Wo ist der Filmspanner?

Nikon hat eine neue digitale Spiegelreflexkamera vorgestellt, die ganz schön alt aussieht. Und das liegt nicht nur am Retro-Look.

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Von
  • Martin Kölling

Nikon hat eine neue digitale Spiegelreflexkamera vorgestellt, die ganz schön alt aussieht. Und das liegt nicht nur am Retro-Look.

Es gibt Produkte, bei denen ich mich frage, ob die Firmenführung noch weiß, was sie treibt. Nikons neueste digitale Vollformat-Spiegelreflexkamera Df ist so ein Fall. Für mich verkörpert sie geradezu meine These: Wenn man keine Ideen hat, macht man auf Retro. Und Nikon treibt den Retro-Trend so sehr auf die Spitze, dass ich mich zuerst nach dem guten alten Filmspanner umgeschaut habe. (Wer mitsuchen will: Auf dpreview.com gibt es Bilder und Daten der Kamera.)

Rückseitig sieht der Neuling mit seinem Display und den vielen Bedienknöpfen naturgemäß modern aus. Von vorne hingegen erscheint die Kamera wie ein direkter Nachkomme der Nikon F3 von 1980. Der Ring zur Zeiteinstellung ist fast eins zu eins abgekupfert. Und wo sich bei der F3 der Rückspulhebel neben dem Prisma türmte, erheben sich jetzt optisch ähnlich zwei aufeinandergestapelte Drehrädchen, mit denen man die Lichtempfindlichkeit und den Belichtungsausgleich einstellen kann.

Form vor Funktion, das geht ja noch. Lobenswert ist sogar der Bajonett-Anschluss, der auch ohne Adapter 50 Jahre Objektive akzeptiert. Aber dann hagelt es Anachronismen: Den Sensor hat Nikon auf 16 Megapixel und damit weniger als die Hälfte seiner D800 reduziert, obwohl die Kamera fast genauso teuer ist. Und dann ist da der Videomodus, der heutzutage schlicht dazugehört. Genau wie die F3 verfügt die Df über keine Videofunktion! Und damit die Ingenieure erst gar nicht in die Versuchung kommen, ihn mit einem Softwareupdate nachzuliefern, fehlen auch Mikrofone und Mikrofonanschluss.

Immerhin erfüllt der Buckel auf der Kamera noch eine Funktion. Er beherbergt das gute, alte Prisma. Olympus und Sony hingegen verbauen sinnfrei Buckel, um so zu tun, als ob ihre Geräte Spiegelreflexkameras seien. Dabei haben sie statt einem optischen einen (wie ich meine sehr guten) elektronischen Sucher.

Nikons Philosophie ist klar: Dies ist ein Fotoapparat für alte Hasen und Extrem-Traditionalisten. Aber dass die eine außergewöhnliche Marktnische darstellen, gesteht Nikon indirekt mit seiner Preispolitik ein. Wie gesagt: Es handelt sich hier um eine Kamera, die weniger kann als die neueste Generation der spiegellosen Systemkameras von Olympus, Panasonic oder Sony. Trotzdem ist sie mit 2750 Dollar gut 450 Dollar teurer als eine Sony Alpha 7R mit Vollformatsensor und 36 Megapixeln. Da muss man schon sehr an der Vergangenheit hängen.

Wäre dies ein Einzelfall, würde ich Nikons Mut loben. Aber Nikon ist eben nicht Leica, die sich Retro von ihren Kunden mit Premiumpreisen vergolden lassen. Vielmehr hat sich Nikon bei dem Versuch, seine Spiegelreflexkameras nicht durch spiegellose Kameras zu kannibalisieren, verrannt.

Das Unternehmen schickte eine Kamera mit recht kleinem Sensor und recht großen Objektiven ins Rennen, die zusammen nur wenig Kontrolle über die Schärfentiefe ermöglichen. Damit wollte das Management offenbar seine mittlere Preiskategorie mit den mittelgroßen APS-C-Sensoren schonen, die auf gleicher Größe von Sony, Fujifilm und Samsung und etwas kleiner von Olympus und Panasonic mit ihrem MicroFourThirds-System und seinem bereits großen Objektivangebot angegriffen werden.

Doch während Canon immerhin einen halbherzigen Versuch unternommen hat, auch dieses Feld zu besetzen, ist Nikon in dem wichtigen Segment gänzlich außen vor und lebt vom Schwung seiner Altkunden, die viel Geld in Objektive investiert haben.

Nikon wehrt sich zwar, indem es erschwingliche Vollformat-Spiegelreflexkameras auf den Markt gebracht hat. Aber Sony greift nun auch noch diese Bastion der Tradition an. Im September hat der Konzern mit der Alpha 7 und der Alpha 7R gleich zwei spiegellose Systemkameras mit Vollformatsensoren ins Rennen geschickt. Vielleicht will Nikon ja auch nur die Besitzer uralter Objektive belohnen. Vielleicht kommt der große Neuentwurf ja noch. Doch da zudem Markt und Margen schrumpfen, darf einem durchaus etwas Angst um Nikon werden. Das Unternehmen wäre nicht das erste, dass vom Leben bestraft wird, weil es einen Trend verschlafen und/oder aufs falsche Pferd gesetzt hat. (bsc)