30C3:"Tiefer Staat" will Deutschland-Netz

Staatliche Organe überwachen immer weitere Bereiche und entziehen sich der demokratischen Kontrolle. Ein national abgeschottetes Datennetz nützt einem solchen Staat im Staate – so Andreas Lehner vom Chaos Computer Club.

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Von
  • Detlef Borchers

Auf dem Chaos Communication Congress (C30C3) hat sich CCC-Mitglied Andreas Lehner mit dem "tiefen Staat" der Gegenwart beschäftigt. Nach Lehner ist dieser Staat dadurch definiert, dass sich seine Staatsapparate verselbstständigt haben, also ein Eigenleben führen, in das weder die Exekutive noch die Legislative eingreifen können. Im tiefen Staat aktueller Ausprägung sind Lehner zufolge die Geheimdienste die Apparate, die fortlaufend den überwachten Bereich ausdehnen und den medialen Raum deformieren. Für Hacker führe dies zu der Aufgabe, die ausufernde Überwachung medial erlebbar zu machen.

Politologisch und staatsphilosophisch anspruchsvolle Gedanken in eindrückliche Schilderungen verpackt: Lehners Vortrag bot einiges an Polarisierungspotenzial auf.

Hackerkongresse sind keine Universitätsseminare. Lehner versuchte daher, die große Zuhörerschaft ohne theoretischen Ballast in das Thema "Tiefer Staat" einzuführen. Seine stark von der Staatstheorie des griechisch-französischen Politologen Nicos Poulantzas geprägte Erzählung fing daher mit einem Verweis auf die Türkei an. Dort habe sich ein Staat im Staate gebildet, ein "eine Verschwörung zwischen Politik, Militär, Justiz, Rechtsextremisten und organisierter Kriminalität". Über die Entstehungsgeschichte der drei deutschen Geheimdienste von der Organisation Gehlen bis zu dem "Staatsattentat" auf dem Münchner Oktoberfest 1980 zeichnete Lehner eine Entwicklungslinie des tiefen Staates, der unabhängig von allen Regierungswechseln wachse.

Wenn im Zuge der NSA-Affäre über ein "Schlandnetz" gesprochen werde, sei dieser Umbau zu einem nationalen Internet ohne Umgehungsmöglichkeiten für den Einzelnen eine Ausprägung des tiefen
Staates. Neben dieser Verstaatlichung und der "Militarisierung des Internet" werde eine Strategie der "Cyber-Counterinsurgency" entwickelt: Hierbei geht es darum, das Netz als äußerst bedrohlich darzustellen, um die
Zustimmung der Bevölkerung zu einschneidenden technischen Maßnahmen zu gewinnen.

Andreas Lehner vom Chaos Computer Club entwirft ein ausgesprochen düsteres Bild von einem Staat im Staate, den zu entlarven eine mediale Aufgabe der Hackergemeinde sei.

Die Möglichkeiten, diese Entwicklung zu stoppen, sind Lehner zufolge für Hacker begrenzt. "Es muss einen Weg geben, diese Themen medial zur Sprache zu bringen." In der Zukunft würden starke Kryptographie und Anonymisierungssysteme eine immer wichtigere Rolle spielen. Wie die verschwörererischen Strukturen des tiefen Staates offengelegt werden können, blieb im Ungewissen. Der Verweis auf die Informationsfreiheitsgesetze, mit denen Dokumente befreit werden können, klang angesichts des Ausmaßes der dargestellten Staatsverschwörung etwas hilflos.

(psz)