Gutachten: Netzsperren greifen in Grundrechte ein

"In erheblichem Umfang" greifen Inhaltssperren in Grundrechte ein, urteilt ein Gutachten der Kommission für Jugendmedienschutz, und sieht die Notwendigkeit für "rechtliche Abwägungen und Verhältnismäßigkeitsprüfungen im Einzelfall".

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Von
  • Monika Ermert

Sperrverfügungen für Inhalte im Internet "greifen in erheblichem Umfang in die Meinungsfreiheit der Inhaltsanbieter, die Informationsfreiheit der Nutzer sowie die Berufsfreiheit der Internetprovider ein." Zu diesem Ergebnis kommt das am heutigen Montag in München von der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) vorgestellte Gutachten zu Sperrverfügungen im Internet. Wegen der Grundrechtseingriffe und der möglichen Beeinträchtigung der technischen Funktion des Netzes müssten "schwierige rechtliche Abwägungen und Verhältnismäßigkeitsprüfungen im Einzelfall" den Maßnahmen immer vorangehen, heißt es in dem Gutachten weiter. Technische Sperrmaßnahmen, die ins Fernmeldegeheimnis eingreifen, seien rechtlich nicht gedeckt. Sperrungen von IP-Adressen oder URLs würden daher eine Änderung des geltenden Rechts erfordern.

"Eine Sperrverfügung erlassen, das sagt sich so schnell", warnte der KJM-Vorsitzende Wolf-Dieter Ring im Gespräch. Die KJM habe aber bewusst in den vergangenen fünf Jahren keine Verfügung erlassen. Man habe "schon erfühlt und erahnt", dass man sich auf einem technisch und rechtlich sehr schwierigen Feld bewege und sehe sich durch das Gutachten bestätigt, das durch einen technischen Beitrag des Informatikprofessors Andreas Pfitzmann von der Universität Dresden ergänzt wurde.

Die engen rechtlichen Grenzen für die Sperrungen erfordern schon jetzt ein enorm aufwendiges Verfahren. Die Leiterin der Stabsstelle der KJM, Verena Weigand, beschreibt das Regelverfahren so: Prüfgruppen der KJM hätten die Entscheidung über einen Verstoß gegen den Jugendmedienschutzstaatsvertrag zu fällen. Die Medienanstalten als ausführende Organe müssten die verpflichteten Anbieter anhören und nach erneuter Entscheidung bei der KJM für die Durchsetzung sorgen. Eine Sperrung auf Zugangsebene würde die Prüfung für jeden der rund 1000 Accessprovider in Deutschland bedeuten, und dazu eine Menge Anhörungen für die Medienanstalten.

Nur die "großen Provider" zu verpflichten sei rechtlich problematisch. "Sonderprüfgruppen" wären angesichts der Vielzahl der Verfahren wohl notwendig, schätzt Weigand. Anschließend gehe es dann mit der Durchsetzung und der Kontrolle weiter, denn Angebote würden erfahrungsgemäß rasch gespiegelt, umgezogen oder auch inhaltlich verändert - was das Verfahren erneut in Gang setzen kann. Man sei ja nicht in China, sagt Ring, wo man es sich mit solchen Eingriffen leicht mache.

Die Erfolgsaussichten der aufwandsintensiven Sperrungen sind dabei nach Ansicht von Gutachtern und KJM begrenzt."Alle Sperrungen können umgangen werden", sagte Ulrich Sieber, Direktor des des Max-Planck-Instituts für ausländisches und internationales Strafrecht und einer der Gutachter. Besonders leicht sei die Umgehung bei den nach geltendem Recht alleine zulässigen DNS-Manipulationen. Breiter angelegte Sperren ganzer IP-Adressräume, filigranere Maßnahmen wie Blockaden einzelner URLs oder Mischformen, die verdächtige Adressbereiche über einen Proxyfilter genauer unter die Lupe nehmen, bedeuteten laut Sieber aber allesamt einen Eingriff ins Fernmeldegeheimnis. Sieber warnte vor der Idee, dass im Hinblick auf die Meinungs-, Informations- und Berufsfreiheit der Anbieter noch vertretbare Maßnahmen den Zugang zu illegalen Inhalten in einer globalen Welt effektiv verhindern könnten.

Ganz verzichten will die KJM nicht auf das Drohpotenzial einer "Sperrverfügung als Ultima Ratio", machte Ring aber klar. Auf die Frage, ob die KJM für Ausnahmen vom Fernmeldegeheimnis sei, um effektivere IP- und URL-Sperren rechtlich zu ermöglichen, gab sich Ring zurückhaltend. Nach dem Gutachten könnten Zweifel bestehen, dass dies der richtige Weg sei. Dennoch könnten solche Überlegungen im Rahmen der politischen Debatte angestellt werden. Er setze aber nicht darauf, dass eine bessere rechtliche Absicherung der Eingriffsmöglichkeiten das Grundproblem der Sperrverfügungen löse. Vielmehr setze man auf einen Dialog mit den Zugangsanbietern, damit diese selbst Verantwortung übernähmen und Inhalte auf freiwilliger Basis sperrten. Die Suchmaschinen-Anbieter seien hier bereits einen Schritt weiter, ergänzt Ring.

Gutachter Sieber warnte allerdings, dass der Weg in eine Art private Zensur "nicht ungefährlich" sei. "Es fehlt die demokratische Legitimation, es fehlt jeglicher Rechtsschutz." Sperrungen privater Unternehmen auf Druck von Scientology zeigten, wohin ein solches System starker privater Kontrollmaßnahmen führen könne. "Dann wünschen sich manche vielleicht die KJM wieder zurück." Den Trend, mehr und mehr hoheitliche Aufgaben an Private zu abzugeben, nannte Sieber insgesamt problematisch. "Von den Leuten, die von Kriminalitätskontrolle durch Private sprechen, wissen viele noch nicht, was das bedeuten kann", sagte Sieber.

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(Monika Ermert) / (vbr)