Nach dem AKW-Abbruch: Atom-Entsorger stellen sich neu auf

Sie wurden gegründet, um die ostdeutschen AKWs abzubauen. Was aber passiert mit den Energiewerken Nord nach dem Atomrückbau? Die bundeseigenen Atommüllentsorger suchen nach neuen Aufgaben.

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Von
  • Martina Rathke
  • dpa
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Maschinenhalle im Atomkraftwerk Greifswald/Lubmin

(Bild: Energiewerke Nord)

Die bundeseigenen Atommüllentsorger Energiewerke Nord (EWN) stehen vor einem Umbruch. Mit dem letzten von 30 Dampferzeugern wurde im Februar rund 23 Jahre nach Abschaltung der DDR-Kernreaktoren das letzte radioaktiv belastete Großteil in das atomare Zwischenlager Nord in Lubmin gebracht.

Jetzt geht es dem Beton am einst größten DDR-Kraftwerk in Greifswald/Lubmin an die Substanz. Die ersten Gebäude – ein 100 Meter hoher radioaktiv verseuchter Schornstein sowie ein zu den Reaktorblöcken 1 und 2 gehörendes Spezialgebäude – stehen vor dem Abriss. Die Anträge dafür haben die EWN beim Land gestellt beziehungsweise sind in Vorbereitung, wie EWN-Chef Henry Cordes sagt.

Die kontaminierten Reaktorgebäude selbst sollen in "Langzeitverwahrung" gehen. Rund 50 Jahre – so die Planung – sollen die radioaktiv verseuchten Gebäude stehen bleiben, um sie nach einem natürlichen radioaktiven Zerfall mit deutlich geringerem technischen Aufwand und geringeren Kosten abreißen zu können. Der Antrag dafür ist bislang nicht entschieden.

Das AKW Rheinsberg

(Bild: Energiewerke Nord)

23 Jahre nach Abschaltung der ostdeutschen AKWs Lubmin und Rheinsberg gehen die Rückbauarbeiten an dem Kraftwerk in Vorpommern mit einst fünf Reaktorblöcken in die Endphase. Rund 83 Prozent der kontaminierten und 95 Prozent der kerntechnischen Nebenanlagen seien zurückgebaut, sagt Cordes. "Was jetzt kommt, ist aufwendige und zeitraubende Kleinarbeit. Der Teufel steckt im Detail."

Nach den Großkomponenten müssen radioaktiv belastete Rohre, Elektrokabel und Versorgungssysteme aus dem Beton geschnitten, dekontaminiert oder sicher zwischengelagert werden. Rund 4,2 Milliarden Euro kostet den Bund die Entsorgung der atomaren Hinterlassenschaften der DDR. Ob das Geld ausreichen wird, ist nicht absehbar. Bis 2015 sollen zumindest die kontaminierten Teile zwischengelagert sein.

Mit jedem Meter Rohr, das die EWN-Leute aus dem Beton schneiden, drängt sich die Frage auf: Was passiert mit dem Unternehmen, wenn die Demontage der DDR-AKWs, für die der Bund verantwortlich ist, abgeschlossen wurde? Fakt ist: Die Lichter werden in Lubmin nicht ausgehen. Schon allein deswegen, weil nach dem Streit über das Atomendlager der vergangenen Jahre absehbar ist, dass das Zwischenlager länger als bis 2039 hochradioaktiven Müll beherbergen wird.

Bund und Länder hatten sich im Sommer auf einen Neustart der Endlagersuche geeinigt. "Wir werden wahrscheinlich um 2030 einen Antrag auf Verlängerung der Aufbewahrungsgenehmigung stellen müssen", sagt Cordes. Auch der schwachradioaktive Abfall geht nicht vor 2020 in das Endlager Schacht Konrad. Das sorgt für Beschäftigung im Zwischenlager Nord - zumindest für einen Teil der Belegschaft.

Die EWN definieren ihre Rolle neu, sehen sich nach Atomausstieg und begonnener Energiewende auf dem Weg zu "dem nuklearen Entsorgungsdienstleister des Bundes". Kündigungen von 20 Mitarbeitern im Jahr 2012 haben aber Unruhe ins Unternehmen gebracht. "Wir sind dabei, die Mitarbeiterstruktur deutlich zu verjüngen", sagt Cordes.

Die EWN, einziger bundeseigener Atommüllentsorger, beschäftigen 51 Auszubildende und finanzieren sechs Studenten ein Studium im Bereich Strahlenschutz. Die EWN-Führung ist zuversichtlich, den Stamm von 800 Mitarbeitern langfristig halten zu können. "Wir haben Leute mit Konzeptwissen, kennen uns in der Projektsteuerung und dem Projektmanagement beim Atomrückbau aus", sagt Co-Chef Jürgen Ramthun. Doch noch läuft das Geschäft des Knowhow-Transfers zu anderen AKWs schleppend.

Zustimmung für diese Aktivitäten kommt von ungewohnter Seite: "Das Know-how der EWN-Mitarbeiter sollte gerade in diesem sensiblen Bereich wie dem Atomrückbau weiter genutzt werden", sagt Grünen-Fraktionschef Jürgen Suhr. Kategorisch schließen die Grünen im Land aber aus, dass das am Standort Lubmin geschieht. "Wir brauchen bundesweit einen Ausstiegskorridor mit ausreichenden Zwischenlager- und Rückbaukapazitäten an den betroffenen Standorten", sagt Suhr. Bedingung: Keine Atomtransporte mehr durch das Land nach Lubmin.

Für Zündstoff dürfte deshalb weiter die Klage zur Entfristung der Pufferlagerung von Atommüll aus anderen privatbetriebenen Anlagen sorgen. Der seit 2011 andauernde Rechtsstreit mit dem Land um die Zerlegung von atomaren Fremdabfällen ist nicht entschieden. Bislang hat das Oberverwaltungsgericht nur klargestellt, dass politische Formulierungen im Landesraumordnungsprogramm, im Zwischenlager nur Abfälle aus Lubmin und Rheinsberg lagern zu dürfen, keine Rechtskraft haben.

Allein aus dem öffentlichen Bereich von Bund und Ländern gibt es für die EWN in den nächsten Jahren ausreichend Arbeit. In die Jahre gekommene Forschungsreaktoren in wissenschaftlichen Instituten müssen sicher zurückgebaut werden. Gerade haben die EWN einen Auftrag zur Zerlegung des Versuchsaufbaus Antares am Forschungsreaktors II der TU München erhalten. Übernommen werden soll die Zerlegung von Mitarbeitern der EWN-Tochter in Karlsruhe.

Auch die Zerlegung des Reaktors des Forschungsschiffes "Otto Hahn" des Helmholtz-Zentrums in Geesthacht steht an. Die Kernbrennstäbe aus dem 1979 stillgelegten Forschungsschiff lagern bereits im Zwischenlager Nord. Über den Ort für die Reaktorzerlegung ist noch nicht entschieden.

Siehe dazu auch:

(jk)