eGK weiterbenutzt werden, wenn der direkte Anschluss an einen Praxiscomputer verboten ist. Erfreuliche Aussichten für die Hersteller von Lesegeräten, doch Rainer Czmok (Jahrgang 1948) von Celectronics und Johannes Frost von Sagem Monétel fanden deutliche Worte, dass sie nichts von der neuen Richtlinie vom 29. Februar 2008 halten, die festlegt, dass später ein einfaches Software-Update die Geräte für den echten Einsatz mit HBA und eGK umrüsten soll. Frost machte darauf aufmerksam, dass die ungeschützten Stammdaten der neuen Karten zwingend den Einsatz eines Praxis-Verwaltungssystems verlangen, weil die XML-codierten Daten nicht direkt von Karte auf Rezept gedruckt werden können, wie dies heute in etlichen Praxen der Fall ist. Czmok erklärte, dass seine Firma für die ferne Zukunft der eGK ein Update auf ein "steckerkompatibles System" für alle Beteiligten anbieten werde, aber niemanden im Unklaren lassen will, dass dieses Update kostenpflichtig sein wird. Wer ein neues Lesegerät für den anstehenden Basis-Rollout kaufe, müsse 195 Euro für das Update einkalkulieren, das praktisch ein kompletter Austausch des Gerätes sei. Genau vor solch einem Verfahren warnte abschließend ein Vertreter der Softwarefirma DocExpert. Er empfahl Ärzten wie Apothekern allergrößte Vorsicht bei Nachnahmen und Direktbestellungen beim Hersteller und riet dazu, beim kommenden Basis-Rollout nur geschulte Service-Mitarbeiter ins Haus zu holen.

Siehe dazu auch den Online-Artikel in c't – Hintergrund mit Links zur aktuellen und bisherigen Berichterstattung über die elektronische Gesundheitskarte und die Reform des Gesundheitswesens:

(Detlef Borchers) / (jk)