Vor 15 Jahren: CERN gibt libwww frei

Heute vor 15 Jahren erhielten Tim Berners-Lee und Robert Cailliau vom Genfer Kernforschungszentrum CERN die offizielle Erlaubnis, den Code der ersten Web-API und Webservers libwww als freie Software zu vertreiben. Ein Turbo für das World Wide Web.

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Von
  • Detlef Borchers

Heute vor 15 Jahren erhielten Tim Berners-Lee und Robert Cailliau vom Genfer Kernforschungszentrum CERN die offizielle Erlaubnis, den Code der ersten Web-API und Webservers libwww als freie Software zu vertreiben. Dieser Entschluss im Sinne der stolzen akademischen Tradition, den freien Austausch von Ideen zu fördern, wirkte auf die ohnehin angelaufene Popularisierung des World Wide Web wie ein Turbolader.

Das Jahr 1993 war in vieler Hinsicht ein Jahr, in dem die Entwicklung des World Wide Web mit einem "Quantensprung" vorangetrieben wurde. Im Februar hatte das National Center for Supercomputing Applications (NCSA) an der Universität Illinois den grafischen Browser NCSA Mosaic im Internet freigegeben. Im März 1993 erschien der für das WWW erweiterte textbasierte Allzweckbrowser Lynx 2.0 und die erste Website des Weißen Hauses wurde freigegeben. Das Informationssystem WWW, das Tim Berners-Lee auf der Hypertext-Konferenz in San Antonio 1991 erstmals öffentlich vorgeführt hatte, begann zu brummen.

Dabei war das Web im Jahre 1993 nicht die populärste Anwendung. E-Mail und Newsgroups waren weitaus wichtiger und die Informationsspezialisten in Universitäten wie in großen Firmen beschäftigten sich vor allem mit der FTP-Alternative Gopher, einem an der Universität Minnesota entwickelten Retrieval-System. Im Frühjahr 1993 entschied sich diese Universität, von kommerziellen Firmen Gebühren für die Nutzung der Gopher-Server-Software zu verlangen. Während der Gopher-Client weiterhin kostenlos zur Verfügung gestellt werden sollte und alle Universitäten und Lerneinrichtungen auch den Server kostenlos bekamen, sollten Firmen wie DEC, IBM und ICL für die Software zahlen, mit denen sie ihre Informationsbestände verwalteten. Heftige Kommentare über den Verrat an der Internet-Community machten die Runde, obwohl die kommerzielle Nutzung des Internet ab 1991 zulässig war.

Diese Kommentare beeindruckten Tim Berners-Lee nachhaltig, wie er in seiner Biografie Weaving the Web schreibt. Er nahm von seinem ursprünglichen Plan Abstand, den Sourcecode des ersten Webservers libwww unter die GPL des von ihm bewunderten Richard Stallman zu stellen und beantragte bei seinem Arbeitgeber CERN eine "Lizenz" ohne jegliche Lizenzauflagen, "no strings attached". Ursprünglich hatte das CERN daran gedacht, libwww für 100 bis 200 Schweizer Franken zu verkaufen. Allerdings war das CERN eine physikalische Forschungseinrichtung und hatte, anders als die amerikanischen Universitäten in Minnesota (Gopher) und Illinois (NCSA Mosaic), keine Verwaltung für den Verkauf einer Software. Eine interne Studie kam zu dem Ergebnis, dass sich der Aufbau einer entsprechenden Abteilung schlicht nicht lohnen würde. So kam es am 30. April 1993 zur Ausstellung der besagten Erlaubnis, libwww ohne Einschränkungen freizugeben in der Art und Weise, wie das Ergebnis eines physikalischen Tests frei veöffentlicht werden kann. Berners-Lee machte die gute Nachricht prompt der interessierten Netzwelt über die Newsgroups alt.hypertext, comp.sys.next und die Mailingliste wwww-talk publik, was da auf http://info.cern.ch auf den Download wartete. Es entbehrt nicht der Ironie, dass der kommerziell ausgerichtete IT-Branchenverband Bitkom diesen Tag irrigerweise zum Geburtstag des WWW deklariert hat. (Detlef Borchers) / (pmz)