EU-Parlament votiert gegen Internetsperren

Gegen Pläne, Urheberrechtsverletzungen im Internet mit Zugangssperren für verdächtigte Nutzer zu bekämpfen, hat sich das Europäische Parlament in einer Entschließung zur europäischen Kulturwirtschaft ausgesprochen.

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Von
  • Monika Ermert

Mit knapper Mehrheit hat sich das Europäische Parlament bei der Entschließung zur europäischen Kulturwirtschaft am heutigen Donnerstag in Brüssel gegen Internetzugangssperren als Mittel im Kampf gegen Urheberrechtsverletzungen ausgesprochen. Mit gerade mal 17 Stimmen Vorsprung votierte die Parlamentsmehrheit, gestützt von Sozialdemokraten und Sozialisten sowie den Grünen, für eine Aufforderung an die Mitgliedsstaaten, von Internetsperren abzusehen.

Zuvor war das Thema eigens vom generellen Änderungsantrag abgespalten worden. Die allgemeine Bürgerrechtsklausel fordert, die Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen grundlegenden Bürgerrechten unterzuordnen. Gegen diese Klausel wollten Liberale und Konservative nicht stimmen. Zu dem klaren Votum gegen die Internetsperren als Maßnahme etwa gegen die Nutzer von P2P-Tauschbörsen mochten sich aber Konservative und Liberale aber am Ende doch nicht offiziell durchringen.

"Eine Kriminalisierung normaler Nutzer ist sicherlich nicht das Mittel der Wahl", unterstrich in der Debatte gestern Schattenberichterstatter Rolf Berend (CDU/EVP). Man müsse aber eine Balance zwischen der Offenheit des Internet einerseits und dem Schutz des geistigen Eigentums andererseits finden. Daher werde seine Fraktion nur die allgemeine Bürgerrechtsklausel, nicht aber die Ablehnung von Internetsperren mittragen. Angeregt worden war die getrennte Abstimmung von der liberalen Fraktion, die sich in der Debatte allerdings überhaupt nicht zu Wort meldete. Laut Beobachtern war die Fraktion in sich uneinig, was die Abstimmung anbelangte.

"Wir haben beides gewonnen", freuten sich im Anschluss an die Abstimmung Eddan Katz und Erik Josefsson von der Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation (EFF). Der europäische Arm der EFF hatte im Vorfeld massiv Lobbyarbeit gegen die Internetsperren und das Konzept der "mehrstufigen Reaktion" gemacht. Dagegen hatte die Musikindustrie versucht, in Brüssel eine Unterstützung für die Sperrpläne zu organisieren. "Die heute Entscheidung ist eine machtvolle Aussage für die Bürgerrechte und gegen das Konzept der 'mehrstufigen Reaktion', das die Musikindustrie gerne gegen Urheberrechtsverletzungen einsetzen will", sagte Katz gegenüber heise online.

Das Konzept, favorisiert etwa vom französischen Staatspräsidenten Nicolas Sarkozy, sieht Internetzugangssperren gegen potenzielle Urheberrechtsverletzer direkt durch die Provider vor. Dieses Konzept habe man dringend stoppen müssen, da es grundlegend in die freie Internetkommunikation eingreife, meint Katz. "Der Krieg ums Copyright ist noch nicht zu Ende", räumte der EFF-Aktivist allerdings ein. "Aber den neuesten Kopf der Hydra haben wir erst einmal abgeschlagen." Nicht weniger deutlich hatte der Berichterstatter des Paralaments, der französische Sozialist Guy Bono, in der gestrigen Debatte für die Bürgerrechtsklausel und ein Sperrverbot geworben. Repressive Maßnahmen gegen Internetnutzer, "die von einer Industrie diktiert werden, die es versäumt hat, sich dem Wandel der Zeit anzupassen", seien völlig unangemessen und unverhältnismäßig.

In dem Streit um Internetsperren ging der Rest der insgesamt mit großer Mehrheit angenommenen Entschließung fast unter. Sie enthält die Aufforderung an die Kommission, eine Task Force zur Kultur in Europa einzurichten und verstärkt nach öffentlichen Finanzierungsmöglichkeiten für Kultur zu suchen. Finanzielle Anreize wie verringerte Mehrwertsteuersätze sollen ebenfalls geprüft werden und die Kultur in allen Politikbereichen berücksichtigt werden. Das zentrale Anliegen der Entschließung, die parallel mit einer positiven Entschließung zur Europäischen Kulturagenda der Kommission verabschiedet wurde, ist eine stärkere Beachtung und Förderung der Kultur – als Ware, aber auch als Wert an sich.

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(Monika Ermert) / (vbr)