Porno-Abmahnungen: Ominöses Software-Gutachten ist nun öffentlich

Die Redtube-Abmahner haben offensichtlich mit einem völlig unzureichenden Gutachten Auskunftserlasse am LG Köln erhalten.

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Von
  • Holger Bleich

Nach und nach lösen sich einige Rätsel rund um die Abmahnungen wegen angeblichem Pornokonsum auf dem Streaming-Portal Redtube. Für viele Fragezeichen sorgte ein Gutachten der Münchener Rechtsanwaltskanzlei Diehl&Partner. Dieses ominöse Gutachten soll nach Angaben der Abmahner bestätigen, dass die Ermittlung der IP-Adressen der Abgemahnten korrekt ablief und der Nachweis des vermeintlich widerrechtlichen Stream-Abrufs in jedem der tausenden Fälle lückenlos ist.

Der Berliner Rechtsanwalt Daniel Sebastian hatte Anfang August 2013 89 Anträge auf zivilrechtliche Auskunft zu Anschlussinhabern beim zuständigen Landgericht (LG) Köln gestellt. 62 dieser 89 Anträge wurden durchgewunken, weil das Gutachten den Richtern als glaubwürdig erschienen war. Mittlerweile sieht das Gericht es anders (siehe Pressemitteilung als PDF-Datei). Am gestrigen Freitag nun ist es der Mainzer Anwaltskanzlei MMR gelungen, dieses so entscheidende Gutachten im Rahmen einer Akteneinsicht am Landgericht Köln zu erhalten und zu veröffentlichen (PDF-Datei).

Es sei überraschend, "wie nichtssagend und dünn das Gutachten" tatsächlich sei, "in dem sich auf nur zwölf Seiten die Buchstaben recht sparsam verteilen". Auch Urheberrechtsexperte und Rechtsanwalt Thomas Stadler ist entsetzt: "An dem Gutachten fällt auf, dass durchgehend von einem Download die Rede ist und nicht von einem Stream." Selbst eine rudimentäre technische Erläuterung lasse das Gutachten vermissen. Rechtsanwalt Udo Vetter hält das Gutachten für "völlig untauglich". Es erschöpfe sich "über etliche Seiten in Beteuerungen, die Software habe als Ergebnis korrekte Werte gezeigt. Die entscheidende Frage, wie diese Werte technisch zustande gekommen sind, wird mit keinem Wort beantwortet. Tatsächlich wird sie noch nicht einmal gestellt."

In der Tat wird aus dem Gutachten weder klar, wie die Rechteinhaber von "The Archive" an die IP-Adressen der vermeintlichen Rechteverletzer gelangt sein wollen, noch ist ersichtlich, dass es sich um die Erfassung von Streaming-Vorgängen handelte. Ganz offensichtlich haben sich die Richter des LG Köln hier hinters Licht führen lassen. Der Blogger Klemens Kowalski etwa, der permanent in der Redtube-Affäre recherchiert, hat die technischen Ausführungen in dem Gutachten bereits ausführlich analysiert.

Die angeblichen Rechteinhaber, also die Schweizer Firma The Archive AG, haben derweil ihr Unternehmenskonstrukt umgebaut, wie Telepolis berichtet. Nounagnon Sedjro Crespin Djengue, beninischer Staatsbürger, löst demnach einer Meldung des Schweizerischen Handelsamtsblatts (SHAB) vom 15. Januar zufolge den Deutschen Philipp Wiik als Chef ab. Außerdem verlegte The Archive seinen Sitz vom Zürcher Flughafenvorort Bassersdorf in die Grabenwiese 10 in der schweizerischen 3000-Einwohner-Ortschaft Weisslingen, wo Crespin angeblich lebt. (hob)