"Industriespionage ist ein ganz wichtiges Thema"

Wie schützen sich Firmen vor Spionage? Hat der Mensch noch Platz in der Fabrik der Zukunft? Wolfgang Wahlster, Vorsitzender der Geschäftsführung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, erklärte auf dem Innovationskongress von Technology Review, was die Industrie 4.0 bedeutet.

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Von
  • Christian Buck

Furcht vor Spionage und die Frage, wo der Mensch noch seinen Platz hat – das sind zwei zentrale Themen in der Diskussion um die Fabrik der Zukunft. Wolfgang Wahlster, Vorsitzender der Geschäftsführung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz, erklärt, was mit Industrie 4.0 auf Deutschland zukommt.

TR: Herr Wahlster, ist Industrie 4.0 nicht einfach nur ein schickes Wort für die bekannte Automatisierung in den Fabrikhallen?

Wolfgang Wahlster: Nein. Industrie 4.0 stellt die heutige Produktionslogik komplett auf den Kopf: Nicht die Maschine sagt, was passiert – der Rohling teilt ihr mit, wie er bearbeitet werden möchte. Dazu trägt er oder der Träger des Werkstücks einen Chip, in dem alle Anforderungen an die Fertigung festgelegt sind und der als "digitales Produktgedächtnis" auch alle Bearbeitungsschritte aufzeichnet.

TR: Warum ist das ein Vorteil?

Wahlster: Auf diese Weise können wir selbst hochgradig individualisierte Güter wirtschaftlich herstellen. Schon heute laufen wegen der vielen Ausstattungsoptionen keine zwei gleichen Autos mehr vom Band. Dieser Trend wird sich in Zukunft noch verstärken.

Es wäre viel zu aufwändig, eine solche Produktion – im Extremfall bis hinunter zum individuellen Einzelstück – noch zentral zu steuern. die Herstellung der Zukunft muss aber auch deshalb viel flexibler sein als heute, damit sie sich schnell an neue Anforderungen der Kunden anpassen kann: Bald werden auf dem selben Fließband verschiedene Güter hergestellt – zum Beispiel Motoren mit ganz unterschiedlichen Leistungsstärken, je nach aktuellem Bedarf. Wenn Rohlinge die Informationen für ihre Herstellung tragen, wird die Fabrik sehr adaptiv.

TR: Welche Technologien brauchen wir dafür?

Wahlster: Grundlage für Industrie 4.0 sind eingebettete Systeme, also Mikrocomputer mit Sensoren, Aktuatoren, einer Kommunikationsschnittstelle, einem winzigen Webserver und einer gewissen eigenen Intelligenz. Diese "Cyber-Physischen Systeme" (CPS) sind in eine intelligente Umgebung eingebettet und können sich mit ihr und den anderen CPS in ihrer Nähe über das Internet Protocol (IP) austauschen und so die Produktion autonom organisieren.

Dafür nutzen sie semantische Technologien: Die CPS und die Maschinen "verstehen", was die Objekte in ihrer Umgebung können – etwa, welche Dienste eine Maschine anbietet. Zudem ist die gesamte Produktion stark mit den ERP-Systemen der Unternehmen verknüpft, welche die Geschäftsprozesse steuern.

TR: Wie könnte diese Fertigung in der Praxis aussehen?

Wahlster: In unserer "Smart Factory" in Kaiserslautern haben wir mehrere Prototypen im Labormaßstab aufgebaut. Dort füllen wir Seifenspender mit verschiedenen Flüssigkeiten, wobei Chips an den Spendern den Maschinen sagen, mit was genau sie gefüllt werden möchten.

Denkbar wäre auch, dass ein Diesel-Injektor sich selbstständig seinen Weg durch die Fertigung sucht: In einem Chip hat er eine "Shopping-Liste", die ihm sagt, welche Dienste er für seine Bearbeitung braucht. Die zahlreichen Sensoren in den Fabriken überwachen alle Aktivitäten und liefern die Grundlage dafür, dass wir die gesamte Produktion in Echtzeit virtuell nachbilden können.

TR: Industrie 4.0 bedeutet aber auch: Noch mehr IT in den Fabriken. Wie sieht es mit der Sicherheit aus?

Wahlster: Sicherheit ist ein ganz zentrales Thema. Allerdings sind Embedded Systems sehr spezielle Hardwaresysteme – alleine dadurch ist die Hürde für einen Angriff schon sehr hoch: Es ist keine einfache Aufgabe, einen Virus für solche Systeme zu schreiben, und man kann als Angreifer nicht sicher sein, ob er auf den oft modifizierten Zielsystemen überhaupt läuft. Wichtig ist aber, dass wir die Netzwerke in den Fabriken vor Angriffen von außen durch Firewalls abschotten – so verhindern wir beispielsweise Denial of Service-Angriffe, die Netze durch Überlastung lahm legen können.

TR: Was ist mit Spionage? Davor dürften sich die Unternehmen mindestens ebenso fürchten.

Wahlster: Auch das ein ganz wichtiges Thema: In Zukunft tragen viele Produkte ja ein digitales Produktgedächtnis, in dem viele wertvolle Informationen etwa über ihren Herstellungsprozess gespeichert sind. Diese Daten müssen wir durch Verschlüsselung schützen, so dass nur diejenigen an sie heran kommen, die dazu eine Berechtigung haben.

TR: Wenn Produkte ihre Herstellung steuern, werden die Arbeiter dann überflüssig (siehe auch die aktuelle Ausgabe von Technology Review)?

Wahlster: Auf keinen Fall! Menschen werden weiterhin die Planung und Konfiguration übernehmen und sich um Umrüstung, Wartung und Reparatur kümmern. Allerdings brauchen wir hoch qualifizierte Mitarbeiter, die auch die notwendigen zusätzlichen IT-Kenntnisse haben. Sie werden bei ihrer Arbeit durch Assistenzsysteme unterstützt – etwa auf Tablet-PCs oder mit Datenbrillen. Dadurch bekommen sie immer genau die Informationen, die im Kontext gerade relevant sind. Menschen bleiben also wichtig. Zudem ist Industrie 4.0 ganz entscheidend, wenn wir die Fertigung in einem Hochlohnland wie Deutschland überhaupt langfristig halten wollen. Wir sichern und schaffen damit die Arbeitsplätze der Zukunft. (bsc)