Gastkommentar: Der Wegfall der Geschäftsgrundlage bei der Vorratsdatenspeicherung

Der IT-Fachanwalt und SPD-Netzpolitiker Stefan Ansgar Strewe zur Vorratsdatenspeicherung, zur Rolle und Bedeutung des EU-Generalanwalts und zur Gültigkeit des Koalitionsvertrages der großen Koalition.

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Von
  • Stefan Ansgar Strewe

Es ist in diesen Tagen völlig gleichgültig, welche Vor- und Nachteile die Vorratsdatenspeicherung hat. Es ist auch egal, welche rechtliche und politische Verbindlichkeit ein Koalitionsvertrag entfaltet. Denn selbst wenn man dem Drängen netzpolitischer Falken und sammelbeflissener Kriminalbeamter folgen wollte, und selbst wenn ein Koalitionsvertrag in seinen Wirkungen uneingeschränkt verpflichtend wäre: Seit dem Gutachten des Generalanwalts beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) vom 12. Dezember des vergangenen Jahres ist die Welt der Kommunikationsnetze und deren Überwachung eine gänzlich andere. Nichts ist mehr, wie es vorher war.

Ein Kommentar von Stefan Strewe

Stefan Ansgar Strewe ist sächsischer SPD-Netzpolitiker, Fachanwalt für IT-Recht in Dresden und Mitglied in der Arbeitsgemeinschaft IT-Recht im Deutschen Anwaltsverein.

Um die Entwicklungen der letzten Wochen besser zu verstehen, ist ein näherer Blick auf die Funktion des Generalanwalts beim EuGH erforderlich. Denn anders, als es die Berufsbezeichnung vermitteln will, handelt es sich beim Generalanwalt nicht um einen Parteivertreter, welcher eine tendenziöse oder kaum vertretbare Rechtsposition vorträgt. Nach dem EU-Vertrag agiert der Generalanwalt vielmehr "in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit". Der Generalanwalt ist damit ein neutraler Rechtsgutachter, der für das Gericht die Rechtslage umfassend prüft und mit seinen Schlussanträgen sowie deren Begründung den EuGH bei der Entscheidungsfindung unterstützt. Die Ausführungen des Generalanwalts gelten daher als wichtige Vorentscheidung. In mehr als 75% der Fälle folgt das Gericht sodann auch dessen Votum.

Und eben dieser Generalanwalt ist am 12.12.2013, also rund zwei Wochen nach Abschluss des Koalitionsvertrages, zu folgendem für alle Befürworter der Vorratsdatenspeicherung niederschmetternden Ergebnis gelangt:

"Die Richtlinie 2006/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über die Vorratsspeicherung von Daten, die bei der Bereitstellung öffentlich zugänglicher elektronischer Kommunikationsdienste oder öffentlicher Kommunikationsnetze erzeugt oder verarbeitet werden, und zur Änderung der Richtlinie 2002/58/EG ist in vollem Umfang unvereinbar mit Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, da die Einschränkungen der Grundrechtsausübung, die sie aufgrund der durch sie auferlegten Verpflichtung zur Vorratsdatenspeicherung enthält, nicht mit unabdingbaren Grundsätzen einhergehen, die für die zur Beschränkung des Zugangs zu den Daten und ihrer Auswertung notwendigen Garantien gelten müssen."

Mit anderen Worten: Die Richtlinie ist in Gänze rechtswidrig, sie verletzt höherrangiges EU-Recht, sie darf also nicht umgesetzt werden, und würde sie umgesetzt, so sind auch die nationalen Gesetze zur Umsetzung rechtswidrig.

Von einem Justizminister diese Landes dürfen seine Bürger erwarten, dass er mit Blick auf das zu erwartende Urteil des EuGH keine Steuermittel für ein Gesetz verprasst, dessen frühzeitiges Ende bereits im Zeitpunkt des Zeugungsakts bekannt ist. Niemand braucht solch einen netzpolitischen Euro Hawk.

Und der Koalitionsvertrag? Er ist in diesem Punkt Makulatur. Die Juristen sprechen in solchen Fällen von einem "Wegfall der Geschäftsgrundlage". (pem)