Ministerien sehen keinen Grundrechtseingriff bei Kinderporno-Sperren

Das Bundesfamilienministerium hat eine Stellungnahme zur Verteidigung der geforderten Vereinbarung zu Web-Blockaden verfasst, das die Verantwortung für mögliche Verletzungen des Fernmeldegeheimnisses den Providern aufbürdet.

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Das Bundesfamilienministerium hat gemeinsam mit dem Innen- und dem Wirtschaftsministerium eine Stellungnahme zur Verteidigung der geforderten Vereinbarung zu Web-Blockaden gegen Kinderpornographie verfasst, die keine ernsthafte Gefahr für Grundrechtseingriffe bei der heftig umstrittenen Maßnahme sieht. Sollte der von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) mit Nachdruck propagierte Vertragsentwurf "über die Erschwerung des Zugangs zu kinderpornografischen Inhalten im Internet" möglicherweise aber doch Verletzungen des Fernmeldegeheimnisses auslösen, so waschen die drei Ministerien ihre Hände in Unschuld: Diese würden dann auch bei einem öffentlich-rechtlichen Abkommen auf das Konto der Provider gehen, so der Tenor des siebenseitigen Papiers, mit dem die Politik am heutigen Freitag acht große deutsche Zugangsanbieter in einer gemeinsamen Runde zum Abschluss der "freiwilligen" Sperrverpflichtung drängen will.

Die Ressorts argumentieren in dem bereits durch die Bloggerszene geisternden Dokument, dass die vom Bundeskriminalamt (BKA) vorgeschlagene Zugangserschwerung über das Domain Name System (DNS) keinen Eingriff in den Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses darstelle. Bei einem solchen Verfahren komme es nicht zu einem Aufruf einer Webseite und somit auch nicht zu einer Kommunikation. Selbst wenn man annehmen würde, dass das Fernmeldegeheimnis berührt werden könnte, würde es sich um allein technikbedingte, im Nachhinein rasch wieder "spurenlos aussonderbare" Kommunikationsvorgänge handeln. Auch bei solchen gehe das Bundesverfassungsgericht nicht von einem Grundrechtseingriff aus.

Ferner kann dem Papier nach auch nicht von einem möglichen hoheitlichem Verletzten des Fernmeldegeheimnisses die Rede sein, da sich staatliche Stellen nicht Kenntnis von den vermittelten Kommunikationsvorgängen verschaffen würden. Auch von einem "mittelbaren", vom Staat beauftragten Eingriff wollen die Ministerien nicht sprechen. Schutzvorkehrungen aus dem Telekommunikationsgesetz (TKG) wären ebenfalls nicht berührt, da die Diensteanbieter sich nur Kenntnis von Daten verschaffen würden, die sie für die Erbringung ihrer Angebote brauchen.

Die Auffassung der drei Ministerien ist heftig umstritten. So vertrat Dieter Frey, Co-Autor eines kritischen Gutachtens zu Web-Blockaden des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW), bei einer parlamentarischen Anhörung zu dem Vorhaben vergangene Woche die Meinung, dass schon die Anfrage an einen DNS-Server eine Telekommunikation darstelle. Die Umleitung auf eine Stopp-Seite komme daher einer Manipulation gleich und erfordere eine gesetzliche Regelung.

Auch der Rechtsexperte eines großen Providers sprach gegenüber heise online von falschen Darstellungen in einer "nicht sonderlich profunden Stellungnahme". So beginne der Kommunikationsvorgang bereits mit der Eingabe einer Webadresse in den Browser. Weiter stellt laut dem Firmenjuristen die Haltung der Ressorts, dass Grundrechtseingriffe einfach an "schwarze Sheriffs" aus der Wirtschaft auszugliedern seien, ein "fatales politisches Signal" dar. Bleibe man bei dieser Linie, könnte der Staat auch das Abhören der Telekommunikation oder heimliche Online-Durchsuchungen nach Belieben an Privatdetekteien oder Datendiebe "outsourcen".

Nicht beantwortet hat die Regierungsseite laut dem Justiziar zudem die entscheidende Frage, wie die Provider ihren Kunden einen Verzicht auf das Kommunikationsgeheimnis durch eine Änderung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGBs) unterjubeln können sollten. Andere Grundrechte wie die der Informationsfreiheit würden überhaupt nicht thematisiert. Mit keinem Wort würdigen die Ministerien ferner die Kritik von Informationsrechtlern, wonach der Vertragsentwurf "in fast allen Bereichen juristisch sinnlos und nicht durchsetzbar" sei.

Von allen Seiten wie eine heiße Kartoffel behandelt wird zudem nach wie vor die vom BKA geforderte "Stopp"-Seite, auf die Surfer beim Ansteuern von Webadressen, die auf der schwarzen Liste verzeichnet sind, umgeleitet werden sollen. Hier vertreten die drei Ressorts die Ansicht, dass die Verarbeitung der unvermeidbar anfallenden IP-Adressen der Nutzer in einem ersten Schritt unbedenklich sei. Und zwar genau solange, wie diese Datennutzung erforderlich sei, um die Inanspruchnahme der Warnseite zu ermöglichen. Danach müssten die Diensteanbieter, die den virtuellen Prellbock nach Ansicht der Regierungsvertreter betreiben sollen, die Netzkennungen "unverzüglich" löschen und dies "durch technische und organisatorische Vorkehrungen gewährleisten".

Denkbar sei weiter, heißt es in dem Dokument, dass auf der Stopp-Seite ein Zähler für erfolgte Abrufe eingerichtet werde. Diese datenschutzrechtlich irrelevanten Informationen könnten die Provider dann "für statistische Zwecke" an das BKA übermitteln. Angaben über Seiten, von denen aus Nutzer auf eine gesperrte Adresse zu gelangen suchten, sollen entgegen ursprünglicher Wünsche der Polizeibehörde offenbar nicht mehr an diese weitergegeben werden. Das BKA selbst will die Seite nach wie vor nicht unter seine Fittiche nehmen, obwohl es damit nach Ansicht von Providern zahlreiche Hinweise für Strafverfolgungsmaßnahmen erhalten könnte.

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Peter Schaar gab derweil in einer eigenen, heise online vorliegenden ersten Stellung gegenüber dem Bundesfamilienministerium zu bedenken, dass es sich bei dem vorgeschlagenen Abgleich mit der Liste "vollqualifizierter" Domain-Namen des BKA um eine "Erweiterung des eigentlichen – rein technischen – Zwecks der DNS-Abfragen handele. Dabei sei von einer zusätzlichen Verarbeitung aller Eingaben von Webadressen durch Nutzer auszugehen. Dies betreffe auch die zu erstellenden Statistiken über die Anzahl der abgewehrten Zugriffe. Vor diesem Hintergrund hält es der Datenschützer zumindest für erforderlich, die Pflichten der Internetanbieter hinsichtlich der technischen Umsetzung der Sperrmaßnahmen konkreter zu fassen. Darüber hinaus sollte auch an dieser Stelle festgelegt werden, dass "personenbezogene Daten nicht zusätzlich erhoben werden".

Siehe dazu auch:

(Stefan Krempl) / (jk)